„Die Meinungsfreiheit ist nicht mehr das Problem“

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Mit dem Zug durch Kamerun
Schriftsteller in Kamerun
Wo Schriftsteller in Kamerun vorsichtig sein müssen und warum die Opposition stets verliert. Ein Gespräch mit Enoh Meyomesse.

Enoh Meyomesse ist vielseitig: Er hat Lyrik und Romane publiziert, aber auch Bücher zu Politik und Geschichte seines Heimatlandes geschrieben – meist auf Französisch. Einmal wollte er gegen den langjährigen Staatspräsidenten Paul Biya zur Wahl antreten. Von der Opposition und seinen Schriftsteller-Kollegen in Kamerun hat er keine hohe Meinung.

Werden Ihre Bücher in Kamerun gekauft und gelesen?
Oh ja, unter anderem über Amazon. Ich verkaufe jeden Monat mindestens 25 Exemplare. Das wäre in Europa lächerlich wenig, aber für ein afrikanisches Publikum ist es sehr viel. Meine Bücher, die in Kamerun verlegt werden, kosten drei oder vier Euro und von einigen verkaufe ich rund tausend Exemplare, vor allem in der Hauptstadt Yaoundé. Viele Leser sind Staatsbedienstete – der öffentliche Dienst ist der größte formelle Arbeitgeber in Kamerun – oder leitende Angestellte großer Firmen.
 
Obwohl Sie die Regierung scharf kritisieren?
Ja. In Kamerun herrscht heute weitgehende Meinungsfreiheit. Sie hat noch Grenzen – wenn man den Präsidenten kritisiert oder gar beleidigt, macht man sich großen Ärger. Aber Kritik an den Zuständen im Land ist kein Problem. Das Problem ist nicht mehr die Meinungsfreiheit, sondern wie ein Machtwechsel zustande kommen kann. Da bin ich sehr kritisch gegenüber meinen Kollegen in der Opposition. Sie behaupten jedes Mal, die Wahlergebnisse seien gefälscht. Aber so wie die Opposition jetzt funktioniert, kann sie keine Wahl gewinnen. Wir sind schlecht organisiert, uns fehlt der Sachverstand, wir improvisieren. Uns fehlt es an Seriosität – anders als der Opposition etwa in der Elfenbeinküste, im Senegal, in Benin.
 
Sie haben bei der Präsidentschaftswahl 2011 kandidiert...
Ich wollte, aber meine Kandidatur wurde von den Behörden nicht akzeptiert. Präsidentschaftswahlen sind eine gute Bühne, seine Meinung zu verbreiten, auch wenn man nicht davon ausgeht, dass man gewinnen kann.
 
Wenn Meinungsfreiheit herrscht, wieso haben Sie für Ihre politische Haltung mehr als drei Jahre im Gefängnis gesessen?
Da ging es um eine persönliche Abrechnung. Ich komme aus derselben Gegend wie Präsident Biya, und viele seiner Vertrauten betrachten mich als Verräter, weil ich als jemand aus derselben Gegend gegen ihn kandidieren wollte. Einer seiner Minister hat die Aktion gegen mich organisiert.
 
Normalerweise lebt man in Kamerun als Schriftsteller nicht so gefährlich?
Nein. Gefährlich wird es, wenn man zum Beispiel die Frau des Präsidenten als Prostituierte bezeichnet oder schreibt, dass der Präsident Geld gestohlen hat. Damit wird Kritik zu einer persönlichen Angelegenheit zwischen Ihnen und dem Staatspräsidenten. Ein Kollege, der inzwischen leider gestorben ist, war sehr kritisch gegenüber Freimaurern und Rosenkreuzern. Er hat im Fernsehen Minister angegriffen, die diesen Geheimbünden angehörten, und ihre Namen genannt. Ich habe ihm gesagt: Sei vorsichtig! Sprich lieber allgemein über Korruption, Unterschlagung und Sittenverfall.
 
Aber es ist kein Problem, solange der Name nicht auftaucht – auch wenn jeder versteht, wer gemeint ist?
Genau. In einem Roman beschreibe ich einen Vertrauten des Staatspräsidenten so, dass alle ihn erkennen. Aber ich nenne seinen Namen nicht. Darüber dürfte er sich amüsiert haben. Und er kann mich nicht wegen Verleumdung vor Gericht zerren. Zumal ich das Ganze nicht in Yaoundé spielen lasse, sondern mir ein fiktives Land ausgedacht habe. Dieses Buch habe ich gut verkauft. Wenn Sie so wollen, ist das eine Methode, der Staatsgewalt auszuweichen. In Afrika ist der Staat von Gewalt gekennzeichnet. Wenn man in einer Position der Schwäche ist, ist es nicht klug, ihm frontal entgegenzutreten; dann wird man zermalmt. Man muss Umwege suchen.
 
