Kämpferin für Gerechtigkeit

Peru
Die Erzieherin ist wie fast 300.000 andere Frauen und Männer in Peru Ende der 1990er Jahre ohne ihre Einwilligung sterilisiert worden – die meisten von ihnen sind Indigene. Seit Jahrzehnten streitet sie für Entschädigungen und eine öffentliche Entschuldigung.

Auf Staatsanwältin Marcelita Gutiérrez Vallejos ist Victoria Vigo nicht allzu gut zu sprechen. Mehrfach hat sie schon vor deren Büro im Ministerio Público, dem Kanzleramt, in Lima Transparente mit dem Schriftzug „Gerechtigkeit für die zwangssterilisierten Frauen“ geschwungen. Ohne Erfolg. „Viermal hat sie unsere Klage zu den Akten gelegt, sich beharrlich geweigert, die Namen der Verantwortlichen in die Anklage aufzunehmen“, kritisiert die 54-Jährige und lässt entnervt die Hände auf das bunte Kissen fallen, das auf ihrem Knie liegt.

Doch Aufgeben ist nicht ihre Sache. Aufstehen und neu anfangen – dieser Devise ist sie schon oft gefolgt. So auch zu Beginn dieses Jahres, nachdem Staatsanwältin Gutiérrez Vallejos im Dezember 77 Klagen wegen gewaltsamer Sterilisation zu den Akten gelegt hatte. Wieder hat sich Vigo mit ihrer Anwältin María Ysabel Cedano von der Frauenrechtsorganisation Demus (Estudio para la Defensa de los Derechos de la Mujer – Lernen für die Verteidigung der Frauenrechte) zusammengesetzt, Fälle dokumentiert und Eingaben geschrieben. „Jedes Mal lernen wir dazu, und jedes Mal werden wir mehr“, sagt die Erzieherin mit entschlossener Miene.

Beim Treffen der Nationalen Menschenrechtskoordination Ende Mai war sie dabei, als mehrere Frauen von neu gründeten Gruppen aus verschiedenen Regionen Perus ihre Geschichte erzählten. „In Peru gab es zwischen 1996 und 2001 eine systematische Sterilisationspolitik, die von ganz oben angeordnet wurde“, sagt Vigo. Alle Fäden liefen beim autoritär regierenden Präsidenten Alberto Kenya Fujimori zusammen. Gegen den 79-Jährigen, der am 24. Dezember 2017 nach 13 Jahren Haft wegen Korruption und zahlreicher Menschenrechtsverletzungen vom damaligen Präsidenten Pedro Pablo Kuczynski begnadigt wurde, richtet sich die Klage von Victoria Vigo.

Frauen wurden unter Druck gesetzt

Ohne ihr Einverständnis wurde sie sterilisiert, nachdem sie 1996 im siebten Monat schwanger ins Krankenhaus in Piura eingeliefert wurde. „Da wurde mein Sohn per Kaiserschnitt zur Welt gebracht, starb wenig später aber an Lungenversagen. Ich habe nur durch Zufall mitbekommen, was sie mit mir gemacht haben. Ein Arzt erzählte einem anderen, dass sie mich sterilisiert hatten“, erinnert sie sich an die Situation, die ihr Leben verändert hat. Ohnmacht, Zorn und Wut empfindet sie bis heute, wenn sie die Geschichten anderer Frauen hört, denen das Gleiche oder Schlimmeres widerfahren ist: Frauen, die unter Druck gesetzt wurden, sich sterilisieren zu lassen, weil sie schon mehr als drei Kinder haben, oder mit Gewalt auf den OP-Tisch gezerrt wurden. Davon gibt es viele in Peru. Offiziellen Zahlen zufolge wurden zwischen 1996 und 2001 exakt 272.028 Frauen und 22.004 Männer sterilisiert. Fast alle gehörten wie Victoria Vigo der indigenen Bevölkerung an.

