Masturah Musa knetet einen kleinen Ball aus Halawa zwischen ihren Fingern. Als er beginnt, weich zu werden, streicht sie die klebrige Paste auf das Bein ihrer Kundin und zieht sie dann nach oben hin ab. Diesen Vorgang wiederholt sie am ganzen Körper, bis die Haut der Frau glatt und haarlos ist. Halawa ist ein Haarentfernungswachs aus geschmolzenem Zucker. Musa verrührt Honig und Limette in die Mischung, genau wie ihre Großmutter es ihr beigebracht hat.
Traditionelle Schönheitsmittel wie Halawa, Dilke – ein Körperpeeling aus Kartoffeln, Nelken, Kurkuma und Ölen – oder Durkhaan, ein Räucherbad aus Sandelholz, um die Haut zu straffen, sind seit unzähligen Jahren fester Bestandteil des Lebens von Frauen im Norden Nigerias. Ursprünglich kommen sie aus dem Sudan und aus dem Tschad; bis vor kurzem waren sie nur in der Region bekannt. Kosmetikerinnen zogen bis zu zwei Wochen vor einer Hochzeit zu einer Braut, um sie für ihre Hochzeit zu verschönen.
Doch mit der zunehmenden Verbreitung sozialer Medien und dem Umzug vieler Menschen in die großen Städte, haben die Geheimnisse ihren Weg in Spas und Kosmetiksalons im ganzen Land gefunden. „Wenn meine Großmutter ihre Familie besuchen oder verreisen wollte, nahm sie zuvor drei Tage lang ein Räucherbad und danach wachste sie sich mit Halawa“, sagt Musa. „Meine Stiefmutter hat das auch so gemacht. Vor einer Hochzeit sagte sie: ̦Lass mich meinen Körper pflegen, wenn ich den Raum betrete, möchte ich gut aussehen‘“.
Musa ist im nordöstlichen Bundesstaat Borno aufgewachsen. Dieser Teil Nigerias ist vor allem durch den Terror der islamistischen Gruppe Boko Haram bekannt, die unter anderem im Jahr 2014 mehr als 270 Schülerinnen aus Chibok entführt hat. Das hatte weltweit für Empörung gesorgt und zu einem öffentlichen Aufschrei geführt. Als Musa drei Jahre alt war, starb ihre Mutter. Aufgewachsen ist sie bei ihrer sudanesischen Großmutter. Mit 13 Jahren heiratete sie, nachdem sie ihren ersten Sohn Mustapha auf die Welt gebracht hatte, zog sie mit ihrer neuen Familie in die Hauptstadt Abuja.
Auch wichtige Menschen lassen sich gerne verschönern
Autorin
Wana Udobang
ist in Nigeria als freie Journalistin, Poetin und Filmemacherin tätig. Der Artikel ist zuerst englisch auf dem Portal www.newsdeeply.com erschienen.Inzwischen ist die 33-Jährige in ganz Nigeria unterwegs und schult Kosmetikerinnen in Schönheitspraktiken, die vormals nur die Frauen aus dem Norden kannten. Ihr Einkommen trägt dazu bei, die Schulgebühren und andere Haushaltsausgaben zu bestreiten. Manchmal erhalte ihr Ehemann monatelang kein Gehalt, erzählt die Mutter von vier Kindern. Ihr Einkommen helfe ihnen in dieser Zeit über die Runden.
Als Hadiza Nyako Tukur heiratete und vom Bundesstaat Adamawa im Nordosten Nigerias nach Lagos zog, wollte sie mit ihrer Geschäftspartnerin Fatima Waziri Wafailu einen Ort schaffen, an dem sich andere Frauen aus dem Norden behandeln lassen konnten. Nach der Eröffnung ihres Kosmetiksalons „The Henna Place“ im Jahr 2014 waren sie überrascht, dass die Städterinnen neugieriger auf ihre traditionellen Schönheitsrituale waren als die anvisierten Kundinnen. „In den sozialen Medien kann jeder die Bräute aus dem Norden sehen. Sie haben einen gewissen Glanz, ein Strahlen, und die Frauen hier fragen sich, was diese Mädchen anders machen“, sagt Tukur. Sie stellt einen Korb voller Pasten, Pulver, Samen, Öle und Rinden auf den Boden. Diese Zutaten würden seit Jahrhunderten verwendet, um die Mädchen zum Leuchten zu bringen, erklärt sie.
Geflüchtete Frauen bekommen eine Chance
Masturah Musa begrüßt, dass immer mehr Kosmetiksalons die Traditionen des Nordens aufgreifen. „Ich glaube nicht, dass sie mir das Geschäft kaputt machen“, sagt sie. „Ich finde es gut, wenn Menschen solche Wellness-Center eröffnen. Das bedeutet, dass ich mehr Frauen schulen kann.“ Laut Tukur helfen die Salons auch den Frauen in der nördlichen Krisenregion. Sie bezieht ihre Produkte von Frauen aus Maiduguri aus dem Bundesstaat Borno und verschafft ihnen so ein Einkommen.
Und sie arbeitet mit Frauen zusammen, die vor der Gewalt von Boko Haram geflohen sind. „Viele von den Mädchen, die wir angestellt haben, sind vor den Aufständen weggelaufen“, sagt sie. „Viele waren in Lagos arbeitslos. Deshalb haben wir angefangen, sie zu schulen. Wir sagten ihnen, dass wir ihnen ihre Produkte abkaufen, wenn sie lernen, diese herzustellen.“ Gewalt, Armut, Unterdrückung: „Der Nordosten ist vor allem mit negativen Dingen verknüpft“, sagt Tukur. „Wir wollten den Menschen zeigen, dass von dort auch etwas Positives kommt. “ Tukur und Musa trennen Welten. Tukur stammt aus der Mittelschicht, Musa aus der Arbeiterklasse. Doch beide sind davon überzeugt, dass die Verbreitung ihrer Schönheitspraktiken ein Weg sind, die hellen und freundlichen Seiten ihrer Kultur mit dem Rest Nigerias und der Welt zu teilen.
In ihrem Haus in Abuja erzieht Musa ihre vier Kinder gemeinsam mit ihrem über 50-jährigen Ehemann und führt gleichzeitig ihr Geschäft. Vor drei Jahren hat sie begonnen, sich weiterzubilden. „Ich hoffe immer noch, dass ich an der Universität Wirtschaft studieren kann“, sagt sie. „Dafür bete ich jeden Tag. Bevor ich meinen eigenen Salon eröffne, möchte ich die Schule beenden. Ich würde gerne drei Frauen schulen und weiter meinen Haushalt führen.“ Auch zu Hause gibt sie die Schönheitstraditionen ihrer Heimat weiter. Sie bringt ihren Zwillingstöchtern Hassana und Hussaina all das bei, was sie selbst bei ihrer Großmutter in Borno gelernt hat.
Aus dem Englischen von Johanna Greuter.
Neuen Kommentar hinzufügen