Mit schönen Künsten gegen den Terror

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Irak
Im Irak spannt die Regierung Künstler für den Kampf der Nation gegen den Islamischen
Staat ein. Heldengedichte und Theaterstücke sollen die Moral in der Armee heben –
und deren Ansehen in der Öffentlichkeit.

Als sich die irakischen Sicherheitskräfte im Februar 2017 auf die Rückeroberung des Westteils von Mossul vorbereiteten, berichtete „Khaimat al-Iraq“, die Zeitung des Verteidigungsministeriums, von der Wiedereröffnung des irakischen Armeetheaters. Es hatte zu Zeiten von Saddam Hussein mit Musicals und Theaterstücken für Unterhaltung gesorgt. Der Artikel sprach von einem ambitionierten Gemeinschaftsprojekt des Verteidigungs- und Kulturministeriums mit großer Bedeutung für „die Siege unserer Armee und die moralische Unterstützung unserer heldenhaften Kämpfer“.

Inmitten blutiger Kämpfe wirkt eine solche Ini­tiative auf den ersten Blick verwunderlich, wenn nicht gar als Kräfteverschwendung. Doch wenn man sich die Veröffentlichungen des Verteidigungsministeriums näher anschaut, stellt man fest, dass Kunst- und Kulturprojekten offenbar eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) und für den Wiederaufbau des Landes zugeschrieben wird. Im Vergleich mit Problemen wie dem Ausbruch eines sunnitischen Aufstands oder der Zukunft der schiitischen Milizen mag die Sicherheitsrelevanz von Kunst und Kultur nicht so offensichtlich erscheinen. Sie ist aus irakischer Perspektive jedoch durchaus gegeben.

Die Medien des irakischen Verteidigungsministeriums, zu denen auch der Fernsehsender „Himaat al-Iraq“ gehört, räumen Kunst und Kultur breiten Raum ein. Zwischen Juli und August 2017 erschienen rund 90 Beiträge aus diesem Bereich: Heldengedichte, Artikel über Kampagnen, Städte mit Hilfe von Kunst wiederzubeleben, Ankündigungen kultureller Veranstaltungen im Rahmen von Siegesfeiern über den IS – und sogar eine Fernsehserie, die den Kampf irakischer Bürger an der Seite der Armee zur Rückeroberung der Stadt Dhuluiya vom IS zum Thema hat.

Die Kulturveranstaltungen finden häufig unter Beteiligung von Soldaten statt und werden direkt vom Verteidigungsministerium finanziert. So richtete beispielsweise das Ministerium im Juli 2017 eine Siegesfeier auf der Bühne des Nationaltheaters aus, wo die Streitkräfte mit Musik- und Theaterdarbietungen gefeiert und die Gefallenen geehrt wurden. Solches kulturelles Engagement dient vielen Zwecken zugleich: Es hebt die Moral der Soldaten, sichert die Unterstützung der Öffentlichkeit, stärkt das Nationalgefühl, begegnet der Radikalisierung und verbreitet ganz allgemein ein Gefühl von Sicherheit.

Der Einsatz von Kunst und Kultur zur Förderung der öffentlichen Moral hat im Irak eine lange Tradition. Schon Saddam Husseins Baath-Regime belohnte während des Iran-Irak-Kriegs in den 1980er Jahren Dichter und Schriftsteller, die Kriegspropaganda lieferten, mit Preisen und Vergünstigungen. Das Kulturministerium brachte damals sogar eine „Literatur des Krieges“ genannte Reihe heraus, in der ihre Beiträge veröffentlicht wurden. Die Baathisten spannten praktisch die gesamte Kulturproduktion für ihre Zwecke ein.

Nach dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 konnten die Künstler trotz der unsicheren Lage etwas mehr Freiheit wagen. Als der IS im Jahr 2014 Mossul überfiel, erließ die Kommission für Kommunikation und Medien eine Richtlinie an die Medien, „neben patriotischen Liedern auch Sendungen auszustrahlen, die die Entschlossenheit und den Kampfgeist im Einsatz gegen den Terror zeigen“. Diese Direktive führte zu einer Steigerung der Produktion nationalistischer Musik, wie der Studiobetreiber Samer Taha Salem der „Los Angeles Times“ 2014 berichtete. „Schon früher haben irakische Fußballtrainer patriotische Musik aufgelegt, bevor die Spieler aufs Feld liefen”, sagt Salem. „Jetzt wird das auch für unsere Soldaten gemacht.“

Videos des Verteidigungsministeriums sind oft mit nationalistischer Musik untermalt. Teils handelt es sich um Auftragskompositionen, aber es sind auch Eigenproduktionen dabei. Im April 2017 berichtete „Khaimat al-Iraq“ über ein Heldenlied auf die Antiterrorkämpfer. Amr al-Ali, ein vom Verteidigungsministerium geförderte Sänger, erklärte in einem Interview, er wolle zur „spirituellen Motivation unserer heldenhaften Kämpfer“ beitragen. „Als Künstler ist es meine Pflicht, treu zu meinem Land und zu meiner Armee zu stehen und sie zu unterstützen“, fügte er hinzu.

