„Investitionen müssen der lokalen Wirtschaft nutzen“

Andreas Schoelzel

Maria Klatte (links) leitet die Abteilung Afrika und Naher Osten beim katholischen Hilfswerk Misereor in Aachen. Christoph Kannengießer (rechts) ist seit 2012 Hauptgeschäftsführer des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft in Berlin. Das Gespräch moderiert Bernd Ludermann, Chefredakteur von „welt-sichten“ (Mitte).

Deutsche Unternehmen
Was hilft es Afrika, Geschäfte deutscher Unternehmen dort zu fördern? Ein Streitgespräch.

Herr Kannengießer, der Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft fordert einen Fonds, aus dem deutsche Investitionen in Afrika gefördert werden. Ist das ein sinnvolles Mittel der Entwicklungspolitik?
Kannengießer: Wir fordern das nicht, sondern wir schlagen einen Fonds für Entwicklungsinvestitionen vor. Die Bundesregierung wünscht, dass deutsche Unternehmen mehr in Afrika investieren und dort Arbeitsplätze schaffen. Aber Afrika wird kurzfristig und von allein nicht für deutsche Investitionen in größeren Dimensionen attraktiv. Wenn man die will, muss man überlegen, wie man Risiken und Hürden dafür abbauen kann. Darum geht es uns.

Werden Investitionen, die sich lohnen, nicht auch ohne Förderung getätigt?
Kannengießer: So einfach sind Entscheidungen nicht, Kapital mit unsicherer Aussicht auf Verzinsung einzusetzen. In einem Schwellen- oder Entwicklungsland sind die Vorlaufkosten und das Risiko höher als in einem Industrieland und es ist oft fraglich, ob der Unternehmer dafür einen Bankkredit bekommt. Der Fonds soll helfen, solche Hürden zu überwinden. 

Frau Klatte, würden mehr deutsche Investitionen in Afrika manchen Ländern helfen?  
Klatte: Grundsätzlich ist der Fokus des Entwicklungsministeriums auf wirtschaftlicher Entwicklung in Afrika begrüßenswert. Aber es muss garantiert sein, dass Investitionen der lokalen Wirtschaft nutzen und Wertschöpfung vor Ort entsteht. Einheimische kleine und mittlere Unternehmen müssen daran teilhaben können, auch solche aus dem informellen Sektor. Dort arbeiten über vier Fünftel der Beschäftigten in Afrika. Deshalb sollte die Investitionsinitiative mit einer Bildungs- und Ausbildungsinitiative verbunden werden, die diese Wirtschaftstätigkeit qualifiziert und stärkt.  
Kannengießer: Das widerspricht nicht unserer Position. Ein Vorbild für uns ist der Good Growth Fund in den Niederlanden, der neben Hilfe für niederländische Firmen auch Förderung für lokale Unternehmen anbietet.

In welchen Ländern und Sektoren Afrikas investieren deutsche Firmen?
Kannengießer: Über 60 Prozent sind in Südafrika, vor allem in der Automobilindustrie und im Maschinenbau, und ein erheblicher Teil des Restes in Maghreb-Ländern wie Tunesien und Ägypten. In anderen Ländern Subsahara-Afrikas sind deutsche Investitionen bisher sehr gering. Aber wir sehen erste Schritte der Diversifizierung. So entwickelt VW Fertigungsstätten in Kenia, Ruanda, Ghana und Nigeria, teilweise in Joint Ventures. Zugenommen haben deutsche Investitionen in den vergangenen Jahren auch im Energiesektor, besonders bei erneuerbaren Energien. 
Klatte: Für Misereor ist wichtig, dass kein Land zurückbleibt. Bei wirtschaftlichen Investitionen stellen sich eine Reihe von Fragen: Profitieren die beteiligten Länder vom technischen Know-how der deutschen Firmen? Wie können auch kleine Betriebe oder bäuerliche Genossenschaften daran teilhaben? Inwieweit sind sie von negativen Nebenwirkungen betroffen wie der Nutzung von Land oder Umweltschäden? Es ist unbedingt erforderlich, das vorher gründlich zu prüfen und dabei die lokale Bevölkerung einzubeziehen. Auf keinen Fall dürfen lokale Firmen von Großprojekten verdrängt werden. Dies gilt auch für die Landwirtschaft: Der Nutzen für die kleinbäuerliche Landwirtschaft darf nicht aus dem Blick geraten.  
Kannengießer: Ich würde den Blick mehr auf die Chancen richten. Deutsche Unternehmen schaffen in Afrika überwiegend Arbeitsplätze für Einheimische. Ein Grund ist, dass man in Deutschland nur schwer Fachkräfte für längere Einsätze in Afrika finden kann. Und was macht die deutsche Wirtschaft in Afrika? In Landwirtschaft oder Bergbau investiert sie praktisch nicht. Die teils berechtigte Kritik an solchen Geschäften trifft uns also ohnehin nicht. Ein großes Betätigungsfeld sind dagegen dezentrale erneuerbare Energien, auch auf dem Land. Die auszubauen ist selbst nicht beschäftigungsintensiv, aber die Stromversorgung löst in Afrika viele Beschäftigungseffekte aus. Denn Kommunikation, Gesundheitsversorgung und lokale Produktion funktionieren nicht ohne Strom. Das ist praktisch ein Entwicklungsprogramm, nur dass es nicht voll aus Staatsmitteln finanziert wird, sondern aus Einnahmen am Markt. Das Gleiche gilt für andere Investitionen in die Infrastruktur.

