Ist „weltwärts“ entwicklungspolitisch sinnvoll?

Seit Anfang 2008 bietet der Freiwilligendienst „weltwärts“ jungen Erwachsenen die Gelegenheit, bis zu zwei Jahre in einem Entwicklungsland zu verbringen und dort in einem Hilfsprojekt mitzuarbeiten. Das Bundesentwicklungsministerium fördert das Programm, Personaldienste wie der Evangelische Entwicklungsdienst oder der Deutsche Entwicklungsdienst vermitteln die Freiwilligen an ihre Einsatzorte. Die Nachfrage ist groß, die Rückkehrer äußern sich begeistert. Aber ist „weltwärts“ mehr als eine attraktive Bildungsmaßnahme für junge Deutsche?

Pro: Ein entwicklungspolitisches Instrument der besonderen Art

Von Jürgen Deile

Die Zahlen sprechen für sich: Bei „weltwärts“ sind mehr als 200 Entsendeorganisationen registriert, Partnerorganisationen im Süden haben gute Erfahrungen gemacht, weitere beteiligen sich. Mit Hilfe einer „weltwärts“-Förderung sind bislang über 6000 junge Freiwillige ausgereist. Freiwilligendienste, Entwicklungsdienste, Entwicklungswerke, Gewerkschaften, Solidaritätsgruppen, Kirchengemeinden, Partnerschaftsgruppen: Viele nehmen teil. Zur Verbesserung der Mitwirkung haben sich Entsendeorganisationen zu Verbünden zusammengeschlossen. Die Qualifizierungsangebote für Zurückgekehrte sind ausgebucht. „weltwärts“ wächst immer noch.

Doch der Erfolg von „weltwärts“ lässt sich nicht allein in Zahlen messen. Die Freiwilligen sind junge Erwachsene mit entwicklungspolitischem Interesse, keine Fachleute, keine Entwicklungshelfer oder -helferinnen. Das eigene Erleben der Folgen von Globalisierung ist ihre Motivation. Sie wollen einen Beitrag zur Entwicklung leisten. Während des Dienstes und nach der Rückkehr. So wirkt „weltwärts“ langfristig.

Maßgeblich für die nachhaltige Wirkung des Förderprogramms ist die Qualität der Freiwilligendienste. Eine wichtige Rolle spielen die Auswahl und Vorbereitung der Freiwilligen, ihre Integration beim Dienstgeber im Einsatzland, die vertragliche Absicherung und Begleitung des Dienstes sowie die Nachbereitung des Einsatzes. Wichtig ist außerdem, dass die Rückkehrer auf ein entwicklungspolitisch aktives Umfeld treffen, in dem sie sich engagieren können.

Autoren

Jürgen Deile

ist Sprecher des „evangelischen Forums entwicklungspolitischer Freiwilligendienst“(eFeF) und Mitglied des BMZ-Beirats für „weltwärts“.

Claudia von Braunmühl

ist Honorarprofessorin für Internationale Politik an der FU Berlin und arbeitet als entwicklungspolitische Gutachterin und Beraterin.

Hohe Standards sichern die Qualität des Dienstes

Das BMZ hat zivilgesellschaftliche Kräfte an der Entwicklung von „weltwärts“ beteiligt. So konnten hohe Standards zur Vorbereitung, Begleitung und Nachbereitung festgeschrieben werden. Die Kriterien zur Anerkennung von Entsendeorganisationen und Einsatzorten sichern die entwicklungspolitische Qualität. Der „weltwärts“-Beirat des Ministeriums dient dem Dialog mit den im Programm kooperierenden Organisationen.

Das Förderprogramm „weltwärts“ gibt dem Freiwilligendienst einen entwicklungspolitischen Rahmen. Besonders wichtig ist die Verknüpfung des Programms mit bestehenden entwicklungspolitischen Aktivitäten. Diese Verknüpfung macht „weltwärts“ zu einem entwicklungspolitischen Instrument der besonderen Art.

Die Freiwilligendienste begrüßen, dass sich der neue Entwicklungsminister Dirk Niebel zu „weltwärts“ bekannt hat und das Programm fortsetzen will. Dennoch: Verbesserungen sind nötig; eine Evaluierung soll bis Ende dieses Jahres abgeschlossen sein. Zum Beispiel sollten die administrativen Verfahren vereinfacht und die zivilgesellschaftlichen Organisationen und Gruppen, die bei „weltwärts“ mitmachen, gestärkt werden.

Überfällig ist zudem die Erweiterung von „weltwärts“ um eine Komponente, die es jungen Menschen aus dem Süden ermöglicht, als Freiwillige in ein Land des Nordens zu gehen; Entsendeorganisationen haben bereits Erfahrungen damit gemacht. Die Vernetzung der Dienstgeber in den Partnerländern mit Programmen dort für junge Erwachsene sollte gefördert werden; das würde „weltwärts“ für die Partnerorganisationen zusätzlich attraktiv machen. Das gemeinsame Lernen von Freiwilligen aus Kenia und Deutschland bei einem Dienstgeber in Kambodscha, also eine Süd-Süd-Komponente, würde das Programm bereichern.

Die guten Erfahrungen mit der Rückkehrarbeit sprechen dafür, Initiativen von Rückkehrern zur entwicklungspolitischen Inlandsarbeit weiter zu stärken. Die Möglichkeit, während der Dienstzeit auch eine Zeitlang in Deutschland zu arbeiten, bietet die Chance, globale Zusammenhänge aus mehreren Perspektiven zu verfolgen. Freiwillige könnten ihren Dienst zum Beispiel sowohl in einem Eine-Welt-Laden in Deutschland als auch bei Produzenten der gehandelten Waren leisten.

