In dem Bericht „Europas Sweatshops“ prangert CCC schwere Missstände in Schuh- und Modefabriken in Ungarn, Serbien und der Ukraine an. Hersteller suggerieren demnach mit dem Label „Made in Europe“, sie produzierten zu fairen Bedingungen. Vielen der mehr als 110 befragten Arbeiterinnen werde aber weniger als der niedrige Mindestlohn bezahlt. Unter den 1,7 Millionen Arbeitern und Arbeiterinnen in den Bekleidungsfabriken herrsche Armut, viele seien überschuldet, überarbeitet und krank infolge von gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen.
Die Fabriken der befragten Angestellten produzieren unter anderem für Benetton, Esprit, GEOX, Triumph, Vero Moda oder H&M. Zumindest Esprit und H&M gehören dem Textilbündnis an und haben sich darin auf existenzsichernde Löhne verpflichtet. Für zivilgesellschaftliche Organisationen, die neben Politik und Wirtschaft in der vom Entwicklungsministerium gegründeten Initiative vertreten sind, heißt das: Die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist weiterhin groß.
Löhne müssen schrittweise steigen
Berndt Hinzmann vom Inkota-Netzwerk mahnt deshalb, allgemeine Absichtserklärungen müssten im nächsten Jahr konkretisiert werden. Nötig seien Initiativen, die Löhne schrittweise zu steigern. Da das einzelnen Unternehmen nicht möglich sei, müssten Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften gemeinsam mit Zulieferern und Sozialpartnern in den Produktionsländern daran arbeiten. Bei einer Mitgliederversammlung vereinbarte das Textilbündnis dafür „neue Formen der Zusammenarbeit“.
In einer vergleichbaren Initiative werden im südindischen Tamil Nadu in Spinnereien „Change Management Programme“ organisiert, in der Arbeitgeber und -nehmer lernen, miteinander zu kooperieren. Staatliche Kontrollen sollen durch Schulungen der Inspektoren verbessert werden. Unternehmen wie die OTTO-Gruppe sehen aber auch die deutsche Politik gefordert, bei Partnerländern darauf zu drängen, dass bestehendes Arbeitsrecht umgesetzt und gewerkschaftliche Strukturen gestärkt werden.
Denn die Regierungen dort umwerben ausländische Konzerne mit der Aussicht auf Billiglohnparadiese und betreiben noch Wettbewerb untereinander. Von der nächsten Bundesregierung erhofft sich die Zivilgesellschaft im Bündnis darüber hinaus einen höheren Grad an Verpflichtung, bessere Umwelt- und Sozialstandards in der Produktion durchzusetzen.
Nur jede zweite Firma legt eine Roadmap vor
2017 ist das Textilbündnis in die entscheidende Phase getreten. Alle Mitglieder waren aufgefordert, Pläne einzureichen – so genannte Roadmaps –, in denen sie ihre Beiträge ausführen. Einige umsatzstarke Unternehmen, darunter Ernsting's Family, Real, Trigema und Walbusch, haben die Initiative verlassen. Bis Oktober hatten neben der Bundesregierung unter anderem zwei Gewerkschaften, zwölf NGOs, zwei Industrie- und Handelsverbände und 34 Unternehmen geliefert. Damit hat nur jede zweite der weiter im Textilbündnis aktiven Firmen ihre Roadmap veröffentlicht. Das zeigt aus Sicht der Zivilgesellschaft, dass die Mehrheit freiwillig nicht zu einem höheren Maß an Transparenz bereit ist.
Einige Firmen erwähnen in ihren Roadmaps das Ziel existenzsichernder Löhne, ohne zu erklären, wie sie das erreichen wollen. Andere Ziele betreffen den reduzierten Einsatz von Chemikalien, Abwassermanagement oder höhere Ansprüche an Schutz von Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz. Eine Pflicht, die Pläne zu veröffentlichen, besteht erst ab 2018. Dann müsse klarer sein, wie die Ziele erreicht werden sollen und wie Fortschritte gemessen werden, fordert Inkota. Andernfalls könnten Verbraucher nicht vergleichen und beurteilen.
Allerdings ist das ohnehin schwierig, so wie das Bündnis angelegt ist. Da bei den zu erreichenden Zielen keine für alle gültigen Mindeststandards als Ausgangspunkt definiert sind, messen alle Mitglieder sich an eigenen Ausgangspunkten. Externe Prüfer bewerten, ob plausibel ist, was Unternehmen und Organisationen sich vornehmen. So sind weder die Roadmaps vergleichbar noch die sogenannten „Performance Steckbriefe“, die am Ende die Leistung bewerten.
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