Viel streiten, wenig regulieren

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G20 und die Finanzmärkte
Die G20 sind ein Kind von globalen Finanzkrisen. Sie sind angetreten, um die Finanzmärkte zu zähmen und solche Krisen zu vermeiden. An dieser Aufgabe sind sie bisher gescheitert.

Die G20 hat sich kurz nach Beginn der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 hohe Ziele gesteckt: Der Zusammenschluss von 19 großen Volkswirtschaften und der Europäischen Union wollte eine neuerliche solche Krise durch eine strengere Regulierung der Finanzmärkte vermeiden. Doch den vollmundigen Ankündigungen folgten nur zögerliche Reformschritte. Fast zehn Jahre danach ist relativ wenig erreicht. Die Risiken auf den Finanzmärkten sind eher gestiegen als gesunken, und von einer einheitlichen Linie der G20-Länder kann keine Rede mehr sein.

Dabei hatte die G20 große Erwartungen in Hinblick auf die Regulierung der Finanzmärkte geweckt. Als Reaktion auf die Finanz- und Wirtschaftskrise führten die G20 Ende 2008 Gipfeltreffen ihrer Staatschefs ein. Zwar hob die Gruppe die Bedeutung von Regulierungen auf der nationalen Ebene hervor. Zugleich betonte sie aber die Folgen der Internationalisierung der Finanzmärkte und setzte auf mehr internationale Zusammenarbeit, um die Nebenwirkungen des grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs zu dämpfen. Ziel war die umfassende Re-Regulierung des Finanzsektors.

Auf den ersten Gipfeltreffen in den Jahren 2008 bis 2011 entstand tatsächlich der Eindruck, dass die Länder der G20 gemeinsame Regeln und Regulierungsansätze anstrebten. Nach ihren Beschlüssen sollten die Aufgaben von multilateralen Institutionen wie des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht ergänzt und erweitert werden. Auf supranationaler Ebene sollten Regeln verhandelt und beschlossen werden, die dann in den Staaten umgesetzt werden sollten. In der Abschlusserklärung des ersten G20-Gipfels in Washington vom November 2008 hieß es, die nationalen Aufsichtsbehörden sollten in allen Fragen der Finanzmarktregulierung, einschließlich des grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs, künftig enger zusammenarbeiten.

Keine Hoffnung auf eine neue Finanzarchitektur

Diesen entschlossenen Ankündigungen folgten aber nur halbherzige Versuche, die Finanzmärkte stärker zu regulieren. Je länger die Krise zurückliegt, desto weniger sind die einzelnen Regierungen bereit, sich auf die Formulierung gemeinsamer Regeln einzulassen. Heute ist klar, dass sich die Hoffnungen auf eine neue, globale Finanzarchitektur zerschlagen haben.

Die Krisen in den USA und in Europa führten zunächst zu einer Abkehr von der mythischen Idealisierung der Finanzmärkte. Allerdings wurde gleichzeitig den nationalstaatlichen Regierungen wieder die Aufgabe zugeschrieben, die außer Kontrolle geratenen Finanzmärkte vor dem selbstverschuldeten Untergang zu bewahren. Seit einigen Jahren verabschiedet sich eine immer größere Zahl von Ländern vom Ziel, Finanzmärkte global und einheitlich zu regulieren.

Allen voran die USA. Schon die Regierung Obama setzte ihre eigenen, auf die Bedürfnisse der USA zugeschnittenen Reformen um, ohne sich mit den anderen G20-Staaten abzustimmen. Schon das Dodd-Frank Gesetz – ein Maßnahmenbündel zur Reduzierung von Übertreibungen auf den Finanzmärkten – wurde von den USA im Alleingang auf den Weg gebracht. Seit 2014 haben sie zudem den bisherigen Konsens in der Bankenaufsicht aufkündigt: Die USA wenden hier das sogenannte Gastlandprinzip an und haben sich vom Heimatlandprinzip verabschiedet.

