„Wie werden Sie sich persönlich (als Bundeskanzler) in der nächsten Legislaturperiode für die Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs) einsetzen?“ Das ist die erste Frage aus einem Katalog, den der entwicklungspolitische Dachverband Globale Verantwortung den insgesamt 13 Parteien und Listen geschickt hat, die sich am 15. Oktober um den Einzug in den österreichischen Nationalrat bewerben. Nur sechs von ihnen haben realistische Chancen, die Vier-Prozent-Hürde zu schaffen. Neben den etablierten Parteien SPÖ, ÖVP, FPÖ und Grüne sind das die liberale NEOS und die Liste des Grünen-Dissidenten Peter Pilz.
Bis Redaktionsschluss Mitte September hatte keine der Parteien den vierseitigen Fragebogen, der von entwicklungspolitischer Kohärenz über Menschenrechte und Gendergerechtigkeit bis zum Klimaschutz reicht, beantwortet. Aus den Wahlprogrammen kann man aber einige Schlüsse ziehen.
Die Sozialdemokraten heben die Nachhaltigkeitsziele hervor
Während die FPÖ – das ideologische Äquivalent zur deutschen AfD – an Entwicklungspolitik traditionell wenig interessiert ist und auch dieses Jahr keine Ideen hat, haben SPÖ, ÖVP und Grüne das Politikfeld fest im Programm. Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) hat seinen Plan A schon zu Jahresbeginn vorgestellt, als von vorgezogenen Neuwahlen noch keine Rede war. Es ist das umfangreichste Wahlprogramm aller Parteien, das zu jedem Punkt eine Analyse des Status quo liefert und dann Maßnahmen vorschlägt.
Grüne wollen Frauen fördern, die ÖVP die Wirtschaft
„Während globale Armut insbesondere aufgrund der positiven Entwicklungen in Indien und China seit 1990 deutlich gesunken ist, ist die globale Ungleichheit auf Rekordniveau. Die Einkommensungleichheit ist seit 1990 dramatisch gestiegen“, heißt es darin. Das Rezept der SPÖ, das zu ändern, entspricht den Vorstellungen zivilgesellschaftlicher Entwicklungsorganisationen, bleibt aber vage: Die Sozialdemokraten verweisen auf die SDGs und betonen, dass sich auch Österreich zu den Zielen bekannt habe. „Unser Beitrag kann aber nicht nur aus guten Ratschlägen für den Rest der Welt bestehen. Unsere Außen-, Handels-, Klima-, Migrations- und Entwicklungspolitik müssen aufeinander abgestimmt werden.“
Die Grünen gehen einen Schritt weiter. Sie sehen die SDGs nicht nur als „gemeinsame Grundlage, die Ursachen von Armut, extremer Ungleichheit sowie Umweltzerstörung und Klimawandel zu bekämpfen“, sondern fordern Aktion. In Österreich gebe es – anders als in anderen Staaten – keinen Umsetzungsplan und kein Budget dafür. Sie postulieren außerdem, dass für eine nachhaltige Entwicklung und erfolgreiche Friedenspolitik Frauen „in allen Bereichen der Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik“ stärker eingebunden werden müssten.
Die ÖVP geht auf die Nachhaltigkeitsziele nicht ein. Sie sieht die Entwicklungspolitik als Instrument, die heimische Wirtschaft zu fördern: Ziel der Entwicklungszusammenarbeit sei es, Menschen ein selbstbestimmtes Leben und Perspektiven vor Ort zu bieten. „Das bedeutet einerseits die Schaffung von Arbeitsplätzen, um es Menschen zu ermöglichen, sich selbst und ihre Familien erhalten zu können. Hierfür ist die Wirtschaft ein maßgeblicher Partner, wodurch gleichzeitig für österreichische Unternehmen Chancen in neuen Märkten eröffnet werden.“ Auch die Europäische Union solle in der Entwicklungspolitik „nicht nur als ,Global Payer‘ agieren, sondern muss als ,Global Player‘ die eigenen Interessen viel stärker international verfolgen und Außen- und Handelspolitik sowie Entwicklungszusammenarbeit viel enger miteinander verschränken“.
Drei Parteien bekennen sich zum 0,7-Prozent-Ziel
Alle drei Parteien sehen sich dem Ziel verpflichtet, Österreichs Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben. Die ÖVP verspricht zunächst nahezu eine Verdopplung der bilateralen Leistungen auf 155 Millionen Euro, bleibt aber sonst unverbindlich. Die SPÖ will das Ziel gesetzlich verankern, die Grünen fordern einen konkreten Stufenplan.
Die SPÖ will die Entwicklungszusammenarbeit aus dem Außenministerium lösen und dem Bundeskanzleramt zuschlagen. Eine kohärente Gesamtstrategie solle sicherstellen, dass die Hilfe „wirklich dort ankommt, wo sie gebraucht wird“ und entsprechend gesteuert wird. Dazu soll laut SPÖ auch die Liste der Schwerpunktländer überarbeitet werden, zu denen derzeit neben dem Himalaya-Königreich Bhutan und einigen besonders bedürftigen afrikanischen Ländern die wirtschaftlich interessanten Kaukasusstaaten gehören.
Die ÖVP von Sebastian Kurz will Entwicklungszusammenarbeit auch als Druckmittel in der Abschiebungspolitik einsetzen. „Wenn ein Drittstaat abgelehnte Asylwerberinnen und Asylwerber nicht zurücknimmt oder kooperiert, sollen entsprechend auch Zahlungen wie beispielsweise EZA-Mittel an diese Staaten gekürzt oder gestoppt werden“, heißt es im Wahlprogramm.
Annelies Vilim, die Geschäftsführerin der AG Globale Verantwortung, ist gespannt auf die Rückmeldungen der Parteien. Sie hofft, dass diese sich zu „einer engagierten Entwicklungspolitik als bedeutendes Element einer aktiven und solidarischen Außenpolitik bekennen“. Armutsbekämpfung müsse oberstes Ziel der Entwicklungspolitik bleiben. Maßgeblich seien außerdem die Wahrung der Menschenrechte sowie eine auf die SDGs abgestimmte und koordinierte Politik.
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