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Flüchtlinge in Ägypten
Flüchtlinge werden in Ägypten vielfach angefeindet und schikaniert. Die Bundes­regierung will dennoch enger mit dem Land am Nil zusammenarbeiten, um die Flucht nach Europa zu begrenzen.

Es ist ein lauer Abend Ende März in Alexandria. Im Garten hinterm Seemannsheim sagt eine junge Frau voller Verzweiflung: „Ich werde mir ein Boot suchen und übers Meer nach Europa fahren. Ich weiß, dass ich dabei sterben kann.“ Selbst der Tod erscheint ihr besser als das, was sie in den vergangenen Jahren erlebt hat.  „In Syrien fielen die Bomben. Und hier habe ich keine Rechte. Jeder kann mit mir machen, was er will.“ Die Klagende stammt weder aus Syrien noch ist sie auf der Flucht. Sie ist Ägypterin, heißt Salma und zählt zu einer Schauspielgruppe, die sich in einem deutsch-ägyptischen Theaterprojekt mit der Flucht über das Mittelmeer auseinandergesetzt hat.

Das Projekt ist entstanden in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut zum 55-jährigen Bestehen des Seemannsheims, einer evangelischen Anlaufstelle für Seeleute. Dafür haben die neun Schauspieler zahlreiche Flüchtlinge in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft interviewt. Auf deren Aussagen baut das Stück auf.

Keiner der Darsteller hatte sich vorher mit dem Thema näher beschäftigt. „Ich wusste überhaupt nicht, wie schlecht es Flüchtlingen bei uns geht“, sagt Salma nach der Aufführung. „Für mich waren Syrer die Leute von nebenan, die Bedienung im Restaurant oder der Mann aus dem kleinen Laden in unserer Straße. Die sehen ja aus wie wir, können alle Arabisch und scheinen sich gut zu integrieren.“ 

Flüchtlinge leben wie Ägypter?

Die Situation von Flüchtlingen ist für die meisten Ägypter kein Thema. Die Medien berichten selten darüber, und Menschenrechtsorganisationen müssen vorsichtig sein, was sie öffentlich machen. Denn die Regierung von Präsident Abdel Fattah al-Sisi möchte alles vermeiden, was ein schlechtes Licht auf das Land am Nil werfen könnte. Anfang März kam die ägyptische Regierung dennoch nicht um das Flüchtlingsthema herum. Bundeskanzlerin Angela Merkel wollte bei ihrem Staatsbesuch mit den Machthabern darüber sprechen, wie die Flüchtlingsströme über das Mittelmeer gestoppt werden können.

Einen so umfassenden Deal, wie sie ihn im März 2016 für die Europäische Union mit der Türkei abgeschlossen hatte, würde es nicht noch einmal geben. Das war im Vorfeld klar. Dennoch hätte die Bundesregierung gern den Bau von Auffanglagern für Flüchtlinge gesehen, die nach Europa wollten. Doch dieser Idee erteilte al-Sisi eine klare Absage. So etwas werde es nicht geben. „Wir haben fünf Millionen Flüchtlinge, sie leben mit uns, unter uns wie Ägypter“, tönte der Präsident.

Viele fragten sich anschließend, woher diese Zahl kam. Laut dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) leben 185.000 registrierte Geflüchtete in Ägypten. 130.000 von ihnen sind Syrer. Die anderen 55.000 kommen vor allem aus dem Irak, Somalia, Sudan und Eritrea. Wie hoch die Zahl der nicht registrierten und damit illegal in Ägypten lebenden Flüchtlinge ist, kann keiner sagen. Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen variieren zwischen 500.000 und drei Millionen. Dass al-Sisi noch höher gegriffen hat, deuten Kommentatoren und Aktivisten als Versuch, den politischen Druck auf Europa zu erhöhen. Die Höhe der Hilfszahlungen an andere Staaten orientiert sich immer auch an der Zahl der in dem jeweiligen Land vermuteten Flüchtlinge.