In ähnlicher Weise spannt das Ministerium die Dichtkunst zur Hebung der Moral ein. „Khaimat al- Iraq“ veröffentlicht allwöchentlich teils von Soldaten verfasste Gedichte, die die irakische Heimat und das Militär glorifizieren; typische Titel sind „Helden des Iraks“, „Männer des Schutzschilds“ und „Euer Sieg ist eine große Freude“. Auch wenn schwer zu messen ist, welchen Einfluss diese Kunst tatsächlich auf die Stimmung in der Truppe hat, die weite Verbreitung solcher Beiträge zeigt doch, dass es sich um ein beliebtes und durchaus erfolgreiches Genre handelt.

Künstlern wird Vertrauen geschenkt

Die Zusammenarbeit mit Künstlern soll auch die Unterstützung der Bevölkerung für das Militär fördern. Die irakischen Sicherheitskräfte haben aufgrund einer langen Geschichte von Machtmissbrauch, Korruption und Mord ein schlechtes Image, Künstlern hingegen wird weithin Vertrauen geschenkt. Kein Wunder, dass die Sicherheitskräfte gerne Künstler zu Wort kommen lassen, die positive Botschaften über sie verbreiten. Als im vergangenen Jahr Armeevertreter eine Gemäldeausstellung besuchten, die siegreiche irakische Soldaten im Kampf mit dem IS zeigte, sagte ein Künstler in dem dazu produzierten Video: „Dies ist das mindeste, was wir tun können, um unsere Streitkräfte zu unterstützen.“ Und ein anderer meinte: „Diese Veranstaltung ist Ausdruck der Liebe, Dankbarkeit und Anerkennung für die irakische Armee und die Opfer, die sie für unser Land und die Befreiung von Mossul gebracht hat.“

Das Verteidigungsministerium nutzt Kunst und Kultur auch, um den Nationalismus unter der Zivilbevölkerung zu stärken. Während der Herrschaft der Baath-Partei förderte Saddam Hussein den Stolz auf das irakische Kulturerbe, zu dem die Hinterlassenschaften der Reiche der Sumerer, Assyrer, Akkadier und Babylonier gehören. Die heutigen irakischen Sicherheitskräfte knüpfen daran an. „Khaimat al-Iraq“ berichtet häufig über die großartigen Leistungen der antiken irakischen Zivilisationen. In ausführlichen Berichten schildert die Zeitung das Engagement von Bürgern, die vom Islamischen Staat teilweise zerstörten archäologischen Stätten von Nimrud zu restaurieren, Bücher für das Museum von Mossul zu sammeln, die Schäden am kulturellen Erbe rund um Bagdad zu dokumentieren oder dem Nationalmuseum des Iraks Kunstschätze zurückzugeben. Solche Initiativen helfen, ein Nationalgefühl zu entwickeln, das dem Islamischen Staat das Wasser abgräbt, indem es eine Alternative zu religiösen und sektiererischen Identitäten bietet.

Die irakischen Streitkräfte weisen unermüdlich auf die Bedrohung der Kunstschätze und damit der kulturellen Identität des Iraks durch die Islamisten hin. Und die schweren Zerstörungen, die der IS bereits an historischen Stätten angerichtet hat, machen es den Streitkräften leicht, sich als Verteidiger der irakischen Nationalidee darzustellen.

Beschäftigung mit Kunst als Alternative zur Gewalt

Außerdem haben Bürgergruppen, die Regierung und die Künstler selbst dafür geworben, der Radikalisierung der Jugend durch Förderung von Sport, Kunst und Kultur entgegenzutreten. Das Verteidigungsministerium folgt dieser Linie. So veröffentlichte „Khaimat al-Iraq“ im Juli 2017 ein Gedicht mit dem Titel „Nein zum Sektierertum ... der Irak ist ein Land für alle“. Im selben Monat berichtete die Zeitung auch über eine Initiative von Jugendlichen, die in Mossul mit Wandgemälden den Frieden und die Sicherheit fördern und ein Zeichen gegen Diskriminierung und Terrorismus setzen wollen. Der Beitrag beschrieb, wie es ein Maler schaffte, sein Talent auch unter den schwierigen Bedingungen des Lebens unter dem IS zu entwickeln – mit der klaren Botschaft, dass Beschäftigung mit Kunst eine sinnvolle Alternative zur Gewalt darstellt.