Was heißt das? Bisher genügte es der US-Bankenaufsicht, wenn eine Bank, etwa die Deutsche Bank, im Heimatland beaufsichtigt wurde und dort Kapital für den Krisenfall vorhielt. Seit 2014 wird jedoch das US-Geschäft ausländischer (Groß-)Banken in den Vereinigten Staaten beaufsichtigt, und sie müssen auch dort das vorgeschriebene Eigenkapital halten. Die USA verlangen damit, dass große ausländische Banken, die in den USA tätig sein wollen, vollwertige Tochtergesellschaften mit entsprechender Kapitalausstattung auf amerikanischem Boden unterhalten. Europäische Großbanken mussten dies akzeptieren: Die amerikanischen Behörden wollen im Falle des Zusammenbruchs einer Bank direkten Zugriff auf deren Eigenkapital haben und so die Risiken für die amerikanischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler reduzieren.

Kampfansage an die Wall Street?

Eine Reaktion der Europäischen Union (EU) hat nicht lange auf sich warten lassen. Im November 2016 stellte die EU-Kommission neue Regeln für ausländische Banken vor, die den Kapitalbedarf von US-amerikanischen und mittelfristig auch britischen Banken erhöhen werden. Das „Handelsblatt“ sprach von einer „Kampfansage an die Wall Street“ und von einem zunehmenden Konfrontationskurs zwischen den Vereinigten Staaten und Europa. Künftig werden ausländische Banken, die mindestens 30 Milliarden Euro in der EU verwalten, ihre Tochtergesellschaften mit eigenem Kapital ausstatten müssen. Kritik der USA wurde mit dem Hinweis gekontert, die US-Finanzaufsicht habe bei der Verschärfung der eigenen Politik wenig Erbarmen mit europäischen Banken gehabt.

Der Dissens zwischen der EU und den USA ist nicht auf das Heimatlandprinzip beschränkt. Seit einiger Zeit können sich die Europäer und die Amerikaner nicht auf die Weiterentwicklung des Regelwerks im Basler Ausschuss für Bankenaufsicht verständigen. Die USA möchten im als Basel IV bezeichneten Maßnahmenbündel die Spielräume der Banken einschränken, eigene Risikomodelle zu verwenden. Dies erscheint auf den ersten Blick vernünftig, weil es gleiche Wettbewerbsbedingungen schafft. Bei genauerer Betrachtung wird aber klar, dass die USA einen bestimmten Wettbewerbsvorteil ihrer Banken ausblenden: Die Risiken aus Hypothekenkrediten werden den privaten Geschäftsbanken in den USA von den staatlichen Förderbanken Freddie Mac und Fannie Mae abgenommen. In Europa müssten diese Kredite wegen des Ausfallrisikos mit mehr Eigenkapital unterlegt werden. Die europäischen Unterhändler verweisen darauf, dass Immobilienkredite etwa in Deutschland sorgfältig geprüft werden. Doch diese Einwände  perlen an den amerikanischen Vertretern bisher ab.

Das Ergebnis dieser sich aufschaukelnden Konfrontation ist die Zersplitterung des internationalen Finanzmarktes in kleinere, voneinander getrennte nationale oder regionale Teilmärkte. Die langfristigen Folgen dieser Entwicklung können heute noch nicht bewertet werden, aber eindeutig stellen die Maßnahmen der USA und der EU eine Zeitenwende dar.

Diversität oder Monokultur?

Das ist nicht zwangsläufig eine gefährliche Entwicklung. Entgegen der Ansicht der meisten Beobachter, die in der Unfähigkeit der G20 zur gemeinsamen Regulierung der globalen Finanzmärkte eine Gefahr sehen, kann diese Entwicklung eine Chance und muss kein Problem sein. Vielfalt in der Finanzmarktregulierung, also von Land zu Land ungleiche Wettbewerbsbedingungen, könnte sich günstig auf die langfristige Stabilität des internationalen Finanzsystems auswirken. Monokulturen erhöhen Risiken, statt sie zu senken. Befürworter von Diversität in der Bankenregulierung begrüßen von Land zu Land unterschiedliche Ansätze und glauben, dass damit das Risiko von Krisen sinkt.

