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Nasser Al-Sakkaf

Verteilung von Nahrungsmitteln im Jemen.

Jemen
Im Land Vertriebene klagen im Jemen, dass sie keine Lebensmittel vom Welternährungsprogramm erhalten. Dessen Vertreter reden sich mit dürren Worten heraus.

Der Krieg kam im Januar nach al-Kadaha, einer Region westlich der jemenitischen Stadt Taizz. Abdul Rahim al-Shokani und weitere gut hundert Familien flohen in den Bezirk al-Shimayateen gut 70 Kilometer entfernt von Taizz, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz. Das war der nächste Ort, an dem sie sich sicher fühlten. Shokani musste den größten Teil seiner Habe zurücklassen, er hatte keine Zeit, schwere Möbel mit dem Auto abzutransportieren. Kaum schaffte er es, mit seinen sechs Kindern den Kämpfen zu entfliehen – „weil das Leben wichtiger ist als alles andere“, wie er sagt.

„Als wir in al-Shimayateen ankamen, hofften wir, dass uns freundliche Menschen oder Organisationen mit Zelten oder Essen versorgen würden“, sagt Shokani. „Aber wir haben nichts bekommen. Wir lebten etwa drei Wochen unter Bäumen, dann haben uns barmherzige Menschen etwas zu essen gegeben. Wir hatten eine Mahlzeit am Tag, sie bestand aus Brot und Reis.“ Nach mehr als einem Monat sammelten Shokani und andere Familien Plastikplanen, Decken und kaputte Reifen und errichteten provisorische Hütten, die sie zumindest ein wenig vor Sonne und Regen schützen.

In dem Lager in al-Shimayateen leben inzwischen rund 140 Familien. Sie haben keine Arbeit, um Geld zu verdienen, und sind davon abhängig, dass andere sie mit Essen versorgen. Doch einige Organisationen weigern sich, den Vertriebenen zu helfen. Zu ihnen zählt auch das Welternährungsprogramm (WFP), das an die meisten Ortsansässigen eine monatliche Essensration verteilt. Es unterhält ein Zentrum in der Nähe des Vertriebenenlagers, unterstützt jedoch nicht dessen Bewohner.

„Wir sind mehr als einmal zu dem Zentrum gegangen und haben die Mitarbeiter gebeten, uns Lebensmittel zu geben. Sie haben sich geweigert und gesagt, die Hilfe sei nur für die ursprünglich hier Ansässigen bestimmt, nicht für die Vertriebenen“, erzählt Shokani. Das WFP hat die Situation in 7 der 22 Provinzen des Jemen, darunter Taizz, als „Notstand“ eingestuft. Das ist eine Stufe unter dem höchsten Level, „Hungersnot“, auf seiner Skala zur Erfassung der Ernährungssicherheit.

Shokani meint, Hilfsorganisationen verweigerten ihnen die Unterstützung, weil sie nicht über Mittelspersonen einen Draht zu ihnen hätten. „Eigentlich sollten wir für sie Vorrang genießen. Wir sind Vertriebene, wir haben unsere Häuser verlassen und alles, was wir besitzen, wir leben in schäbigen Zelten“, sagt er. Die Märkte im Jemen hingegen sind voll mit Lebensmitteln des WFP und anderer Organisationen. Menschen wie Shokani kaufen sie, weil die Händler sie zum halben Preis anbieten – denn diese Lebensmittel sind von minderer Qualität.

Sadam al-Masah ist Händler auf dem Markt al-Safia, der dem Camp am nächsten liegt. Den 50-Kilo-Sack Reis vom WFP kaufe er für 3000 Jemen-Rial (zehn Euro) und verkaufe ihn für 3500 Jemen-Rial (knapp zwölf Euro), berichtet er. Guten Weizen hingegen verkaufe er für 7000 Jemen-Rial (knapp 24 Euro). „Wohlhabende Menschen wollen die Nahrungsmittel der Hilfsorganisationen nicht essen, weil sie qualitativ schlechter sind. Deshalb kaufen wir sie von ihnen und verkaufen sie den Armen, die nicht so wählerisch sind“, sagt al-Masah.

Die Not wächst

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„Niemand kann bestreiten, dass das so läuft. Manchmal kaufen barmherzige Menschen die Lebensmittel und verteilen sie kostenlos an die Bedürftigen.“ Er hat zurzeit nach eigenen Angaben mehr als hundert Säcke mit Weizen von Hilfsorganisationen auf Lager und will erst einmal keine weiteren kaufen, weil inzwischen viele Leute in das Geschäft von An- und Verkauf eingestiegen sind.

