Konzernverantwortungsinitiative
Konzerne mit Sitz in der Schweiz sollen auch im Ausland Menschenrechts- und Umweltstandards einhalten. Der Nationalrat zeigt sich offen dafür, verbindliche Regeln im Aktienrecht zu verankern – und hofft so, die Hilfswerke zum Rückzug der Konzernverantwortungsinitiative zu bewegen.
Die Volksinitiative war 2016 mit mehr als 120.000 Unterschriften eingereicht worden. Sie will den Bund dazu verpflichten, Maßnahmen zur Respektierung der Menschenrechte und der Umwelt durch die Wirtschaft zu treffen. Das Anliegen ist in der Bevölkerung populär: Ende 2017 hätten mehr als drei Viertel der Schweizerinnen und Schweizer laut einer Umfrage der Trägerorganisationen bei einer Volksabstimmung mit Ja gestimmt. Im Parlament wurde deshalb der Ruf nach einem Kompromiss immer lauter.
Auch wirtschaftsnahe Politiker sahen ein, dass es in einem Abstimmungskampf schwierig zu erklären sein wird, weshalb für Multis wie Glencore im Ausland weniger strenge Regeln gelten sollen als im Inland. Die Rechtskommission des Nationalrates hat deshalb Gesetzesanpassungen im Aktienrecht erarbeitet, die Mitte Juni von der großen Kammer des Schweizer Parlaments beraten werden sollen. Ziel ist es, die Träger der Initiative zum Rückzug zu bewegen und somit eine Volksabstimmung zu vermeiden.
Diese zeigen sich kompromissbereit, wollen aber die Ratsdebatte abwarten, bevor sie Zugeständnisse machen. Denn die Anpassungen des Parlaments gehen in mehreren Punkten weniger weit als die Initiative: So soll die Haftung für das Verhalten von Lieferanten ausdrücklich ausgeschlossen werden, während die Initiative die ganze Lieferkette einschliesst. Weiter sollen die Unternehmen nur für Schäden an Leib und Leben haften, und nicht für die Verletzung von Umweltstandards. Zudem will die Kommission die Sorgfaltsprüfung nur für große Unternehmen ab einer Bilanzsumme von 40 Millionen Franken, einem Umsatz von 80 Millionen Franken oder ab 500 Vollzeitstellen einführen.
Die Regierung will von dem Vorschlag nichts wissen
Trotzdem ist es bemerkenswert, dass der bürgerlich dominierte Nationalrat überhaupt gesetzliche Regeln schaffen will. Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse wehrt sich weiter heftig dagegen. Die vorgesehenen Haftungsbestimmungen seien ein „Einfallstor für Klagen aus dem Ausland“ und machten die betroffenen Schweizer Unternehmen „international angreifbar und erpressbar“, warnt der Verband in einem Brief an die Mitglieder der Rechtskommission.
Bei der Regierung hatte das Lobbying Erfolg: Anders als das Parlament will der Bundesrat nichts von einem Gegenvorschlag zur Initiative wissen. Die Regierung schlägt lediglich die Einführung einer Anti-Korruptionsklausel im Aktienrecht vor. Ob das Plenum des Nationalrates im Juni seiner mutigen Kommission folgen wird, ist noch offen. Umstritten ist vor allem die Frage, wie weit die Haftungsregeln gehen sollen. Doch herrscht bei den Parteien ein breiter Konsens darüber, dass das Parlament den Trägern der Initiative eine Brücke bauen muss, um eine Volksabstimmung abzuwenden.
„Gleiche Regeln für alle“
Gespräch mit Lorenz Isler, Nachhaltigkeitsmanager bei Ikea Schweiz
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„Gleiche Regeln für alle“
Gespräch mit Lorenz Isler, Nachhaltigkeitsmanager bei Ikea Schweiz
Im Gegensatz zum Wirtschaftsdachverband ist Ikea Schweiz für die Einführung verbindlicher Richtlinien bei der Einhaltung der Menschenrechte und beim Schutz der Umwelt. Weshalb?
