Das Herz von einer Last befreit

Simbabwe
In Simbabwe gibt es zu wenig Psychiater. Deshalb kümmern sich Großmütter auf der „Bank der Freundschaft“ um psychisch kranke Menschen.

Die Therapeutin empfängt im Freien, auf einer Holzbank unter einem Baum. Die ältere Frau trägt ein langes braunes Kleid und ein Kopftuch. Ihre Patienten nennen sie „Großmutter“, wenn sie neben ihr Platz nehmen und mit ihr über Gefühle, Depressionen oder andere psychische Beschwerden sprechen. Ganz in der Nähe der Klinik in Highfield, einem armen Viertel im Süden von Simbabwes Hauptstadt Harare, wechseln sich eine ganze Reihe von Großmüttern auf der Parkbank ab. Sie sind geschulte, aber keine ausgebildeten Gesundheitshelferinnen. Sie hören der Frau zu, die geschlagen wird, und schon zwei Mal versucht hat, sich das Leben zu nehmen. Und dem Mann, der Frauen hasst, nachdem er sich mit Aids angesteckt hat. Und der Mutter, die verzweifelt, weil sie vier Kinder alleine großziehen muss. 

Die Bank ist ein sicherer Ort für Menschen, die mit Depressionen kämpfen – in der Sprache der Shona heißt das „kufungisisa“: „zu viel denken“. Das ist Welten entfernt von konventionellen Ansätzen, psychische Erkrankungen zu behandeln, doch das Projekt „Bank der Freundschaft“ hat das Leben von geschätzt 27.000 Simbabwerinnen und Simbabwern verändert, die unter solchen Erkrankungen leiden. Die Großmütter hören zu, nicken und sagen ab und zu etwas Aufmunterndes. Sie sind darin geschult, die Fähigkeiten der Patienten zu stärken, mit Stress umzugehen. Jeder vierte von 15,6 Millionen Simbabwern leidet an einer psychischen Krankheit, doch im ganzen Land praktizieren nur 13 Psychiater. Eine Lösung musste gefunden werden – und sie folgte der afrikanischen Tradition, dass ältere Frauen großen Respekt genießen. 

Die Kliniken untersuchen ihre Patienten auf psychische Krankheiten mithilfe des vor Ort entwickelten Shona-Symptom-Fragebogens. Er umfasst 14 Fragen, darunter „Haben Sie Schlafstörungen?“ oder „Machen Sie sich zu viele Sorgen?“ Wer über einem bestimmten Punktwert liegt, wird an die „Bank der Freundschaft“ überwiesen. Bei denjenigen, die zu den Großmüttern gehen, sinke die Wahrscheinlichkeit für Suizidgedanken deutlich, sagt Doktor Dixon Chibanda, der die Methode mit entwickelt hat.

Ältere Frauen gelten traditionell als Beraterinnen für Jüngere

„Wenn sie die Parkbank zum ersten Mal aufsuchen, setzen sie sich hin und sprechen über ihre Probleme. Während des Gesprächs unterstützen die Großmütter sie dabei, sich auf ein bestimmtes Anliegen zu konzentrieren und zu versuchen, es zu bewältigen. Das nennen wir kuvhura pfungwa, Öffnung der Seele“, erklärt Chibanda. In mindestens sechs Beratungseinheiten werden die Patienten ermutigt, ihre Schwierigkeiten und ihre psychischen Beschwerden zum Ausdruck zu bringen. Ältere Frauen spielen traditionell eine große Rolle als Beraterinnen für jüngere Mitglieder einer Gemeinschaft. Auf der Bank jedoch hören die Großmütter vor allem zu. „Wir haben oft zu ihnen gesagt, mach dies, mach das. Nun bitten wir sie darum, ihre Gedanken und ihre Herzen zu öffnen“, sagt Sheba Khumalo, eine der Therapeutinnen.