Befürworter eines einheitlichen globalen Regelwerkes sagen dagegen, nur damit könnten Übertreibungen auf den Finanzmärkten vermieden werden. Allerdings ist die Bilanz bisheriger Versuche, durch ein einheitliches Regelwerk die Finanzmärkte zu bändigen, bescheiden. Seit dem Zusammenbruch des Systems von Bretton Woods, das geregelte Wechselkurse und Einschränkungen des Kapitalverkehrs vorsah, in den frühen 1970er Jahren hat es nicht an Konzepten gefehlt, die Finanzmärkte an Übertreibungen zu hindern. Im Basler Ausschuss für Bankenaufsicht arbeiten die Bankenaufseher der wichtigsten Finanzmärkte seit über 40 Jahren an der Verhinderung von Finanzkrisen. Ohne überzeugende Erfolge: Weder die Krisen in Asien 1997/98 noch jene in Brasilien 1999 oder eben die Finanzkrisen in den USA und Europa wurden durch die gemeinsamen Regeln verhindert.

Verantwortlich dafür ist, dass die Finanzindustrie immer wieder erfolgreich Druck auf die nationalen Bankenaufseher ausüben kann. Ihr Argument lautet, dass in anderen Ländern nachsichtiger reguliert werde; damit können nationalen Behörden erfolgreich unter Druck gesetzt werden. Deutlich machte diesen Ansatz der damalige britische Finanzminister und spätere Premierminister Gordon Brown, der Großbritanniens nachsichtige Regulierung vor der Finanzkrise auch noch öffentlich anpries als „light touch regulation“. 

Jenseits der gemeinsamen Regulierung der Finanzmärkte hat die G20 Erfolge aufzuweisen bei einem Thema, das zunächst wenig relevant erscheint: den Kosten für Überweisungen. Für arme Länder spielen Heimatüberweisungen, also Zahlungen von im Ausland arbeitenden Bürgerinnen und Bürgern an die Verwandtschaft zu Hause, eine wichtige Rolle. Für arme Volkswirtschaften, etwa Nepal, Liberia, Tadschikistan oder Kirgistan, machen sie zwischen einem Viertel und einem Drittel der Wirtschaftsleistung aus. Ohne diese Heimatüberweisungen wären die Länder noch deutlich ärmer als ohnehin.

Es ist deshalb wichtig, dass die Kosten für Überweisungen gesenkt werden. Heute sind sie erheblich. Die Kosten für eine Überweisung aus einem G20-Land betrugen im dritten Quartal 2016 durchschnittlich 7,6 Prozent der zu überweisenden Summe. Bei einer Überweisung von 500 Euro kommen demnach nur 462 Euro beim Empfänger an. Dabei variieren die Kosten erheblich: Eine Überweisung aus Russland kostet durchschnittlich 1,7 Prozent, aus Deutschland 8,6 Prozent, aus Japan 11,3 Prozent und aus Südafrika, wo relative viele Arbeitsmigranten aus anderen afrikanischen Ländern leben, volle 17,0 Prozent. Die G20-Länder, aus denen 80 Prozent aller Heimatüberweisungen getätigt werden, wollen diese Kosten senken und haben sich das Ziel einer Reduzierung auf fünf Prozent der Überweisungssumme gesetzt. Bei jährlichen Überweisungen von insgesamt rund 450 Milliarden US-Dollar würden dann immerhin gut 11 Milliarden zusätzlich in Entwicklungsländern ankommen.

Erfolglos bei der Kernaufgabe

Doch dieser Erfolg verblasst neben dem Scheitern der G20 bei der Kernaufgabe der Gruppe, der Schärfung der internationalen Finanzmarktregulierung. Zugleich zeigt sich 2017, dass ein Grundproblem der internationalen Finanzpolitik wieder an Bedeutung gewinnt: Die Wechselkurse der wichtigsten Währungen verursachen ökonomische und politische Konflikte.

