Wie sah Ihr Freiwilligendienst aus?
Ich war in Agona Swedru, einer Stadt, in der rund 50.000 Menschen leben. Die Schule, in der ich gearbeitet habe, ging von der Vorschule bis zur neunten Klasse, das entspricht in Ghana der mittleren Reife. Zusammen mit einer anderen Freiwilligen habe ich deren Bücherei betreut, außerdem habe ich mit den Schülerinnen und Schülern lesen geübt. Gegen Ende des Jahres habe ich manchmal Vertretungsstunden übernommen. Eigentlich habe ich ein Jahr Praktikum gemacht: Ich musste eingearbeitet werden, habe nach und nach mehr Aufgaben bekommen, hatte aber nie die volle Verantwortung und war immer den einheimischen Lehrerinnen und Lehrern unterstellt.
Hatten Sie sich das anders vorgestellt?
Nein, für mich persönlich war das gut. Aber viele stellen sich etwas anderes vor - zum Beispiel, dass sie als Lehrkräfte arbeiten können, obwohl sie das in Deutschland ohne Ausbildung nie dürften. Meinem Eindruck nach passiert es auch immer wieder, dass Freiwillige an ihren Einsatzort kommen, die Landessprache nicht können, keine fachliche Qualifikation haben und als Lehrer oder Lehrerin arbeiten – obwohl weltwärts ja vorschreibt, dass keine lokalen Arbeitsplätze mit Freiwilligen besetzt werden sollen.
Wie war die Zusammenarbeit mit den Kollegen vor Ort?
Insgesamt gut. Die Schulleiterin war recht streng, stand uns aber als Ansprechperson immer zur Verfügung. Sie hat uns bei Problemen und kleinen Krisen unterstützt. Die Schule betreut schon länger Freiwillige, die Schülerinnen und Schüler und die Lehrkräfte sind daran gewöhnt.
Denken Sie, Ihre Arbeit hat etwas bewirkt?
Es ist immer hilfreich, wenn in Schulen eine zusätzliche Person da ist, die weder Mitschülerin noch Lehrerin ist. Man kann mit Privatfragen angesprochen werden oder in einer Stunde einen Schüler unterstützen, der gerade nicht mitkommt. Aber das hätte eine Ghanaerin oder ein Ghanaer mindestens genauso gut machen können, eher noch besser, weil sie die örtliche Sprache Fante können. Gut ist natürlich der interkulturelle Austausch, der mit „weltwärts“ auch gefördert werden soll. Es ist allerdings die Frage, wie interkulturell das ist, wenn der Austausch einseitig von Deutschland in den globalen Süden stattfindet und nur sehr selten umgekehrt.
Inzwischen fördert „weltwärts“ ja auch den Süd-Nordaustausch.
Ja, aber das wurde viel später ins Leben gerufen und auch nur, weil die Einbahnstraße Nord-Süd stark kritisiert wurde. Es sind viel weniger Freiwillige aus dem Süden hier als umgekehrt. Und die bürokratischen Hürden sind hoch. Obwohl es ein staatliches Programm ist, haben die jungen Leute Schwierigkeiten, ein Visum für Deutschland zu bekommen, weil sie zum Beispiel ihren Rückkehrwillen nicht beweisen können. Das ist ungerecht und zeigt, wie sehr koloniale Verhältnisse bis heute fortbestehen.
Was hat Ihnen Ihr „weltwärts“-Einsatz persönlich gebracht?
Sehr viel gebracht haben mir die Vorbereitungs- und Nachbereitungsseminare, sie haben mich politisiert. Durch den Aufenthalt in Ghana bin ich sensibler geworden für Ungerechtigkeiten in Gesellschaft und Wirtschaft und ich habe gelernt, wie das mit der Kolonialzeit und ihren Menschenbildern zusammenhängt. Danach habe ich zuerst Politikwissenschaften studiert, doch das war mir dann zu theoretisch, und ich bin zu Sozialer Arbeit gewechselt. Eigentlich wollte ich nicht mit Kindern arbeiten – und jetzt bin ich doch wieder als studentische Hilfskraft in einer Kreuzberger Schule gelandet und finde es schön. Den Job habe ich sicher auch deshalb bekommen, weil ich Erfahrungen in der ghanaischen Schule gesammelt hatte.