Schließlich will die Regierung in Bagdad mit der Kunstförderung der Zivilbevölkerung das Gefühl geben, man habe die Sicherheitslage im Griff und dürfe sich nun wieder dem Alltag zuwenden. Genau das möchte auch die Propaganda des Verteidigungsministeriums vermitteln. So zeigt ein typisches Video beispielsweise einen Markt in Mossul nach der Befreiung vom Islamischen Staat. „Heute dokumentieren wir für Sie die Früchte des Siegs“, erklärt der Sprecher. „Alles, was unter dem Islamischen Staat verboten war, ist nun wieder zu haben.“ Er ist umringt von Jugendlichen, und auch ein Polizist mit Maschinengewehr ist im Hintergrund zu sehen.

Eine lebendige Kulturszene schafft Vertrauen in die Sicherheitslage. Das gilt besonders in einem Land wie dem Irak, dessen Kulturleben in 14 Jahren Krieg stark gelitten hat, angefangen mit der Plünderung der Museen im Jahr 2003 bis zur Zerstörung von historischen Kunstschätzen und der Unterdrückung von Künstlern durch den Islamischen Staat. Allein dass es überhaupt wieder eine Kunstszene gibt, fördert das Vertrauen in die Fähigkeit der Regierung, in den vom Islamischen Staat befreiten Gebieten für eine Rückkehr zur Normalität zu sorgen.

Aus diesem Grund räumten die Medien des Verteidigungsministeriums auch Berichten über die Wiedereröffnung von Kultureinrichtungen so großen Raum ein. Im Juli 2017 veröffentlichte die Zeitung des Verteidigungsministeriums einen Artikel über die Wiedereröffnung eines Kulturzentrums in Suwaira, „zeitgleich mit Siegesfeiern“ über den Islamischen Staat; einen Monat später kündigte das Blatt die Wiedereröffnung eines 2003 aus Sicherheitsgründen geschlossenen Theaters in Bagdad an. Die Streitkräfte sorgten für die nötigen Schutzmaßnahmen und leisteten logistische Hilfe.

Kino gegen den Terrorismus

Die Fähigkeit der irakischen Sicherheitskräfte, die Ordnung in der Zeit nach dem Islamischen Staat aufrechtzuerhalten, wird also auch von ihrer Fähigkeit abhängen, Kunst und Kultur zu ihrem Nutzen einzusetzen. Und sie sind nicht die Einzigen, die Kunst zur Öffentlichkeitsarbeit nutzen; die Volksmobilisierungskräfte, die Dachorganisation der zumeist schiitischen Milizen, gehen ähnlich vor. Auch sie umwerben Künstler und fördern Kunst. Im September 2016 richteten sie sogar ein Filmfestival unter dem Slogan „Kino gegen den Terrorismus“ aus. Aber auch die sunnitischen Dschihadisten haben künstlerisches Material als Propagandawerkzeug eingesetzt: Der Islamische Staat wirbt mit Gedichten um Rekruten und versucht seine Kämpfer in der Schlacht mit sogenannten Kampf-Naschids, a cappella gesungenen Propagandaliedern, zu motivieren.

Autorin

Kendall Bianchi

war zuletzt als Forschungsas­sistentin für Nahostpolitik am Washington Institute tätig. Ihr Beitrag ist zuerst in der Zeitschrift „Foreign Affairs“ erschienen.
Verschiedene Gruppen haben also erkannt, welche Vorteile ihnen Bemühungen im Kulturbereich bringen. Dabei muss die Kultur kein Konkurrenzfaktor zwischen dem irakischen Militär und den Volksmobilisierungskräften sein, sie könnte sich im Gegenteil als einigende Kraft erweisen, indem sie letztere stärker in den irakischen Nationalgedanken eingliedert. Einige dieser Milizen bleiben dem schiitischen Iran gegenüber loyal, während andere sich nun verstärkt auf ihre irakische Identität besinnen. Das Verteidigungsministerium kann durch Kooperation im Kunstbereich letztere Gruppen stärken und das Verantwortungsgefühl der Volksmobilisierungskräfte für die Menschen im Irak fördern. Es scheint, als habe man schon damit begonnen: Die Medien des Verteidigungsministeriums berichten über viele kulturelle Veranstaltungen, bei denen den Volksmobilisierungskräften und den Sicherheitskräften gleichermaßen Lob und Anerkennung zuteil wird.

Die irakische Regierung ist gut beraten, die Künste für den Wiederaufbau zu nutzen. Sie sollte aber vermeiden, Künstler zu ihrem Sprachrohr zu machen. Die Freiheit von Kunst und Kultur zu unterdrücken, so wie Saddam Hussein es getan hat, würde dem Anliegen der Regierung widersprechen, eine lebendige Kultur als Pfeiler einer irakischen nationalen Identität darzustellen. Die Iraker haben heute die Gelegenheit, die Kunst zu nutzen, um das Land voranzubringen. Sie sollten sich aber davor hüten, Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.

Aus dem Englischen von Thomas Wollermann.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2018: Kunst und Politik: Vom Atelier auf die Straße
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