„weltwärts“ hat die seit langem bestehenden entwicklungspolitischen Freiwilligen- und Personaldienste, viele Initiativen aus der entwicklungspolitischen Solidaritätsbewegung sowie Partnerschaften der internationalen Ökumene quantitativ und qualitativ in ihrem Engagement gestärkt. Das Programm sollte weiter ausgebaut werden.

 

Kontra: „weltwärts“ hilft deutschen Jugendlichen, nicht aber den Entwicklungsländern

Von Claudia von Braunmühl

„Ich will weltwärts gehen“ – unter diesem Motto stehen auf der Homepage des Programms die Informationen, wer wie teilnehmen kann. Das ist selbstbezüglich, frei von Gedanken der Mitmenschlichkeit, gar der Solidarität: „Ich will“ – die Welt steht mir offen, sie ist für mich da, ich muss nur wollen. Kein Gedanke daran, um welch einseitiges Privileg es sich handelt, mit Geld und einem Visum ausgestattet, in Deutschland wie im Partnerland von einem aufwändig organisierten Begleitapparat unterstützt, in „die Welt“ zu gehen.

Im Dezember letzten Jahres nahm ich an einer Veranstaltung „weltwärts und zurück“ teil. Nichts deutete darauf hin, dass die Welterfahrung der Zurückgekehrten den engen Kreis der Selbstbezüglichkeit verlassen hätte. In einem Film über die Rückkehrer und Rückkehrerinnen war die Rede von sicherlich wichtigen Selbsterfahrungen und dem Kennenlernen Anderer. Die Begriffe Armut oder soziale Gerechtigkeit hingegen kamen nicht vor.

In der 2005 in Paris verabschiedeten Erklärung der OECD über eine wirksamere Entwicklungszusammenarbeit heißt es: „Die Geber gründen ihre gesamte Unterstützung auf die nationalen Entwicklungsstrategien,  Institutionen und  Verfahren der Partnerländer.“ „weltwärts“, aus Mitteln des Entwicklungsministeriums finanziert, verdankt sich jedoch nicht einem von den Entwicklungsländern angemeldeten Bedarf, sondern ist mit seiner gut abgesicherten Auslandszeit ein populistisches Angebot an deutsche ­Jugendliche (90 Prozent der Freiwilligen haben Abitur) und deren Eltern.

Unausgebildete Jugendliche mit geringen Sprachkenntnissen, die, stark mit sich selbst beschäftigt, einer mehr oder weniger umfangreichen Unterstützung bedürfen, treffen kaum den Bedarf von Entwicklungsländern. Die Partnerorganisationen nehmen sie aus Besorgnis vor dem Unwillen der Geber und möglichen Nachteilen notgedrungen hin. Dass die jungen Leute sich dann irgendwie nützlich machen, darf man füglich erwarten.

Mit Hilfe von „weltwärts“ die eigene Karriere fördern

Es geht also sehr viel mehr um Lernen als um Helfen. Tatsächlich legen die Antworten der Bundesregierung auf parlamentarische Anfragen oder auch der „welt­wärts“-Newsletter den Akzent zunehmend auf angesichts der Globalisierung gefragte Kompetenzen wie Weltläufigkeit, Orientierungsfähigkeit und interkulturelle Ein- und Anpassung, die sich mit Hilfe eines „weltwärts“-Einsatzes erwerben ließen. Derlei Kompetenzen sind heutzutage karrierefördernd und werden von Personalchefs geschätzt. Zudem bietet „weltwärts“ Vorteile wie den Zugang zu Stipendien, Kollegs und die vorrangige Behandlung bei der Vergabe von Studienplätzen. Ein wie immer geartetes entwicklungspolitisches Engagement der Freiwilligen ist bestenfalls ein Nebeneffekt.

Die Pariser Erklärung setzt an die vorderste Stelle Eigenverantwortung der Partnerländer. Eigenverantwortung, im Englischen ownership, hat einen großen Stellenwert in den Debatten zu „guter Regierungsführung“, Demokratisierung und der Rolle der Zivilgesellschaft. Indes werden Eigenverantwortung und innergesellschaftliches Engagement in den Entwicklungsländern viel zu wenig unterstützt und genährt.

Statt deutschen Jugendlichen Auslandsaufenthalte zu bezahlen, sollte die Bundesregierung besser in Partnerländern nationale Freiwilligendienste fördern. Innergesellschaftliche Begegnungsprogramme oder solche eines freiwilligen sozialen Jahres würden es Jugendlichen aus den Mittelschichten von Entwicklungsländern ermöglichen, mit Lebenslagen und sozialen Milieus in Kontakt zu kommen, die sie in ihrem Alltag nicht erfahren, schon gar nicht aus der Nähe.

Auch hier kann es keine Garantie geben, dass aus solcher Begegnung ein Engagement erwächst, das auf den Ausbildungs- und Berufsweg ausstrahlt. Zumindest aber sind die Sprachbarrieren niedriger und der kulturelle Orientierungsbedarf geringer als

bei „weltwärts“-Freiwilligen aus Deutschland. Damit sind die Chancen größer, dass derlei Programme einheimische entwicklungsengagierte Führungskräfte hervorbringen – eben jene Frauen und Männer, die als gesellschaftliche und politische Träger von Eigenverantwortung so dringend gebraucht werden.

 

erschienen in Ausgabe 2 / 2010: Der Mensch als Ware
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