Die humanitäre Hilfe ist überfordert – und sie wird zunehmend missbraucht. In vielen Konfliktgebieten dieser Erde brechen kriegführende Parteien und ihre Verbündeten das humanitäre Völkerrecht, wie es ihnen gefällt. Sie werfen Bomben auf Schulen und Krankenhäuser und verweigern hungernden Menschen die dringend benötigten Lebensmittel. Im Jemen sind inzwischen mehr als die Hälfte aller Gesundheitseinrichtungen geschlossen oder können nur noch eingeschränkt arbeiten, das Kinderhilfswerk Unicef hat bis Ende November 84 Angriffe auf Schulen in Syrien dokumentiert, bei denen 69 Kinder getötet und viele weitere verletzt wurden.
Humanitäre Helfer müssen versuchen, die verheerenden Folgen politischen Versagens zumindest abzumildern. Dabei geraten sie immer öfter selbst zwischen die Fronten. Ein trauriger Höhepunkt waren die Übergriffe auf Mitarbeitende von Hilfsorganisationen in Südsudans Hauptstadt Juba im Juli. Mehrere Frauen wurden vergewaltigt, und die dort stationierten Blauhelme der Vereinten Nationen griffen nicht ein. Solche Vorfälle zwingen viele Organisationen zu schwierigen Entscheidungen: Ausgerechnet in Konfliktzonen, in denen inzwischen vier Fünftel ihrer Einsätze stattfinden und ihre Hilfe am nötigsten ist, müssen sie sich aus Sicherheitsgründen stark einschränken oder ganz zurückziehen.
Diesen Entwicklungen hatte auch der Humanitäre Weltgipfel nichts entgegenzusetzen, der auf Initiative von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon Ende Mai in Istanbul stattfand. Die Erwartungen an das erste Treffen dieser Art waren groß: Das internationale System der humanitären Hilfe sei in der Krise und müsse dringend umgebaut werden, hieß es zuvor. Doch die Bilanz fiel im besten Fall gemischt aus.
Fortschritte wurden vor allem in Finanzierungsfragen erreicht: Die größten Geber und Hilfsorganisationen vereinbarten mehr Transparenz bei der Vergabe der Mittel, mehr Bargeldtransfers anstelle von Hilfsgütern sowie mehr direkte Zahlungen an einheimische Organisationen, deren Rolle damit gestärkt werden soll. Das ist nicht unerheblich angesichts der Tatsache, dass im vergangenen Jahr mit 8,7 Milliarden US-Dollar die bislang größte Lücke zwischen benötigten und bereitgestellten Mitteln klaffte.
Veränderung von unten
Die politisch heißen Eisen wurden in Istanbul jedoch nicht angepackt – auch mangels hochkarätiger Beteiligung. Bundeskanzlerin Angela Merkel war als einziges Schwergewicht aus dem G7-Club angereist, weder US-Präsident Barack Obama noch sein russischer Amtskollege Wladimir Putin nahmen teil. Zu einem der wichtigsten Gipfel-Ziele, Kriege zu beenden und ihnen vorzubeugen, konnte es damit keine ernsthaften Diskussionen, geschweige denn Vereinbarungen geben. Eine vertane Chance.
Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, Ärzte ohne Grenzen und UN-Organisationen gehen deshalb den Weg „von unten“: Sie haben in Genf ein Kompetenzzentrum für Humanitäre Verhandlungen gegründet, in dem sich Praktiker und Fachleute über die Arbeit in Konfliktzonen austauschen und sich gegenseitig unterstützen sollen. Ein wichtiger Schritt, denn laut einer aktuellen Studie aus dem Humanitarian Practice Network fehlt es genau daran: Helfern vor Ort Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sie mit Konfliktparteien verhandeln, um Zugang zu den Hilfebedürftigen zu erhalten – ohne die Grundregeln der Neutralität und Unabhängigkeit zu verletzen.
Autorin
Gesine Kauffmann
ist Redakteurin bei "welt-sichten".Die humanitäre Hilfe braucht ein stabileres Fundament. Hilfsorganisationen bewegen sich immer häufiger in politisch heiklem Umfeld und haben es mit lang anhaltenden Gewaltkonflikten zu tun. Und dafür brauchen sie nicht nur einen langen Atem, sondern auch die passende politische Unterstützung - sie dürfen nicht instrumentalisiert, aber auch nicht allein gelassen werden. Die internationale Gemeinschaft erwartet von Deutschland, dass es sich stärker in der Bewältigung von Krisen engagiert – und in der humanitären Hilfe. Mit mehr Geld allein ist es nicht getan.
Neuen Kommentar hinzufügen