Die Regierung Trump hat in den letzten Monaten sehr deutlich gemacht, dass sie mit der gegenwärtigen hohen Bewertung des amerikanischen Dollar unzufrieden ist. Trump selbst hat dies schon mehrfach als Problem bezeichnet. 2017 wird sich die Situation vermutlich weiter verschärfen, weil die amerikanische Notenbank die Zinsen weiter anheben wird, während die Europäische Zentralbank an ihrer Nullzinspolitik festhält. Dies kann zu einem weiteren Anstieg des Dollars führen, was die Wettbewerbsposition amerikanischer Unternehmen sowohl auf dem Heimatmarkt als auch beim Export verschlechtern würde.

Autor

Heribert Dieter

arbeitet in der Forschungsgruppe "Globale Fragen" der Stiftung Wissenschaft und Politik und ist Privatdozent an der Freien Universität Berlin.
Verhindern ließe sich der Konflikt, wenn die Europäische Zentralbank (EZB) parallel zur amerikanischen Federal Reserve Bank die Zinsen anheben würde. Eine Ankündigung von EZB-Präsident Mario Draghi, die EZB werde die Politik der Fed kopieren, würde vermutlich genügen, um eine starke Überbewertung des Dollar zu verhindern. Zugleich hätte das einen für Europas Handelspartner nützlichen Nebeneffekt: Der hohe Leistungsbilanzüberschuss der Eurozone würde sinken, weil ausländische Unternehmen auf dem europäischen Markt wettbewerbsfähiger werden und europäische Unternehmen im Ausland an preislicher Wettbewerbsfähigkeit verlieren würden.

Ein solcher Vorschlag ist indes reines Wunschdenken. Die Leitung der Europäischen Zentralbank nimmt bei ihrer Geldpolitik keinerlei Rücksicht auf die Auswirkungen auf den Wechselkurs des Euro. Auch die Amerikaner haben die Auswirkungen ihrer geldpolitischen Maßnahmen seit 2008 auf andere Volkswirtschaften schlicht ignoriert. Insbesondere Entwicklungs- und Schwellenländer waren hiervon betroffen, weil Rendite suchendes Kapital zeitweise in ihre Länder strömte und für unerwünschte Übertreibungen sorgte: Wechselkurse stiegen an und dämpften die Wettbewerbsfähigkeit dortiger Unternehmen. Zugleich wuchs die Kreditvergabe zeitweise übermäßig, was den Notenbanken die Kontrolle über die Geldmenge erschwerte. Brasilien etwa wehrte sich gegen diese Zuflüsse, indem es zeitweilig eine Steuer von bis zu sechs Prozent auf Kapitalzuflüsse erhob.

Das verweist auf ein Kernproblem der internationalen Finanzpolitik. Wechselkurse lassen sich nur stabilisieren, wenn die einzelnen Volkswirtschaften bereit sind, ihre Geldpolitik untereinander abzustimmen. Wenn diese sich nur an nationalen Zielen orientiert, sind nennenswerte Schwankungen der Wechselkurse unvermeidlich. Wie unrealistisch aber die Forderung nach einer Koordinierung der Geldpolitik ist, zeigt sich daran, dass die G20 diese Frage bei ihrem Treffen in Hamburg noch nicht einmal auf ihrer Tagesordnung hat.

Volkswirtschaften haben daher nur die Wahl zwischen stark schwankenden Wechselkursen und einer Dämpfung des Kapitalverkehrs, etwa mittels Besteuerung nach brasilianischem Vorbild. Die G20 kann deshalb zwar auf Erfolge im Krisenmanagement und bei der Senkung der Kosten von Heimatüberweisungen verweisen. Mit der zentralen Aufgabe, künftige Finanz- und Wirtschaftskrisen zu verhindern, ist die Gruppe der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer jedoch überfordert. Sie scheitert daran, dass die Mitgliedsländer nicht bereit sind, ihre Finanzpolitik zu koordinieren.

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erschienen in Ausgabe 6 / 2017: G20: Deutschland übernimmt
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