Mehr weibliche Blauhelme könnten dafür sorgen, dass Frauen und Kinder in Konfliktgebieten besser geschützt sind.
Es ist ein besonders abscheuliches Verbrechen: Soldaten, die vor Gewalt schützen und für Sicherheit sorgen sollen, werden selbst zur größten Gefahr. Seit Jahrzehnten nutzen Blauhelme der Vereinten Nationen (UN) immer wieder die verzweifelte Lage von Mädchen und Frauen in Konfliktgebieten aus, um sie zum Sex zu zwingen. Wie die junge Frau aus der Zentralafrikanischen Republik: Mit 14 hatte sie sich mit einem ugandischen Soldaten eingelassen. Danach war sie schwanger und HIV-positiv. Die Gegenleistung: ein Sack Reis und umgerechnet 17 US-Dollar.
Das ist nur ein Fall unter vielen. Bereits 2005 hatten die UN eine „Null Toleranz“-Politik gegenüber sexuellen Übergriffen durch Blauhelme erklärt. Doch seitdem zählte die Nachrichtenagentur AP bis Anfang dieses Jahres knapp 2000 Anschuldigungen gegen Soldaten und zivile Mitarbeiter von UN-Friedensmissionen. In 300 Fällen seien die Opfer Kinder gewesen. Die Vereinten Nationen selbst sprechen von 311 „bekannten Opfern“ allein im vergangenen Jahr. Und räumen ein: „Wir sind sicher, dass nicht alle Fälle angezeigt wurden.“
Missbrauch von Kindern in Haiti
Neben der Zentralafrikanischen Republik sind gravierende und häufige Übergriffe im Südsudan, in der Demokratischen Republik Kongo und in Haiti bekannt geworden. In dem Karibikstaat hatten Blauhelme aus Sri Lanka laut AP-Recherchen von 2004 bis 2007 systematisch Kinder sexuell missbraucht. Nachdem das aufgeflogen war, wurden die meisten von ihnen ohne größeres Aufsehen nach Hause geschickt. Ins Gefängnis wanderte keiner. Auch in vielen weiteren Fällen kamen die Täter ohne oder mit geringen Strafen davon.
Die Vereinten Nationen geraten durch diese Verbrechen mehr und mehr unter Druck. Ihre Glaubwürdigkeit als Friedensmacht wird zunehmend erschüttert. Bislang sind sie jedoch weitgehend gescheitert mit ihren Versuchen, die Vergehen der Blauhelme einzudämmen oder zu verhindern. Ihr Einfluss ist in der Tat begrenzt: Sie können zwar die Vorwürfe untersuchen, doch die Täter bestrafen dürfen sie nicht. Dafür sind deren Heimatländer zuständig, und die gehen höchst unterschiedlich damit um. Die Appelle verschiedener Generalsekretäre, die Truppen stellenden Länder sollten dafür sorgen, dass sich ihre Soldaten anständig benehmen, haben wenig gefruchtet.
Der portugiesische Diplomat Antonio Guterres, seit Januar 2017 neu an der Spitze der UN, will nun die Gangart verschärfen. Ende Februar hat er eine Strategie vorgelegt, bei der die Sorge um die Opfer im Mittelpunkt stehen soll. Er schlägt unter anderem vor, die Zahlungen der UN einzubehalten, wenn Regierungen Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegenüber ihren Truppen nicht „zeitnah“ nachgehen – und das Geld stattdessen in einen Fonds einzuzahlen, aus dem Opfer entschädigt werden sollen.
Regierungen sollen freiwilligen Pakt schließen
Seine Vorschläge will Guterres am 18. September am Rande der UN-Generalversammlung in ein „High-Level Meeting“ einbringen. Er will die Mitgliedsstaaten zu einem „freiwilligen Pakt“ bewegen, um gemeinsam die „böse Plage“ zu beenden und sich gegenseitig Rechenschaft über die notwendigen Schritte abzulegen. Bei einem vorbereitenden Treffen Mitte Juli befürworteten Vertreter zahlreicher Länder die Vorschläge des Generalsekretärs und schworen erneut einmütig auf die „Null-Toleranz“-Politik der UN.
Doch das sind nur schöne Worte. Mit der Einmütigkeit dürfte es vorbei sein, wenn der Generalsekretär mit Hilfe von Finanzkürzungen den Druck verstärken will, mutmaßliche Täter unter den Blauhelmen zu identifizieren und zu bestrafen. Das werden sich viele Regierungen armer Länder nicht gefallen lassen – ist doch die Entsendung von Soldaten in UN-Missionen für sie eine wichtige Einnahmequelle. Und die reichen Länder, die das Geld dafür zur Verfügung stellen, sind froh über diese Aufgabenteilung, weil sie sonst eigene Soldaten in gefährliche Regionen schicken müssten. Die Gefahr ist groß, dass es auch mit einem neuen Pakt bei leeren Versprechen bleibt – zumal er die Unterzeichner zu nichts verpflichtet.
Wenig konkret bleibt Guterres außerdem bei der Frage, wie sexuelle Übergriffe in UN-Missionen von vorneherein verhindert werden können. Der Ruf nach einer engeren Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und örtlichen Gemeinschaften ist vage. Dabei liegt eine Lösung auf der Hand: mehr weibliche Blauhelme. Deren Präsenz erleichtert nachweislich den Zugang zu den Menschen vor Ort und reduziert das Risiko sexueller Übergriffe. Um ihre Zahl zu erhöhen, könnten die UN sogar erfolgreich Geld als Druckmittel einsetzen: einen Bonus für Länder, die mehr weibliches Personal entsenden.
Neuen Kommentar hinzufügen