Ein unmenschliches Vorbild

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Australiens Flüchtlingspolitik
Die Flüchtlingspolitik der Regierung in Canberra ist grausam und völkerrechtswidrig. Der Internationale Strafgerichtshof sollte deshalb ein Verfahren eröffnen und damit zeigen, dass er nicht nur gegen afrikanische Machthaber vorgeht.

Kürzlich hat eine Gruppe prominenter Menschenrechtsanwälte die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) aufgefordert, mögliche Verbrechen von Vertretern der australischen Regierung und privaten Vertragspartnern zu untersuchen. Dazu legten die Anwälte, angeführt von der juristischen Fakultät der Stanford-Universität, einen 108-seitigen Bericht vor.

Mag sein, dass sich die Damen und Herren aus „Down Under“ neben den vielen afrikanischen Kriegsherren und Machthabern zunächst ein wenig ungewöhnlich ausnehmen als Ziele des ICC. Aber der gut recherchierte Bericht enthält etliche Belege, dass Vertreter wechselnder australischer Regierungen bewusst Verbrechen gegen die Menschlichkeit begünstigt haben. Ihre Opfer sind Menschen, deren einziges „Verbrechen“ ist, in Australien Schutz vor Verfolgung zu suchen. Angesichts der Trends in Europa und nun auch in den USA, die hart erkämpften Schutzvorkehrungen der UN-Flüchtlingskonvention auszuhebeln, ist das für den ICC ein guter Zeitpunkt, die Vorwürfe genauer zu betrachten. Und es ist seine Chance, der Welt zu zeigen, dass er nicht nur Entwicklungsländer im Blick hat, sondern auch Verbrechen entwickelter Nationen.

Die Anschuldigung, Australien begehe Verbrechen gegen die Menschlichkeit, darunter Folter, Deportierung, Verfolgung und andere unmenschliche Behandlung, resultiert aus Australiens Asylpolitik seit den Anschlägen vom 11. September 2001. Im Rahmen dieser Politik, die als „Pazifische Lösung“ bekannt wurde, verhindert die australische Regierung, dass Asylsuchende und Flüchtlinge, die Australien über den Seeweg zu erreichen versuchen, das Festland erreichen. Sie fängt die Menschen ab und bringt sie in Lager auf der kleinen Pazifikinsel Nauru oder auf Manus Island in Papua Neuguinea. Die juristische Konstruktion der Regierung lautet: Weil die Flüchtlinge nie australischen Boden betreten haben, ist Australien nicht im Sinne der UN-Flüchtlingskonvention für sie verantwortlich.

Die Behörden kennen die Verbrechen

Doch die australischen Behörden kontrollieren die vorgelagerten Flüchtlingsunterkünfte de facto: Sie zahlen dafür, sie setzen die Regeln, nach denen sie betrieben werden, und sie heuern die privaten Vertragspartner an, die die Lager führen. Nach wiederholten Versuchen von Whistleblowern, auf Gewalt und Missbrauch in den Lagern aufmerksam zu machen, kann kein Zweifel daran bestehen, dass die australischen Behörden von den Verbrechen wissen, die dort begangen werden. Alles deutet darauf hin, dass eben diese unmenschlichen Bedingungen ein Stützpfeiler der australischen Politik sind.

Autorin

Rebecca Hamilton

ist Assistenzprofessorin für Rechtswissenschaften an der American University in Washington D.C. Davor hat sie beim Internationalen Strafgerichtshof gearbeitet.
In dem Bericht, der dem ICC zugegangen ist, erklärt ein früherer Bediensteter eines der Flüchtlingslager, wie die australische Regierung bewusst grausame Bedingungen in den Camps schaffte und sich zur Abschreckung potenzieller Asylsuchender gezielt auf die Kinder konzentriert. Ein weiterer ehemaliger Angestellter beschreibt die unmenschliche Behandlung in den Zentren als „Grundlage einer Politik“ mit dem Ziel, Asylsuchende davon abzubringen, nach Australien zu kommen. Die australische Regierung unternimmt zudem alles, die Leiden der in den Lagern untergebrachten Leute vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Sie hat Whistleblowing unter Strafe gestellt und den Zugang Asylsuchender zum Rechtsweg eingeschränkt.