Erstaunlich war zudem al-Sisis Aussage, dass Flüchtlinge in Ägypten wie Ägypter lebten. Das ist nicht der Fall. Wer registriert ist, ist zwar wenigstens nicht ganz rechtlos. Er muss allerdings alle sechs Monate seinen Aufenthalt verlängern lassen – eine Prozedur, die nicht nur langes Schlangestehen mit sich bringt, sondern auch immer von der Angst begleitet ist, den Stempel nicht mehr zu bekommen. Wer keinen offiziellen Flüchtlingsstatus hat, gilt als illegal, hat keinen Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem und kann seine Kinder nicht in eine staatliche Schule schicken.

Für nicht registrierte Flüchtlinge ist Schwarzarbeit die einzige Möglichkeit, sich über Wasser zu halten. Menschenrechtsorganisationen berichten von Ausbeutung und sogar Vergewaltigungen durch Arbeitgeber. Genaue Zahlen dazu gibt es nicht. Geahndet werden solche Fälle aber auch nicht. Wer keine Papiere hat, vermeidet alles, womit er den Behörden auffallen könnte. Denn wer erwischt wird, landet in einem der vielen kleinen Internierungslager. Denen kann man nur entkommen, wenn man ein Rückflugticket in die Heimat bezahlt.

Der Alptraum der Seeleute

Die Fahrt über das Mittelmeer ist für Flüchtlinge äußerst riskant. Überlebende sind häufig traumatisiert – und das geht auch vielen Seeleuten so, die mit der Rettung von ...

„Die Internierungslager sind oft nur kleine Arrestzellen von Polizeiposten“, sagt ein Mitarbeiter einer Hilfsorganisation, der auch zur Aufführung in den Garten des Seemannsheims gekommen ist. „Wir wissen nicht genau, wie viele es davon gibt und wie viele Menschen dort derzeit festgehalten werden. Wir schätzen, dass es mehrere Tausend sind.“ Er gehört zu den Wenigen, die Zugang zu inhaftierten Eritreern, Somaliern, Syrern und Irakern haben. Weiterreden will er erst nach der mehrfachen Beteuerung, dass weder sein Name noch der seiner Organisation genannt werden. „Ein Wort zu viel kann unsere ganze Arbeit kaputtmachen“, sagt er.

Mutter mit zwei Kleinkindern: 19 Monate in einer überfüllten Zelle

In den Zellen würden bis zu 40 Menschen auf einmal festgehalten. „Sie müssen in Schichten schlafen, weil es nicht genug Platz gibt.“ Die hygienischen Verhältnisse seien katastrophal. Die meisten Insassen hätten die Krätze, Läuse oder andere Parasiten. Aufgrund des Bewegungsmangels litten viele an Muskelschwund und Kreislaufproblemen. Hinzu komme die einseitige Ernährung. „Psychisch sind die meisten nur noch Wracks“, berichtet der Mann. Er kenne viele Fälle, in denen Flüchtlinge über Monate inhaftiert waren. „Ich habe in einem der Camps eine junge Frau aus Eritrea mit ihren beiden kleinen Kindern kennengelernt. Sie mussten 19 Monate in einer solch überfüllten Zelle warten, bis sie endlich rauskamen“, erzählt er. Eine Aktivistin habe ihr schließlich das Geld für ein Flugticket zurück nach Eritrea gezahlt. Die Frau und die Kinder seien von der Zeit in der Arrestzelle schwer traumatisiert.

Aus Sicht der Bundesregierung stellt sich das alles ganz anders dar. Sie sei froh, dass die ägyptische Regierung verhindert habe, dass Ägypten zum Transitland  für Schlepper geworden sei, die Menschen in die EU schleusen wollten, lobte die Bundeskanzlerin ihren Amtskollegen al-Sisi im März. Ägypten sei ein starker Partner im Kampf gegen Schleuser. Über diese Aussage kann Muhammad al-Kashef nur lachen. Der Menschenrechtsanwalt, der für die nichtstaatliche Organisation „Egyptian Initiative for Personal Rights“ arbeitet, hat viele Interviews mit Flüchtlingen geführt und auch mit Schleusern gesprochen.