Verdrängen deutsche Firmen, die in Afrika Solaranlagen verkaufen, lokale Anbieter?
Kannengießer: In Deutschland produziert praktisch niemand mehr Solaranlagen, die kommen alle aus China. Deutsche Firmen verkaufen das Know-how, solche Anlagen zu planen, zu bauen und zu betreiben.  
Klatte: Aus unserer Erfahrung ist entscheidend, ob lokales Know-how aufgebaut wird, so dass einheimische Fachkräfte Aufbau und technische Wartung selbst in die Hand nehmen können. Man sollte Investitionen auch bezogen auf Nutzungsmöglichkeiten im informellen Sektor beurteilen: Gibt es kleinere technische Lösungen, etwa für das Aufladen von Handys?

Der Afrika-Verein möchte auch mehr staatliche Förderung für deutsche Exporte nach Afrika. Was sollen die afrikanischen Ländern nutzen?
Kannengießer: Wir möchten, dass Exporte nach Afrika nach denselben Bedingungen versichert werden wie für Märkte anderswo. Versicherungen gegen Zahlungsausfälle ausländischer Kunden sind keine Förderung, sondern damit verdient der Bund über die Jahre mehrere Milliarden Euro. Und sie sollen zwar Arbeitsplätze bei uns schaffen oder sichern, aber sie schaffen tatsächlich mehr Arbeitsplätze in Afrika. Wenn zum Beispiel Bosch Kühlschränke oder Waschmaschinen exportiert, entwickeln sie den Hausgerätemarkt in der Mittelschicht mit Hilfe von Vertriebs- und Wartungsstrukturen im Land. Das heißt, einheimische Firmen erwerben Wissen über Unternehmensführung und Logistik sowie technisches Know-how für die Wartung. Und wenn die Märkte groß genug werden, kann es für deutsche Hersteller am Ende interessant werden, in Afrika zu fertigen statt in China.

Benachteiligen solche Exportversicherungen nicht einheimische Firmen, denen niemand Risiken abnimmt?  
Kannengießer: Ich sehe nicht, dass deutsche Exporte afrikanische Firmen schädigen. Wir sind neben den Japanern die technologisch am weitesten entwickelte Volkswirtschaft der Welt und auf dem Gebiet konkurriert kaum eine Firma in Afrika mit uns.

Wie stark sollen Förderangebote an Bedingungen geknüpft werden?  
Klatte: Das ist die entscheidende Frage. Soziale und ökologische Auswirkungen müssen gründlich geprüft und mit Vorrang berücksichtigt werden. Und Investitionen müssen sich in lokale Prioritäten der wirtschaftlichen Entwicklung einfügen.
Kannengießer: Soziale und ökologische Wirkungen werden schon immer bei der Vergabe von Exportversicherungen oder Investitionsgarantien geprüft. Aber die Regierungen in Afrika sollten solche Wirkungen ebenfalls in ihrer Industriepolitik berücksichtigen. Je mehr sie das zum Kriterium dafür machen, wer in ihren Märkten zum Zuge kommt, desto besser für die deutsche Wirtschaft. Denn viele unserer Konkurrenten handhaben diese Themen, die wir ernst nehmen, deutlich laxer und das bringt ihnen Preisvorteile – zum Beispiel China.
Klatte: Das Beispiel China zeigt aber auch: Bei der Förderung von Investitionen in Afrika muss die Gefahr der Verschuldung im Blick sein. Chinas Investitionen haben auf dem Kontinent zu höheren Schulden geführt, und Chinas Billigprodukte haben vielerorts afrikanische Produzenten von den Inlandsmärkten verdrängt.
Kannengießer: Wenn stärker auf private Investitionen gesetzt wird, soll das doch gerade Kredite an Staaten ersetzen, mit denen diese sich verschulden. Investitionsförderung heißt: Das Risiko federn nicht die afrikanischen Regierungen ab, sondern die der Geberländer.