Es spricht für die Hartnäckigkeit von Journalisten und Menschenrechtsanwälten, dass dennoch so viele Informationen über die Zustände an diesen abgelegenen Orten an die Öffentlichkeit gekommen sind. Schon vor zwei Jahren urteilte Juan Méndez, der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Australien „ verletzt das Recht von Asylsuchenden, darunter Kinder, frei von Folter, grausamer oder unmenschlicher Behandlung zu sein“. Amnesty International berichtete im Oktober 2016, die australische Politik sei „ausdrücklich darauf ausgerichtet, Hunderten Frauen, Männern und Kindern auf Nauru unermesslichen Schaden zuzufügen“. Die britische Tageszeitung „Guardian“ hat auf der Grundlage geleakter Dokumente ausführlich über die Zustände auf Nauru berichtet.

Von Ausbeutung geprägte Geschichte

Es ist kein Zufall, dass Australien seine Aufnahmelager auf Nauru und auf der Insel Manus betreibt. Beide blicken auf eine von Ausbeutung geprägte Geschichte zurück. Nauru ist mit seinen 20 Quadratkilometern als weltweit kleinste Republik seit langem Spielball äußerer Mächte. Ursprünglich eine Stätte wertvollen Phosphatgesteins, gleicht die Insel nach rücksichtslosem Tagebau einer Einöde, die zu keiner produktiven wirtschaftlichen Tätigkeit mehr taugt. Heute sind die Zahlungen der australischen Regierung für die Flüchtlingslager die wichtigste Einnahmequelle des Landes.

Abgesehen von Gewalt und sexuellem Missbrauch vor allem an Kindern sind die allgemeinen Lebensbedingungen in den Lagern menschenunwürdig. Laut dem Bericht an den ICC ist auf der tropischen Insel Manus das Trinkwasser auf einen halben Liter täglich rationiert. Ein 24-jähriger Asylsuchender aus dem Iran starb nach einer kleinen Blase an der Haut an einer Blutvergiftung, weil die medizinische Versorgung völlig unzureichend ist. Auf Nauru, so der Bericht, schlafen bis zu 50 Flüchtlinge in einem Zelt auf dem Gelände einer stillgelegten Phosphatmine. Der Staub verursacht vor allem bei den Kindern chronische Atemwegserkrankungen.

Der Internationale Strafgerichtshof verfolgt Verbrechen nur dann, wenn das beschuldigte Land sich selbst nicht darum kümmert. Australien könnte ein Verfahren des ICC ganz einfach vermeiden, indem es eigene Untersuchungen einleitet. Doch trotz wiederholter Anschuldigungen weigert sich die Regierung. Für genau dieses Szenario wurde der Strafgerichtshof geschaffen.

Anschuldigungen müssen ernst genommen werden

Viele kritisieren den ICC dafür, dass er während der ersten 15 Jahre seiner Arbeit ausschließlich Verbrechen in afrikanischen Staaten verfolgt und andere Weltregionen ausgespart hat. Mit der Aufnahme von Ermittlungen wegen Verbrechen in Georgien hat sich das zwar kürzlich geändert, aber das Gericht leidet noch immer unter der Wahrnehmung, es agiere hauptsächlich gegen Afrika und sei ein Instrument gegen die schwächsten Staaten.

Mit Ermittlungen aufgrund mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf Nauru und der Insel Manus könnte das Gericht zeigen, dass es bereit ist, schwere Verbrechen auch dann zu ahnden, wenn die Täter aus einer relativ mächtigen westlichen Nation kommen. Zudem dürfen die Anschuldigungen gegen Australien gerade jetzt nicht übergangen werden, da die westliche Welt mit der größten Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg umgehen muss. Das würde weltweit einen beunruhigenden Präzedenzfall schaffen und könnte dazu führen, dass die australische Politik als normal angesehen wird. Wenn der ICC die glaubhaften Belege für Verbrechen gegen Menschen, die von den gefährlichsten Orten der Welt fliehen, nicht wenigstens untersucht, dann stellt sich tatsächlich die Frage: Wozu brauchen wir ihn?

Aus dem Englischen von Barbara Erbe.

Der Beitrag ist im Original in der Zeitschrift "Foreign Policy" erschienen.

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erschienen in Ausgabe 4 / 2017: Die Versuchung des Populismus
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