„Die Befürchtung, dass mit dem EU-Türkei-Deal syrische Flüchtlinge nun in Massen von Ägypten aus in die Boote nach Europa steigen könnten, ist nicht eingetreten“, sagt er. Je schlimmer die Lage im Nachbarland Libyen werde, desto attraktiver werde Ägypten als Transitland für Menschen aus afrikanischen Ländern. „Für sie ist Ägypten nur eine Zwischenstation, wenn auch eine, in der sie oft Jahre festhängen, bis sie das nötige Geld für die Überfahrt zusammenhaben.“ Zwischen 2500 und 3500 US-Dollar koste ein Platz auf einem der Kähne, hat al-Kashef von Schleusern gehört. Das Risiko, auf der Flucht über das Mittelmeer zu ertrinken, sei sehr hoch. „Das ist den Menschen sehr wohl bewusst, wenn sie in ein Boot steigen.“ Dauerhaft bleiben wolle in Ägypten niemand, der eine dunklere Haut als der Durchschnittsägypter habe, sagt al-Kashef und bestätigt damit, was auch der UNHCR in seinem jüngsten Flüchtlingsreport für Ägypten benennt: eine zunehmende Fremdenfeindlichkeit.

Geringere Fischbestände – ein Grund für die Zunahme der Schleuseraktivität

Al-Kashef hat sich zudem mit einer anderen Seite der Flüchtlingskrise beschäftigt und gefragt, wer eigentlich an den Überfahrten übers Mittelmeer verdient. In einer Studie konnte er den Zusammenhang zwischen der zunehmenden Schleuseraktivität von Kleinfischern und dem Rückgang der Fangerträge in der ägyptischen Küstenfischerei nachweist. „Die Fischbestände vor unserer Küste werden ständig kleiner, weil Hochseefischer in der Zwölf-Meilen-Zone ihre Netze auswerfen. Da ist das Schleusergeschäft ein lukratives Zubrot für die Kleinfischer.“

Autorin

Katja Dorothea Buck

ist Religionswissen- schaftlerin und Journalistin in Tübingen.
Die Internationale Organisation für Migration (IOM) in Rom hat wiederum festgestellt, dass sich die Fluchtrouten aus Afrika verschieben: von Libyen, wo die Zustände in Flüchtlingslagern nach Aussagen von deutschen Diplomaten  denen in Konzentrationslagern der Nationalsozialisten gleichen sollen und wo die Terrorgruppe Islamischer Staat in weiten Teilen das Sagen hat, hin nach Ägypten. „Viele Flüchtlinge, die vom Horn von Afrika kommen, versuchen den Weg über Ägypten zu nehmen. Sie haben Angst vor der Gewalt in Libyen“, sagt der Sprecher der IOM, Flavio Di Giacomo. Besonders Christen aus Eritrea hätten Angst vor dem Islamischen Staat in Libyen.

Die deutsche Regierung hat auf die Gefahr aus Libyen ihre eigene Antwort gefunden. Sie will die Ägypter beim Grenzschutz zu Libyen und beim Seegrenzschutz an der Mittelmeerküste technisch unterstützen. Auch wolle die Bundesregierung mithelfen, die Situation der Flüchtlinge in Ägypten zu verbessern, verkündete Kanzlerin Merkel nach ihrer Rückkehr aus Kairo – mit 500 Millionen Euro in den nächsten zwei Jahren. Noch ist unklar, wie diese Verbesserungen aussehen werden. Eine direkte Zusammenarbeit mit nichtstaatlichen Organisationen vor Ort jedenfalls wird kaum mehr möglich sein. Ende Mai hat Präsident al-Sisi ein Gesetz verabschiedet, das dem Staat weitreichende Kontrollbefugnisse über sie einräumt. Vor allem Organisationen, die Geld aus dem Ausland erhalten, sollen genau unter die Lupe genommen werden und verlieren im Zweifel ihre Lizenz.

In Ägypten kann das heute schon die Folge eines kritischen Wortes über die Politik des Präsidenten sein. Bereits vor der Verabschiedung dieses Gesetzes war Kritik nicht gerne gesehen. Eigentlich hätte die deutsch-ägyptische Theatergruppe des Goethe-Instituts ihr Stück an einem Mittelmeerstrand aufführen wollen – da, wo Menschen auf ihrem Weg nach Europa in ein Boot steigen. Doch die ägyptischen Behörden hatten für so viel Authentizität offenbar keinen Sinn. Mit Verweis auf das Versammlungsverbot erteilten sie der Truppe eine Absage.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2017: Die Wüste lebt
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