Zu viel Einfluss von Coca-Cola und Co

WHO
Die Weltgesundheitsorganisation reguliert ihre Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft. Vertretern nichtstaatlicher Organisationen ist diese aber immer noch zu eng.

Die Privatwirtschaft mischt kräftig in der internationalen Gesundheitspolitik mit. In der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ging das einigen zu weit. Im Mai hat ihr höchstes Entscheidungsgremium, die Weltgesundheitsversammlung, deshalb Regeln für die Zusammenarbeit der WHO mit der Wirtschaft und nichtstaatlichen Organisationen verabschiedet. Karolin Seitz vom Global Policy Forum in Bonn sagt, das Regelwerk gehe in die richtige Richtung, habe aber einen entscheidenden Schwachpunkt.

Welche Unternehmen aus welchen Branchen versuchen Einfluss auf die Arbeit der WHO zu nehmen?
Vor allem die Pharmaindustrie und Lebensmittelkonzerne wie Nestlé oder Coca-Cola, aber auch die Agrarindustrie, Unternehmen wie Bayer, Monsanto oder Syngenta. Dazu kommen private Stiftungen, vor allem die Gates-Stiftung.

Wie beeinflussen sie die WHO?
Unter anderem über finanzielle Beiträge an die WHO, die Forschungsförderung und über Lobbygruppen wie die International Food & Beverage Alliance. Die sind bei der WHO als Nichtregierungsorganisation registriert, können an Sitzungen teilnehmen, werden zu Anhörungen eingeladen und können Stellungnahmen abgeben. 2003 hat etwa die US-amerikanische Zuckerindustrie versucht, eine WHO-Richtlinie zum Zuckerkonsum zu beeinflussen. In einem Brief warnten einige US-Senatoren, die USA könnten ihre Beiträge zur WHO kürzen. Dazu kam es zwar nicht, aber das ist ein Beispiel dafür, wie die Industrie versucht, Einfluss zu nehmen. Ein neueres Beispiel: Als die WHO nach Ausbruch der Schweinegrippe 2009/2010 eine Pandemie-Empfehlung aussprach, monierten einige Fachleute, das sei überstürzt. Einige Mitglieder des Gremiums, das die Empfehlung aussprach, hatten Verbindungen zu einem Impfstoffhersteller. Der sowie andere Pharmaunternehmen profitierten von der WHO-Warnung, weil einige Regierungen Impfstoffe in größeren Mengen bestellten, die dann später gar nicht gebraucht wurden.

Hat der Einfluss der Wirtschaft zugenommen?
Seit den 1990er Jahren kooperieren die UN-Organisationen insgesamt stärker mit der Privatwirtschaft. Im Fall der WHO spielt eine Rolle, dass die Geberländer sich zu dieser Zeit weigerten, ihre Pflichtbeiträge zu erhöhen. Vor allem Gro Harlem Brundtland, die von 1998 bis 2003 an der Spitze der WHO stand, hat die Kooperation mit Unternehmen ausgebaut. Gleichzeitig wurden außerhalb der WHO öffentlich-private Partnerschaften geschaffen, etwa die Impfstoffinitiative GAVI oder der Globale Gesundheitsfonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria.

Geht globale Gesundheitspolitik überhaupt noch ohne Mitwirkung der Privatwirtschaft? Die Gates-Stiftung etwa steuert doch einen großen Teil des WHO-Budgets sowie wichtige Fachkenntnisse bei.
Natürlich sollte auch die Expertise des Privatsektors beachtet werden. Aber es muss klar geregelt sein, wie weit ihr Einfluss reichen darf und wer legitimiert ist, Entscheidungen zu treffen. Es muss einfach wieder mehr öffentliches Geld in die Gesundheitspolitik fließen. Die WHO hat selbst erklärt, angesichts ihrer Finanzlage sei es schwer, für ihre Arbeit unabhängige Fachleute zu gewinnen.

