Die Frage bringt Mazen Darwish etwas außer Fassung. Ob eine Demokratie nach westlichem Vorbild tatsächlich die beste Lösung für seine Heimat sei, das seit sechs Jahren von einem Bürgerkrieg geplagte Syrien? Jeder Mensch habe das Recht, in Frieden und Freiheit zu leben, das Recht, seine Meinung zu äußern und die Politik mitzugestalten, antwortet er bei einer Podiumsdiskussion auf dem Kirchentag in Berlin. Er klingt bestürzt – als wolle man ihm und seinen Landsleuten mit der Frage, die vor allem Hilflosigkeit verrät, diese Rechte absprechen. Der Journalist und Menschenrechtsanwalt kämpft mit aller Kraft dafür – und ist deshalb vom Assad-Regime ins Gefängnis geworfen und gefoltert worden.
Fast dreieinhalb Jahre war Darwish bis zu seiner Entlassung im August 2015 in Haft. Inzwischen lebt er in Berlin, und sein Kampf geht weiter – er setzt sich dafür ein, dass die Zivilgesellschaft ein größeres Gewicht erhält bei den Bemühungen um ein Ende des Krieges in Syrien. Mitstreiterinnen und Mitstreiter kann Darwish gut brauchen. Denn bei den – gegenwärtig pausierenden – Friedensverhandlungen in Genf und Astana sitzen „einfache Syrer“, wie er sagt, nicht mit am Tisch. In Genf lassen sich die Delegierten der Opposition zwar unter anderem von einem Komitee aus Frauenrechtlerinnen beraten, doch wenn es ernst wird, dürfen die Frauen nicht mitentscheiden.
Lokale Abkommen geschlossen
Dabei erhöht die Beteiligung zivilgesellschaftlicher Kräfte die Chancen auf Frieden und Versöhnung beträchtlich. Das zeigen mehrere lokale Waffenstillstandsabkommen, die etwa für die Städte Zabadani und Al-Waar sowie für verschiedene Viertel der Hauptstadt Damaskus ausgehandelt worden sind. Maßgeblich vorangebracht wurden sie von lokalen Versöhnungskomitees, die sowohl mit der bewaffneten Opposition als auch mit Sicherheitskräften der Regierung zusammenarbeiten. Diese Komitees, an denen Geistliche, Lehrer, Juristen, Ärzte und junge Aktivisten beteiligt sind, genießen großen Einfluss in der Bevölkerung. Der müsste für Friedensinitiativen sehr viel stärker genutzt werden als bislang.
In mehreren syrischen Städten wie Aleppo, Homs, Daara und Damaskus sind seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs 2011 zudem zivilgesellschaftliche Zentren entstanden, die sich für eine pluralistische Gesellschaft, soziale Gerechtigkeit und Freiheit einsetzen – und in manchen Fällen, etwa in Daraa, auch für ganz praktische Dinge wie die Müllabfuhr. Die Aktivisten wollen die Bürgerinnen und Bürger dazu ermutigen, sich gemeinsam für ihre Heimat zu engagieren.
Spenden für die Verfolgung von Kriegsverbrechen
Ob auf Graswurzel-Ebene, bei örtlichen Versöhnungsinitiativen oder in den internationalen Verhandlungen: Die syrische Zivilgesellschaft braucht mehr internationale Solidarität und Unterstützung. Sechs Jahre Krieg und eine undurchsichtige Gemengelage vor Ort, verschärft durch das Eingreifen der Regional- und Großmächte, die den Konflikt für ihre Interessen zu nutzen versuchen – da stellen sich Ermüdung, Resignation und Ratlosigkeit ein, was man als „einfache Deutsche“ für die „einfachen Syrer“ tun kann. Doch es gibt Beispiele: Die Leipziger Gruppe „Adopt a Revolution“ wird nicht müde, zu informieren und Spenden für zivilgesellschaftliche Zentren zu sammeln. Sie unterstützt die Kampagne „Crowd for Justice“, die per Internet zu Spenden für Ermittlungen der Vereinten Nationen zu Kriegsverbrechen in Syrien aufruft. Daran ist auch das Menschenrechtszentrum von Mazen Darwish beteiligt.
Einen anderen Weg des zivilen Engagements verfolgt die Kampagne „Macht Frieden“, zu der sich im vergangenen Jahr 25 Organisationen der deutschen Friedensbewegung zusammengeschlossen haben. Sie fordert einen völligen Abzug der deutschen Soldaten aus der Region, die gerade aus dem türkischen Incirlik nach Jordanien verlegt werden sollen. Die geplanten jährlichen Kosten für den Bundeswehreinsatz zur Bekämpfung des Islamischen Staates in Syrien in Höhe von 134 Millionen Euro sollten stattdessen in zivile Konfliktlösung und humanitäre Hilfe investiert werden. Mit ihren Forderungen wendet sie sich an die Bundestagsabgeordneten; dazu hat sie eine Petition gestartet, die online und offline unterzeichnet werden kann.
Wir können uns informieren, wir können uns Petitionen anschließen, wir können spenden. Und wir Journalistinnen und Journalisten können mehr über örtliche Friedensinitiativen berichten. Vielen Menschen ist das Schicksal der Syrerinnen und Syrer nicht gleichgültig. Mehr als 2000 kamen zu der Kirchentagsveranstaltung über Syrien in den Berliner Dom – am Samstagvormittag und bei strahlendem Wetter. Bleiben wir dran!
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