Wir haben uns weder für noch gegen einen Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative entschieden. Unser Ausgangspunkt war unser Verständnis für verantwortungsvolle und moderne Unternehmensführung. Unternehmen spielen eine wichtige Rolle bei der Einhaltung der Menschenrechte und dem Schutz der Umwelt. Die Basis für unsere Arbeit mit Lieferanten auf der ganzen Welt bilden die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, dahinter stehen wir. Als international tätiges Unternehmen beschäftigt uns das Thema nicht nur in der Schweiz. Deshalb begrüßen wir die Debatte rund um die Konzernverantwortungsinitiative und setzen uns für eine Variante ein, die international trag- und umsetzbar ist und keine Schweizer Insellösung wird.
Inwiefern kann Ikea Schweiz sicherstellen, dass es in den Lieferketten nicht zu Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen kommt?
IWAY ist unser weltweit gültiger Verhaltenskodex, der auf Basis der UN-Leitprinzipien entwickelt wurde. Seit mehr als 15 Jahren aktualisieren wir damit unsere Mindestanforderungen hinsichtlich Umwelt-, Sozial- und Arbeitsbedingungen. Es ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Lieferantenbeziehung und als solcher ein Teil des Geschäfts. Wir unterscheiden dabei zwischen Unternehmen, die IWAY vollständig erfüllen und Lieferanten beziehungsweise Partnern, die wir auf dem Weg dorthin begleiten. Unterstützt wird der gesamte Prozess durch eine enge Zusammenarbeit mit den jeweiligen Lieferanten. Als Kontrollmechanismen nutzen wir angekündigte und unangekündigte, eigene sowie externe Audits – weit über 1000 pro Jahr. Unsere Lieferanten registrieren ihre Zulieferer und verpflichten sich, bei diesen ebenfalls Überprüfungen durchzuführen.
Ikea setzt sich freiwillig für soziale und umweltbezogene Standards ein, wieso braucht es denn verbindliche Regeln?
Weltweite Geschäfte sind komplex. Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen können nur dann wirksam bekämpft werden, wenn angemessene Sorgfaltsrichtlinien und -prozesse eingeführt werden. Unserer Ansicht nach reichen freiwillige Initiativen nicht, um für alle Unternehmen dieselben Spielregeln zu etablieren. Die Rolle von NGOs und Regierungen ist dabei zentral. Erstere können auf Missstände aufmerksam machen und uns dabei helfen, unser aktuelles Verständnis über verantwortungsvolle Geschäftsführung weiter zu entwickeln. Letztere übernehmen eine Vorreiterrolle mit hohen Standards im öffentlichen Auftragswesen und können für alle verbindliche Regeln etablieren.
Das Gespräch führte Theodora Peter.
Nicht alle Unternehmen wehren sich gegen die Einführung verbindlicher Sorgfaltspflichten. Insbesondere in der Westschweiz ist das Bewusstsein, dass es Regeln braucht, ausgeprägter. Der dortige Verband multinationaler Unternehmen GEM, dem unter anderem der Genfer Erdölhändler Vitol angehört, bekannte sich zu den ethischen Grundprinzipien der Initiative, wünscht sich aber eine „pragmatischere Alternative“. Er unterstützt den parlamentarischen Gegenvorschlag und hofft auf einen Rückzug der Initiative.
Ikea-Schweiz nimmt keine Stellung zum Gegenvorschlag. Doch auch der international tätige Möbelkonzern setzt sich für Regeln ein, die „international trag- und umsetzbar sind“, wie Nachhaltigkeitsmanager Lorenz Isler erklärt. Freiwillige Initiativen reichten nicht, um für alle Unternehmen die gleichen Spielregeln zu etablieren. Hilfswerke und NGOs spielten eine zentrale Rolle. Während NGOs auf Missstände aufmerksam machen könnten, übernähmen Regierungen „eine Vorreiterrolle mit hohen Standards“ und „können für alle verbindliche Regeln etablieren“.
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