Engagieren sich viele Autoren und Künstler in Kamerun auch politisch?
Ja. So viele Schriftsteller gibt es dort aber nicht. Ich könnte vielleicht zehn Namen nennen. Das liegt daran, dass man mit Texten kaum Geld verdienen kann. Und wer als Staatsbediensteter ein Gehalt hat und daneben Bücher schreibt, kann sich Ärger zuziehen, zum Beispiel eine Beförderung gefährden. Darüber hinaus braucht man Energie, um ein Buch zu schreiben – man muss sich konzentrieren, Recherchen machen. Ich habe Verständnis, dass das nicht viele tun, denn es zahlt sich nicht aus. Stattdessen wiederholen sie dann das alte Lied, dass Afrika von Europa ausgebeutet wird, oder Geschichten über die Landflucht. Unsere Autoren machen sich zu wenig Mühe, viele sind faul. Ich arbeite manchmal an einer Seite vier, fünf Tage und verwerfe sie dann, wenn ich nicht zufrieden bin.
 
In Kamerun wird dieses Jahr wieder gewählt ...
Aber ich kandidiere nicht.
 
Erwarten Sie denn einen Wechsel an der Staatsspitze? Staatspräsident Biya ist ja schon 85 Jahre alt.
Nach meiner Kenntnis kann zurzeit niemand Biya in Wahlen schlagen. Wir müssen warten, bis er stirbt. Die Opposition hat für einen Sieg nicht die Mittel, und es fehlen überzeugende Persönlichkeiten.
Im anglophonen Südwesten Kameruns verlangt jetzt eine Aufstandsbewegung einen eigenen Staat.
 
Überrascht Sie das?
Überhaupt nicht. Kamerun war bis zum Ersten Weltkrieg deutsche Kolonie und kam danach teils unter französische, teils unter britische Herrschaft. Die Franzosen haben, um die deutsche Verwaltung zu ersetzen, Elsässer ins Land geholt, denn die sprachen Französisch und Deutsch. Es gab aber kaum Briten, die Deutsch sprachen. Die Briten haben daher ab 1920 zahlreiche Nigerianer aus ihrer benachbarten Kolonie in ihren Teil Kameruns gebracht. So kommt es, dass die anglophone Bevölkerung Kameruns aus zwei Teilen besteht: denen, die ich echte Kameruner nenne, und den Nigerianern der zweiten, dritten, vierten Generation. Die verlangen jetzt einen eigenen Staat.
 
Die Rebellen scheinen aber eine gewisse Popularität und Anhängerschaft zu haben.
Oh nein, das täuscht. Die Rebellen brennen Schulen nieder und verbreiten Angst. Wenn sie die Leute auffordern, aus Protest zu Hause zu bleiben, und die tun das, dann beruht das auf Einschüchterung und Gewalt.
 
Gibt es auch unter Schriftstellern und Intellektuellen in Kamerun Spannungen zwischen Anglophonen und Frankophonen?
Es gibt frankophone Intellektuelle, die die Sezessionisten unterstützen.
 
Wieso denn das?
Weil wir in der Opposition ratlos sind, wie man Biya loswird. Einige glauben, wenn sie die Sezession unterstützen, wird die Regierung stürzen und wir können die Macht übernehmen. Aber das wird nicht funktionieren. Im Sudan hat es eine Sezession gegeben, ohne dass die Regierung gehen musste. Und selbst wenn Biya stürzt, heißt das nicht, dass wir an die Macht kommen – siehe Mugabes Sturz in Simbabwe. Unsere Aufgabe wäre, ein alternatives Programm für das Land zu erarbeiten und es der Bevölkerung vorstellen, aber dazu sind wir nicht fähig.
 
Versuchen Sie von hier aus, in Kamerun politisch Einfluss zu nehmen?
Nein. Das ist weit weg und nicht so einfach. Und ehrlich gesagt, ich konzentriere mich auf Bücher. Ich bin jetzt 64 Jahre alt und zum Glück noch gesund. Ich habe vielleicht noch fünf oder zehn produktive Jahre und will noch einige Projekte abschließen. Und wenn ich wählen muss, Autor oder Politiker zu sein, dann wähle ich den Autor. Warum? Alle Welt kennt Platon, aber wer weiß noch, wer damals in seinem Land regiert hat? Die ganze Welt kennt Karl Marx, aber wer kann die Namen derjenigen nennen, die damals regiert haben? Bücher verändern die Welt.
 
Was schreiben Sie zurzeit?
Ein Roman steht kurz vor dem Abschluss. Und ich arbeite an einem weiteren Band meiner Geschichte Kameruns und fahre jetzt nach Aix-en-Provence, um Akten aus der französischen Kolonialzeit einzusehen.

Ihr Stipendium geht im September zu Ende. Was planen Sie für danach?
Ich muss sehen, ob ich gefahrlos zurückkehren kann. Sonst werde ich versuchen, als freier Autor in Deutschland zu bleiben. Von den Tantiemen meiner Bücher und anderem wie Lesungen sollte ich hier leben können.

Das Gespräch führte Bernd Ludermann.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2018: Kunst und Politik: Vom Atelier auf die Straße
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