"Wir würden es vorziehen, das Regime mit friedlichen Mitteln zu beenden.“ Diesen Satz hat Berhanu Nega gesagt, einer der bekanntesten Oppositionspolitiker Äthiopiens, 2011 in einem Interview mit „welt-sichten“. Damals war Nega, der in seinem Heimatland in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden ist, noch Professor an einer renommierten Ostküsten-Universität in den USA. Diesen Job hat er mittlerweile gekündigt: Seit einem Jahr verbringt Nega die meiste Zeit in Eritrea und koordiniert von dort Rebellenangriffe gegen die äthiopische Regierung. „Es gibt keine Verhandlungen mit jemand, der kommt, um dich zu vergewaltigen. Wir müssen sie stoppen“, sagte er vor ein paar Monaten bei einer Spendenaktion für seine Oppositionsbewegung Ginbot 7 in Washington. In der „New York Times“ war das zu lesen.
Äthiopien steht vor einer Weichenstellung, wieder einmal, und Leute wie Berhanu Nega spüren das. Seit einem Jahr wird das Land von Protesten und Unruhen erschüttert, zunächst in der Region Oromia, seit dem vergangenen August zunehmend auch in Amhara im nördlichen Hochland. Das Regime hält brutal dagegen: Mehrere hundert Menschen sollen in den vergangenen zwölf Monaten von Sicherheitskräften getötet worden sein, Anfang Oktober verhängte die Regierung den Ausnahmezustand. Seitdem hat sie die ohnehin stark eingeschränkte Meinungs- und Bewegungsfreiheit im Land noch einmal drastisch beschnitten.
Unruhe, Demonstrationen und Gewalt sind nichts Neues im Vielvölkerstaat am Horn von Afrika. In Oromia etwa kämpft eine Befreiungsbewegung seit einem Vierteljahrhundert für Unabhängigkeit. Genauso lang ist die EPRDF an der Macht, eine Art Blockpartei, in der die wichtigsten Ethnien vertreten sind, de facto aber die Volksgruppe der Tigray das Sagen hat. Nach dem Prinzip „Teile und Herrsche“ versucht die politische Elite der Tigray die anderen Völker in Schach zu halten und die Zentrifugalkräfte zu kontrollieren, die Äthiopien ständig zu zerreißen drohen.
Keine Erfahrungen mit echter Demokratie
Aber so heftig wie zurzeit war es seit elf Jahren nicht mehr, sagen Landeskenner. 2005 zerschlug die Regierung praktisch die gesamte zivile Opposition, nachdem die bei mehr oder weniger freien Wahlen unerwartet erfolgreich abgeschnitten hatte; der heutige Rebellenführer Berhanu Nega wäre damals fast Bürgermeister von Addis Abeba geworden. Neu ist, dass sich die derzeitigen Proteste über Oromia und die Hauptstadt Addis Abeba hinaus auf die Region Amhara ausgebreitet haben. Bislang konnte die Regierung die beiden größten ethnischen Gruppen des Landes meistens gegeneinander ausspielen. Das scheint jetzt nicht mehr zu funktionieren.
Es hatte etwas Groteskes, als Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem Besuch in Äthiopien im Oktober in Addis Abeba ausgerechnet ein neues Gebäude für den Friedens- und Sicherheitsrat der Afrikanischen Union einweihte, von Deutschland finanziert. Kurz zuvor hatte die äthiopische Regierung mit der Verhängung des Ausnahmezustands weiter an der Eskalationsspirale gedreht und eine friedliche Lösung des Konflikts im eigenen Land zusätzlich erschwert. In Berlin verlangte die Opposition, Merkel müsse von ihren Gastgebern deutlicher die Einhaltung der Menschenrechte fordern. Tatsächlich drückt der gesamte Westen gegenüber Äthiopien seit Jahren meist beide Augen zu: Zu groß ist die Furcht vor Chaos in dem Land, das als wichtiges Bollwerk gegen den islamistischen Terror in der Region gilt.
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Als 2012 der langjährige Ministerpräsident Meles Zenawi nach mehr als zwanzig Jahren an der Macht unerwartet starb, öffnete sich für einen kurzen Moment die Möglichkeit eines politischen Neuanfangs. Die herrschende Elite ließ sie verstreichen. Und auch am Ende dieses für Äthiopien schwierigen Jahres sieht es nicht so aus, als wäre die Regierung bereit, die Weichenstellung zu nutzen und das Land auf ein neues Gleis zu führen.
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