„Wenn zivilgesellschaftliche Organisationen Kritik üben an Strukturen und Machtkonstellationen, können sie das umso besser, wenn sie wissen und verstehen, wie Unternehmen arbeiten“, sagt Venro-Vorständin Martina Schaub, zugleich Geschäftsführerin des Südwind-Instituts für Ökonomie und Ökumene. Schaub weiß, wovon sie spricht: Ihr Institut kennt die Chancen und Risiken einer Zusammenarbeit mit Unternehmen aus eigener Erfahrung. Das Südwind-Institut berät den Einzelhandelsriesen Rewe seit einigen Jahren in der Projektführung von Pro Planet, einem Eigenmarken-Label für nachhaltige Produkte. Dem sei bei Südwind eine lange Diskussion vorausgegangen, unter anderem über die Gefahr, dass die Supermarktkette das Institut nur öffentlich wirksam für gute Imagepflege einspannen könnte, sagt Schaub.
Südwind entschied sich dafür, weil der Vertreter des Instituts absehbar etwas bewirken konnte. Er hat im fünfköpfigen Beirat ein Vetorecht. „Damit können wir auf die Vergabe der Label wirklich Einfluss nehmen“, sagt Schaub. Wenn externe Gutachter heikle Punkte in Produktionsketten ausmachten, müssten Fehler behoben werden. Ein Kooperationsangebot des Nestlé-Konzerns lehnte Südwind dagegen ab: zu unkonkret, zu diffus.
Misstrauen gegenüber der Privatwirtschaft
Viele nichtstaatliche Organisationen (NGO) begegnen der Privatwirtschaft mit Misstrauen, weil sie sie für Missstände auf dem Planeten mitverantwortlich machen. Unternehmen verfolgen Partikularinteressen, agieren gewinnorientiert und sind zuerst ihren Anteilseignern verpflichtet. Zivilgesellschaftliche Organisationen hingegen verfolgen Ziele des Gemeinwohls. Manche wie Greenpeace lehnen Kooperationen grundsätzlich ab. Sie ziehen es vor, Konflikte einzugehen, Unternehmen zu kontrollieren und Missstände aufzudecken.
Andererseits fordern die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung mehr Zusammenarbeit von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, weil sonst die globalen Entwicklungsprobleme nicht in den Griff zu bekommen seien. Die Frage, wie sich die Zivilgesellschaft zur Wirtschaft positioniert, ist also relevanter denn je. Zumal Regierungen zunehmend Multi-Stakeholder-Dialoge mit unterschiedlichen Beteiligten fördern – wie etwa das Entwicklungsministerium das Textilbündnis.
Mit der Studie will Venro ein kritischer Brückenbauer sein. Anhand von Interviews mit Vertretern von NGOs und Unternehmen und Fallbeispielen wird gezeigt, auf welchen Wegen NGO bereits Einfluss auf Unternehmen nehmen und wie vielfältig die Beziehungen sind. Martina Schaub von Südwind sagt es so: „Alle müssen sich bewusst sein, dass es Interessensunterschiede gibt, die durch Dialog nicht zu überwinden sind.“ Soll heißen: Wer zu Dialog, Beratung oder Kooperation gewillt ist, muss sich der Risiken bewusst sein. „Es besteht die Gefahr, dass NGO sich als Feigenblatt für die Imagepflege einspannen lassen“, sagt Schaub. „Glaubwürdigkeit ist aber unser größtes Pfund und die sensibelste Währung. Die dürfen wir auf keinen Fall verspielen.“
Rote Linien definieren
Zivilgesellschaftliche Organisationen sollten rote Linien definieren und einen Werterahmen abstecken, auf den sie sich öffentlich berufen können für den Fall, dass die Zusammenarbeit kritisch hinterfragt wird oder in schwierige Fahrwasser gerät. Zudem müssten NGO genau prüfen, ob sich durch ihr Zutun die Lage absehbar verbessert, sagt Schaub.
Gemeinsam größere Wirkung zu erzielen, ist in jedem Fall ein Drahtseilakt. Der Venro-Bericht zeigt aus Schaubs Sicht aber, dass die befragten Organisationen sich der Machtgefälle, Abhängigkeiten und Gefahren bewusst sind. Entscheidend ist eine ausbalancierte Rollenverteilung: Es muss Organisationen geben, die mit der Wirtschaft am Tisch sitzen, und andere, die Kampagnen lancieren, damit Unternehmen Druck aus der Gesellschaft verspüren. In der Venro-Studie heißt es: „Es ist die besondere Aufgabe der Zivilgesellschaft, denjenigen eine Stimme zu geben, deren Anliegen all zu oft missachtet und deren Rechte mit Füßen getreten werden. Verhalten sich die zivilgesellschaftlichen Kräfte dabei nicht auch konfrontativ, wird sich oftmals nichts verändern. Sie müssen Konflikte eingehen und Probleme öffentlich zur Sprache bringen, um die Auseinandersetzung überhaupt in Gang zu bringen.“
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