Die meisten der Vertriebenen in al-Shimayateen teilen Shokanis Schicksal. Saeed al-Bolaih erzählt: „Ich habe hier Arbeit gesucht und keine gefunden. Deshalb mussten wir unsere Frauen und Kinder zum Betteln zwingen, damit wir etwas zu essen kaufen können.“ Bolaih ist düster gestimmt, denn Sonne und Regen haben sein Zelt zerstört und er kann sich kein neues leisten. „Wenn ich satt bin, halte ich den Regen aus“, sagt er. „Aber es ist sehr schwer, wenn ich hungrig bin und mit anschauen muss, dass meine Kinder für ihr Essen betteln müssen. Ich appelliere an die Hilfsorganisationen, sich auch um uns zu kümmern.“

"Menschen, die keinen Draht zu den Organisationen haben, sterben"

Doch nicht nur die Vertriebenen, auch manche Einwohner von Taizz werfen den Hilfsorganisationen vor, sie zu vernachlässigen. Der Mittfünfziger Nabil al-Mallah ist bereits im Ruhestand und sagt, er bekomme keine Nahrungsmittelhilfe – im Gegensatz zu seinem Nachbarn, der als Ingenieur in der Ölindustrie arbeitet. „Unregelmäßigkeiten kommen überall vor, aber sie sollten abgestellt werden“, findet er. „Hier in Taizz dauern sie jedoch an und Menschen, die keinen Draht zu den Organisationen haben, sterben.“

Die Bitte um ein Gespräch wies ein wohlhabender Einwohner von Taizz, der Nahrungsmittelhilfe erhält, mit den Worten ab: „Das geht Sie gar nichts an. Sie wollen nur Unruhe in der Gesellschaft stiften.“ Beim Besuch mehrerer Verteilzentren konnte ich jedoch beobachten, dass einige Leute mit ihren eigenen Autos kamen, um Lebensmittel abzuholen, während Bedürftige nichts erhielten.

Autor

Nasser Al-Sakkaf

schreibt als freier Journalist im Jemen für mehrere internationale Zeitungen, Zeitschriften und Webseiten wie Middle East Eye, IRIN, Al Jazeera English und Newsweek Middle East.
Ali Abdulbari, der im WFP-Zentrum in al- Shimayateen die Ausgabe der Lebensmittel überwacht, bestätigte, man gebe das Essen nur an diejenigen, die am Ort ansässig sind, und nicht an Vertriebene. „Wir bekommen Nahrungsmittel entsprechend den Listen, die wir an das WFP senden. Die Vertriebenen stehen nicht darauf, deshalb bekommen sie nichts“, sagt er.

Gespräche mit WFP-Mitarbeitern in anderen Zentren ergaben, dass sie die Empfänger-Listen jeden Monat aktualisiert an das Hauptquartier in Sanaa schicken. Die Einwohner lehnten es jedoch ab, die Namen der Vertriebenen zu ergänzen, sagen sie und Abdulbari bestätigt das: „Wenn wir die Namen aufnähmen, könnten Probleme auftreten. Die Einwohner könnten den Vertriebenen Gewalt antun.“ Um Spannungen zu vermeiden, erhielten auch alle Ortsansässigen Hilfe – egal, ob arm oder reich.

Ein Sprecher des WFP verwies auf die strengen Kontrollmechanismen seiner Organisation, um das Risiko von Fehlverhalten so gering wie möglich zu halten – das gelte sowohl für die Erfassung der Hilfebedürftigen als auch die Verteilung der Lebensmittel. Dennoch könne nicht ganz ausgeschlossen werden, dass Menschen unterstützt würden, die eigentlich keine Hilfe erhalten sollten. In manchen Fällen hätten Empfänger von Lebensmittelhilfe einen Teil ihrer Rationen verkauft, um vom Erlös Kleidung und Medikamente zu erwerben. Vor allem in Taizz sei die Sicherheitslage sehr angespannt, mehrfach hätten Bewaffnete Lebensmittel mit Gewalt an sich genommen. Zugleich wies der WFP-Sprecher den Vorwurf zurück, seine Organisation kümmere sich nicht ausreichend um Bedürftige. Insgesamt würden im Jemen 700.000 intern Vertriebe versorgt.

Abdul Rahim al-Shokani bleibt trotzdem misstrauisch. „Ich traue den Leuten nicht, die für die Verteilung zuständig sind“, sagt er. „Und ich hoffe, man wird untersuchen, warum sie uns das Essen vorenthalten.“

Aus dem Englischen von Gesine Kauffmann.

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erschienen in Ausgabe 11 / 2017: Süd-Süd-Beziehungen: Manchmal beste Freunde
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