Laut Chibanda besuchen vor allem Frauen die Parkbänke. „Wir wissen aus einer aktuellen Studie, dass 40 Prozent von denen, die depressiv sind, häusliche Gewalt erlebt haben.“ Im konservativen Simbabwe sei es schon ein Sieg, wenn man die Menschen dazu bringe, über ihre psychische Erkrankung zu sprechen, meint Joyce Ncube, eine weitere Großmutter. „Viele sind gestorben, weil sie niemand hatten, mit dem sie über ihre Probleme reden konnten“, ergänzt sie und macht es sich für die Sitzung mit ihrem nächsten Patienten auf der Bank bequem. „Wenn Menschen alles in sich verschließen, fangen ihre Schwierigkeiten an.“

Maria Makoni ist arbeitslos und hat drei Kinder. In diesem Jahr hat sie ihre Therapie begonnen. „In unserer Kultur wirst Du verachtet, wenn Du über deine seelische Gesundheit sprichst“, sagt die 49-Jährige. Sie wirkt angespannt, doch wenn sie von den Großmüttern erzählt, leuchten ihre Augen. „Wenn ich mit ihnen rede, ist es, als ob mir eine große Last vom Herzen genommen würde.“ Als Makoni das erste Mal eine „Bank der Freundschaft“ besuchte, war sie überrascht, wie viele andere ihre Probleme teilten. Nun setzt sie sich dafür ein, das Angebot noch mehr Leuten zugänglich zu machen.

Für viele Simbabwerinnen und Simbabwer sind Armut und Arbeitslosigkeit der Grund ihrer Verzweiflung. Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Die Gesellschaft ist religiös und abergläubisch, psychisch Kranke werden manchmal für besessen gehalten. Viele von ihnen werden in charismatische Kirchen oder zu traditionellen Heilern geschleppt, damit die ihnen die Dämonen austreiben.

Autor

Ranga Mberi

ist freier Journalist in Harare. Sein Beitrag ist im Original im britischen „Guardian“ erschienen.
Doktor Chibanda meint, solche Glaubensvorstellungen seien kein Hindernis für eine Therapie – vorausgesetzt, diese ist gut verpackt. „Die Seele öffnen – das hört sich überhaupt nicht medizinisch an. Wir haben die richtigen Worte gewählt, um ein wissenschaftliches Vorgehen verständlich zu beschreiben, und darum wird es akzeptiert“, ist er überzeugt. Die Großmütter sollen eher Freundinnen sein als Ärzte. Zu Beginn nannte sich das Projekt „Bank für seelische Gesundheit“ – und niemand kam. „In dem Moment, in dem wir es in Bank der Freundschaft umbenannten, wurde es akzeptabel, obwohl wir genau dasselbe angeboten haben“, sagt Chibanda.

Experten finden, das Projekt sei ein gutes Vorbild für die Versorgung psychisch Kranker in Entwicklungsländern. In Simbabwe soll es auf 60 weitere Krankenhäuser ausgeweitet werden. „Die Parkbank füllt eine Lücke in der Gesundheitsversorgung“, sagt der Gesundheitsbeauftragte von Harare, Prosper Chonzi. „Wir freuen uns, dass das nun auch von anderen Städten übernommen wird.“

Aus dem Englischen von Gesine Kauffmann.

Permalink

Vielen Dank für das aktuelle Heft mit dem interessanten Thema mental health!

Besonders interessant und ermutigend fand ich den Beitrag zur "Bank der Freundschaft". In der Tat ist der Bedarf nach solchen gemeindebasierten und lokal angepassten Ansätzen sehr hoch.

Ein Punkt, der bei dem Thema nicht direkt vorkam, der uns aber im Kontakt mit Partnern in Krisenregionen auffällt und auch teilweise benannt wird, ist, dass auch Helfer und Seelsorger selbst (seelische) Unterstützung brauchen. Manchmal sind sie selbst so stark belastet, dass sie nur noch bedingt ihre Arbeit tun können. Dies wurde uns z.B. vor 2 Jahren von Ordensleuten in der Zentralafrikanischen Republik signalisiert. So wird jetzt ein Projekt zu mental Health umgesetzt.

Niedrigschwellige sowie professionnelle Angebote für mental health sind eine große Hilfe in der Stärkung der Selbsthilfefähigkeit und für die Gesellschaft und das Zusammenleben insgesamt.

MFG
Annette Funke
(Länderreferentin beim Kindermissionswerk "Die Sternsinger")

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erschienen in Ausgabe 8 / 2017: Wenn die Seele krank ist
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