Sind Sie prinzipiell gegen zu viel Einfluss der Privatwirtschaft oder muss man im Einzelfall entscheiden?  
Man muss klar unterscheiden, wer welche Interessen hat. Bei der Lebensmittelindustrie steht klar das Profitinteresse im Vordergrund, während ich das Bill und Melinda Gates so nicht unterstellen würde. Ihrer Stiftung geht es ohne Zweifel auch darum, die globale Gesundheitssituation zu verbessern. Allerdings gehen private Unternehmen oder Stiftungen in der Regel mit ähnlichen Rezepten an globale Gesundheitsprobleme heran: Sie propagieren marktbasierte und vor allem technische Lösungen, während etwa der langfristige Aufbau von Gesundheitssystemen vernachlässigt wird.

Wie sind die Verhandlungen über die Regeln zur Zusammenarbeit mit nichtstaatlichen Kräften gelaufen? Wer hat welche Position eingenommen?
Die meisten Industrieländer waren schon mit dem ersten Entwurf glücklich, während etliche Entwicklungs- und Schwellenländer wie Brasilien oder Indien Bedenken hatten: Ihnen gingen die Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft immer noch zu weit. Das wurde dann noch einmal zwei Jahre in einer Arbeitsgruppe diskutiert. Vor allem die EU war gegen eine zu weitreichende Regulierung der Kooperation mit der Wirtschaft, weil das aus ihrer Sicht die WHO im Notfall unflexibel machen und zudem administrativ überfordern würde.

Wie beurteilen Sie die im Mai verabschiedete Endfassung?  
Es sind einige gute Punkte drin: Es werden klar die Risiken genannt, die eine zu enge Kooperation mit Unternehmen birgt; es wird ein Verfahren etabliert, nach dem die WHO solche Risiken ermitteln muss, bevor sie mit der Privatwirtschaft kooperiert; es ist künftig verboten, dass Unternehmen Mitarbeiter an die WHO ausleihen, wie das früher oft gemacht wurde. Zudem darf die WHO kein privates Geld mehr für Projekte und Programme nehmen, wenn damit ein wirtschaftliches Interesse des Gebers verbunden ist. Dennoch: Als zivilgesellschaftliche Organisation sehen wir das Ergebnis insgesamt kritisch.

Warum?
Aus unserer Sicht unterscheidet das Papier nicht ausreichend zwischen verschiedenen nichtstaatlichen Akteuren. Lobbyverbände der Wirtschaft behalten ihren Status als registrierte Beobachter und dürfen weiter an Sitzungen der WHO teilnehmen. Philanthropische Stiftungen können weiterhin Mitarbeiter an die WHO ausleihen. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die WHO mit der Lebensmittelindustrie weiter zusammenarbeiten darf. Ausgeschlossen sind nur die Waffen- und die Tabakindustrie.

Hat die Wirtschaft versucht, die Verhandlungen zu beeinflussen?
Ja, sie hat sich zum Beispiel dafür stark gemacht, dass nicht unterschieden wird zwischen Unternehmen mit wirtschaftlichen Interessen und nichtstaatlichen Organisationen, die im öffentlichen Interesse auftreten. Und dass die Lebensmittelindustrie nicht ebenso wie die Tabakbranche ausgeschlossen wurde, ist das Ergebnis der Lobbyarbeit von Coca-Cola und Co.

Wird der Einfluss der Wirtschaft auf die globale Gesundheitspolitik weiter zunehmen?
Das hängt nicht zuletzt davon ab, ob die Geberländer ihre Mittel wieder steigern. Der Bundesregierung muss man in dieser Hinsicht Anerkennung zollen: Sie hat sich dafür ausgesprochen, dass die Pflichtbeiträge zur Weltgesundheitsorganisation erhöht werden. Bislang ohne Erfolg. Allerdings beträgt auch der ordentliche Beitrag der Bundesregierung an die WHO gerade mal ein Viertel der künftigen Gesamtbeiträge an die öffentlich-private Impfstoffinitiative GAVI. Das könnte Deutschland ändern und mit gutem Beispiel vorangehen.

Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2016: Energie für alle
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