Investieren deutsche Firmen nennenswert in die Infrastruktur, verglichen etwa mit China?
Kannengießer: Wir setzen keine Steine aufeinander. Aber zur Infrastruktur gehören auch Flughäfen, Häfen oder Krankenhäuser. Wir liefern modernste Technologie dafür oder auch Mautsysteme und wir erbringen Ingenieur- und Prüfleistungen. China kommt dagegen mit eigenen Arbeitskräften und klinkt sich in lokale Handelsstrukturen ein. Solche Probleme gibt es mit deutschen Firmen nicht.
Klatte: Auch unsere Partner in Afrika beklagen, dass chinesische Unternehmen mit eigenem Personal kommen und sich nicht um lokale Prozesse scheren. Andererseits: Infrastruktur ist wichtig, gerade auf dem Land.
Kannengießer: Bei aller Kritik: China bietet in manchen Bereichen Dinge an, die sonst keiner anbietet. Eine chinesische Straße mit Qualitätsmängeln ist besser als gar keine Straße.

Soll man die Förderung deutscher Investitionen und Exporte nach Afrika als öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) anrechnen?
Klatte: Nein, ODA sollte primär der Entwicklung im globalen Süden dienen und nicht Eigeninteressen der Geber. Investitionen sollen und können sich lohnen, auch in Afrika. Unternehmen können das Risiko dabei selbst tragen. Die deutsche Afrikapolitik sollte sich auf keinen Fall in erster Linie an Direktinvestitionen orientieren. Diese allein werden das Beschäftigungsproblem in Afrika nicht lösen.
Kannengießer: Ich halte das System der ODA-Quote für dringend reformbedürftig. Wie hoch die ist, misst nur den Aufwand und sagt überhaupt nichts darüber aus, ob es deshalb irgendjemandem auf der Welt besser geht. Wir müssen intelligentere Wege finden, Effekte von Entwicklungshilfe zu messen. Im Idealfall erreichen wir ein Maximum an Wirkung mit einem Minimum an öffentlichem Geld. Das liegt im Interesse des deutschen Steuerzahlers und auch der afrikanischen Partner, denn sich von Zuwendungen zu emanzipieren ist doch enorm wichtig. Die deutsche Wirtschaft beschäftigt über 220.000 Afrikaner, Arbeitsplätze bei lokalen Zulieferern oder Dienstleistern nicht mitgerechnet.

Aber kaum in den ärmsten Ländern, oder?
Klatte: Richtig. Und man darf auch die Ungleichheit innerhalb der Länder nicht vergessen. In Kenia entwickeln sich Teile der Wirtschaft, etwa der Mobilfunk, sehr dynamisch und kreativ. Zugleich gibt es weiter extreme Armut – in den Städten wie auf dem Land, vor allem im Norden. Auch deshalb wird Entwicklungshilfe nötig bleiben. Investitionsförderung allein hilft selbst in Ländern mit wachsender Mittelschicht wie Kenia nicht.
Kannengießer: Natürlich gilt für Hilfe das Gebot der Humanität. Aber ist es richtig, dass wir es mit Entwicklungsmitteln ausgleichen, wenn einheimische Regierungen dabei versagen, einigermaßen Verteilungsgerechtigkeit herzustellen? Das Problem kann man nicht mit Entwicklungshilfe lösen. Das muss die nationale Politik tun.  
Arbeitet Misereor in Afrika in manchen Projekten mit deutschen Unternehmen zusammen?
Klatte
: Nein, direkte Zusammenarbeit mit deutschen Unternehmen hat es bisher nicht gegeben. Misereor fördert Projekte, die lokale Organisationen uns vorschlagen und umsetzen. Es könnte interessant sein, mehr über Verbindungen zwischen lokalen Projekten und Wirtschaftsförderung mittels Investitionen nachzudenken.

Das Gespräch führte Bernd Ludermann.

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