Es ist wieder soweit. Verzweifelte Mütter halten ausgezehrte Kinder im Arm, alte Menschen sitzen apathisch vor ärmlichen Hütten, Kadaver von Schafen und Kühen liegen auf der ausgedörrten Erde. In Ostafrika und im Nahen Osten müssen zurzeit rund 21,5 Millionen Menschen hungern – das sind so viele wie die Einwohner von Bayern und Baden-Württemberg zusammengenommen. Die Vereinten Nationen (UN) sprechen von der „schwersten humanitären Krise“ seit ihrer Gründung. UN-Organisationen und private Hilfsorganisationen rufen dringend zu Spenden auf: Bis Juli werden laut dem UN-Nothilfekoordinator Stephen O’Brien insgesamt rund 4,4 Milliarden US-Dollar benötigt, um zu verhindern, dass unzählige Menschen an Hunger sterben.
Wie konnte es dazu kommen? Es ist, als hätte die Welt nichts aus vorangegangenen Hungersnöten gelernt. Vordergründig haben ausbleibende Niederschläge infolge des Klimaphänomens El Nino am Horn von Afrika zu einer langanhaltenden Dürre geführt. Die Bauern können weniger oder gar nichts mehr ernten, die Tiere der Hirten verenden, Nahrungsmittel sind knapp. Das erklärt die Notlage in einigermaßen stabilen Ländern wie Kenia und Äthiopien. Viel kritischer aber ist die Lage aber in Somalia, Nord-Nigeria, im Südsudan und im Jemen: Dort verbirgt sich hinter dem Hunger eine politische Katastrophe. Gewalttaten islamistischer Gruppen wie Al-Shabaab und Boko Haram und grausame Kriege und Bürgerkriege treiben die Menschen in die Flucht. Die ausufernde Gewalt hindert sie daran, ihre Felder zu bestellen und Nahrungsmittel zu produzieren.
Machtkampf auf dem Rücken der Bevölkerung
Deshalb ist hier die Lage am schlimmsten. Im Jemen wissen laut UN mehr als sieben Millionen Menschen nicht, wo sie ihre nächste Mahlzeit herbekommen. Und im Südsudan tragen Präsident Salva Kiir und sein Widersacher Riek Machar ihren Machtkampf ohne jede Rücksicht auf die Not der Bevölkerung aus – und wollen nun auch noch an der humanitären Hilfe kräftig mitverdienen. Mitte März hat die südsudanesische Regierung angekündigt, sie wolle die Preise der Arbeitserlaubnisse für Helfer von 100 auf 10.000 US-Dollar erhöhen.
Mit dieser Mischung aus Naturkatastrophen und menschengemachtem Desaster ist die Staatengemeinschaft überfordert. Mit dem im März 2015 vereinbarten Sendai Framework for Disaster Risk Reduction versucht sie zwar, die Risiken ersterer zu senken und ihre Folgen abzumildern. Es umfasst soziale Sicherungsprogramme ebenso wie Umweltschutz und eine Anpassung der Landwirtschaft an längere Trockenzeiten mit Hilfe von dürreresistentem Saatgut, besserer Verarbeitung und Lagerung der Ernten. Doch um das zu verwirklichen, braucht es handlungsfähige und -willige Regierungen. Und davon sind der Südsudan, Jemen und Somalia weit entfernt. Krieg ist der wichtigste Grund, warum Menschen während einer Dürre nicht nur hungern, sondern verhungern.
Die Forderung nach mehr Geld greift zu kurz
Natürlich geht es bei der gegenwärtigen Katastrophe in Ostafrika und im Nahen Osten auch ums Geld. Und so hat Entwicklungsminister Gerd Müller einen globalen Krisenfonds in Höhe von zehn Milliarden US-Dollar gefordert, um eine schnelle und effiziente Reaktion zu ermöglichen. Diese Initiative greift dennoch aus zwei Gründen zu kurz. Zum einen fließt seit Jahren im Vergleich zur Nothilfe ein verschwindend geringer Anteil der Mittel, die für humanitäre Hilfe bereitgestellt werden, in die Katastrophenvorsorge – obwohl sattsam bekannt ist, dass sich damit nicht nur menschliches Leid, sondern auch beträchtlicher wirtschaftlicher Schaden abwenden ließe. Diese Gewichtung müssten die Geber ändern.
Und zum anderen brauchen in den von blutigen Auseinandersetzungen geplagten Ländern Südsudan, Nigeria, Somalia und Jemen die Hungernden eine ganz andere Form der Unterstützung, wie sie der UN-Nothilfekoordinator O’Brien in einem dramatischen Appell vor dem UN-Sicherheitsrat angemahnt hat. Entscheidend wäre die Bereitschaft der mächtigen Staaten, politische Lösungen für die Kriege dort voranzubringen und Friedensverhandlungen zu ermöglichen.
Doch daran hapert es. Sie bleiben untätig; sei es aus wirtschaftlichen Motiven, aus geostrategischen Erwägungen – so wollen die USA Saudi-Arabien als Verbündeten nicht wegen des Jemen verprellen – oder schlicht aus Desinteresse, weil in Europa wichtige Wahlen anstehen und Amerika jetzt an erster Stelle kommt. Die Regierung Trump hat bereits tiefe Einschnitte bei ihrer Förderung für Programme der Vereinten Nationen angekündigt – dazu zählen auch Blauhelm-Missionen wie die im Südsudan. Die internationale Gemeinschaft darf sich nicht aus ihrer Verantwortung für die Suche nach Frieden und Versöhnung weltweit stehlen. Die Bilder der Verzweifelten am Horn von Afrika müssten Mahnung genug sein.
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