Trotz Ihrer guten Erfahrungen haben Sie Kritik an „weltwärts“. Was stört Sie am meisten?
Wichtige Voraussetzung für „weltwärts“ ist eine kritische Vor- und Nachbereitung. Ich bin unsicher, ob das immer funktioniert, ich habe da Verschiedenes gehört. Meiner Meinung nach sollten sich die Teilnehmenden mit Rassismus, Kolonialismus und den globalen Wirtschaftsverhältnissen auseinandersetzen. Sie sollten in die Lage versetzt werden, die Bilder, die sie im Kopf haben, kritisch anzuschauen, über den Haufen zu werfen und neu aufzubauen. Wenn das nicht geschieht, dann ist das kein entwicklungspolitisches Lernen, sondern ein persönliches Abenteuer auf Staatskosten.
Wie sehen Sie die entwicklungspolitische Wirkung?
Freiwillige kosten pro Jahr und Person mindestens 10.000 Euro. Das Geld ließe sich sinnvoller ausgeben. Wenn vor Ort etwas erreicht werden soll, dann funktioniert das nicht über deutsche, unqualifizierte Freiwillige. Gleichzeitig finde ich es wichtig, dass junge Leute Einblicke bekommen in die Verhältnisse im Süden und in globale Zusammenhänge. Viele engagieren sich nach ihrer Rückkehr zu diesen Themen und das ist wünschenswert. Die große Frage ist für mich dennoch: Wie kann man sie dafür interessieren, ohne dass man sie um die Welt schicken muss?
Keine Wirkung im Süden ist das eine – richten Freiwillige auch Schaden an?
Ja, ich denke da zum Beispiel an Kurzzeiteinsätze in Waisenhäusern. Ständig wechselnde Bezugspersonen tun den Kindern nicht gut. Manchmal werden lokale Stellen gestrichen und mit Freiwilligen besetzt. Außerdem steckt hinter diesen Kurzzeiteinsätzen eine unglaubliche Geldmacherei. Schädlich sind auch stereotype Bilder über Länder des globalen Südens, die von manchen Freiwilligen verbreitet werden. Denn ihnen wird Expertise zugeschrieben, sie sind ja vor Ort. Zum Teil sind die Teilnehmenden aber auch selbst enttäuscht – vor allem, wenn sie mit dem Bild des „weißen Helfers“ im Kopf anreisen. Das ist zum einen rassistisch, zum anderen unrealistisch: „weltwärts“-Freiwillige können immer nur auf der individuellen Ebene unterstützen. Vielleicht hat ein Kind mal Mathe verstanden, weil ich es erklärt habe, aber das hat mit Entwicklungspolitik nichts zu tun. Jede Person vor Ort weiß besser, was gebraucht werden könnte. Das muss einem klar sein.
Was könnten die „weltwärts“-Organisatoren besser machen?
Wenn das Programm wirklich entwicklungspolitisches Lernen und Austausch ermöglichen will, muss man sich vor allem auf den Süd-Nord-Austausch konzentrieren. Hier müssen bürokratische Hürden abgebaut werden.
Sie haben bei ijgd schon zwei Vorbereitungskurse mitverantwortet. Was geben Sie den Freiwilligen mit auf den Weg?
Am Anfang des Freiwilligendienstes neigt man dazu, Beobachtungen und Menschen in Kategorien zu sortieren. Das dient der Orientierung. Doch diese ersten Urteile sollte man sich dann noch einmal kritisch anschauen und sich fragen, ob sie stimmen, bevor man sie durch die Welt posaunt.
Also ein Plädoyer für zwei Mal hin schauen?
Ja, und vor allem für Verantwortung. Liebe „weltwärts“-Freiwillige: Ihr seid nicht mehr nur für Euch selbst verantwortlich, sondern auch dafür, welchen Eindruck Ihr auf die Leute vor Ort macht und was Ihr zurücktragt. Nehmt die Verantwortung an oder bleibt zu Hause.
Das Gespräch führte Gesine Kauffmann.
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