1996 lebte sie in Piura, ganz im Norden des Landes an der ecuadorianischen Grenze. Als Erzieherin arbeitete sie für internationale Kinderrechtsorganisationen, aber auch für das nationale Bildungsministerium. Nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus begann sie nachzufragen, rekonstruierte, was geschehen war und reichte ein paar Monate später Klage ein. „Die wurde prompt abgewiesen. Ich hatte weder einen Anwalt noch Beweise vorzuweisen“, erinnert sie sich mit einem bitteren Lachen an ihre Unwissenheit. 1997 bekam sie erste Informationen von Studenten zugesteckt, die in der Staatsanwaltschaft jobbten. „Am Anfang dachte ich, ich sei ein Einzelfall. Doch über die Studenten bekam ich immer mehr mit.“

Damals begann sie auf eigene Faust zu recherchieren, besuchte Frauen, die auch sterilisiert worden waren, sammelte Zeitungsartikel über die wenigen Fälle, die in die Presse gelangten, und reichte 1998 ihre zweite Klage ein. Dieses Mal wurde sie von der schwedischen Entwicklungsorganisation Diakonia unterstützt, die den Anwalt bezahlte. „Da wusste ich schon, dass systematische Sterilisierungen Teil der Familienplanungspolitik unter dem Deckmantel der Armutsbekämpfung waren“, erzählt sie. Internationale Geber wie die amerikanische Entwicklungsagentur USAid hätten das mitfinanziert. „Den Ärzten wurden sogar Prämien pro Sterilisation gezahlt.“

Vigo fordert offizielle Entschuldigung

Für ihren Kampf zog Vigo nach Lima. Hier befinden sich die Büros der Anwälte, die sich mit Menschenrechtsverletzungen beschäftigen, hier sitzen die Gerichte und hier leben die Verantwortlichen für die Verbrechen an den Frauen – Gesundheitspolitiker wie Marino Costa Bauer oder der Leibarzt und Berater von Alberto Fujimori, Alejandro Aguinaga. Vigo macht sie mitverantwortlich für das „Attentat auf meinen Körper und meine Reproduktionsfähigkeit“, sie sollen sich gemeinsam mit dem Ex-Präsidenten dafür vor Gericht verantworten.

„Wir wollen Gerechtigkeit. Wir wollen entschädigt werden. Was man uns angetan hat, soll in der ganzen Tragweite publik werden“, fordert Vigo. Noch wichtiger ist ihr aber eine offizielle Entschuldigung des peruanischen Staates. Sie hat 2003 als erstes und einziges Opfer einer Sterilisation ohne Einverständnis eine Entschädigungszahlung erhalten und hat als Erzieherin ihr eigenes Auskommen. Das ist bei vielen Opfern der Sterilisationspolitik vollkommen anders.

Autor

Knut Henkel

ist freier Journalist in Hamburg und bereist regelmäßig Lateinamerika und Südostasien.
Etliche wurden von ihren Männern verstoßen, weil sie keine Kinder mehr bekommen oder nicht mehr auf dem Feld arbeiten konnten. Mehr als 6000 Frauen sind im offiziellen Register der Opfer von Zwangssterilisationen verzeichnet, leiden unter den körperlichen und seelischen Folgen dilettantischer Operationen oder weil sie danach nicht medizinisch versorgt wurden. Die Frauenrechtsorganisation Demus fordert deshalb therapeutische Angebote und eine individuelle Gesundheitsversorgung.

„In Peru gibt es keine unabhängige Justiz"

Das unterstützt auch Victoria Vigo und sie ist gespannt, wie Staatsanwältin Marcelita Gutiérrez Vallejos auf die Weisung von Generalstaatsanwalt Luis Landa von Ende April reagiert. Er hatte sie angewiesen, Anklagen gegen die Verantwortlichen, darunter Fujimori, Ex-Gesundheitsminister Bauer sowie Berater Aguinaga zu erheben. Das gibt Anlass zur Hoffnung, doch Vigo ist nicht sonderlich optimistisch. Denn schon ihr erfolgreicher Prozess im Jahr 2003 fand nicht vor einem peruanischen Gericht statt, sondern vor dem Gerichtshof für Menschenrechte der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS).

„In Peru gibt es keine unabhängige Justiz. Hier hat die Politik überall ihre Finger drin“, sagt sie und klopft wie zur Betonung ihrer Worte auf das bunte Kissen. Hoffen und Abwarten heißt trotzdem die Devise, denn der Gang zu einem internationalen Gerichtshof kann noch kommen. Vorher müssen allerdings alle Rechtsmittel in Peru ausgeschöpft werden. Das wäre der Fall, wenn die Klage ein weiteres Mal archiviert wird. Das ist trotz der Weisung von Generalstaatsanwalt Landa möglich, denn er wird in ein paar Wochen abgelöst. Um seine Nachfolge bewerben sich auch Juristen, die dem Fujimori-Lager zugerechnet werden.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2018: Vormarsch der starken Männer
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