Warten auf den Regen

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El Niño
Indigene Kleinbauern in Guatemala leiden unter der schwersten Dürre seit Jahrzehnten. Sie brauchen mehr als Lebensmittel und Saatgut.

Samuel Milson hat eine tolle Aussicht: Zwei Vulkane erheben sich in der Ferne, zu Füßen seines Dienstsitzes im neunten Stock liegen die Häuser und Straßen von Guatemala-Stadt. Doch der guatemaltekische Umweltminister muss im kommenden Jahr umziehen. Denn sein Ministerium klebt an einem steilen Hang, im Tal schlängelt sich ein kleiner Fluss. Bei Starkregen besteht die Gefahr, dass er anschwillt, einen Erdrutsch verursacht und das Gebäude mit sich reißt. Erdbebensicher ist es schon gar nicht.

In dem zentralamerikanischen Land ist das Risiko hoch, zum Opfer von Tropenstürmen, Überflutungen oder Erdbeben zu werden. Guatemala besetzte im vergangenen Jahr Rang vier im Weltrisikoindex und zählt damit zu den Ländern, die weltweit am stärksten von Naturkatastrophen gefährdet und vom Klimawandel bedroht sind. Und es liegt im zentralamerikanischen „Trockenkorridor“. Dort herrscht bereits seit einigen Jahren eine schwere Dürre, 2015 war die Situation laut den Vereinten Nationen (UN) besonders gravierend. Insgesamt sind für 3,5 Millionen Menschen die Nahrungsmittel knapp, in Guatemala sind es 1,3 Millionen, etwa acht Prozent der Bevölkerung.

Verantwortlich dafür ist der Klimawandel, genauer: das Wetterphänomen El Niño, das in diesem Jahr auch in mehreren Ländern Afrikas eine Hungersnot verursacht hat. Es sorgt dafür, dass in Teilen Afrikas und Lateinamerikas die Temperaturen steigen und die Niederschläge zu gering sind oder ganz ausbleiben. Mehr als 150.000 Familien in Guatemala haben deshalb im vergangenen Jahr mindestens drei Viertel ihrer Ernte verloren. Und der Trockenkorridor hat sich ausgebreitet. Er umfasse inzwischen die Hälfte der 22 Departements des Landes, sagt Umweltminister Milson. Vor anderthalb Jahren waren es noch acht.

Eines von ihnen ist Chiquimula im Nordosten des Landes an der Grenze zu Honduras. Fünf Stunden Autofahrt von der Hauptstadt entfernt, die letzten zwei auf einer unbefestigten, mit Schlaglöchern übersäten Piste, wohnen rund hundert Familien im Dorf Conacaste. El Niño hat ihr Leben aus den Fugen gebracht. „Wir haben im vergangenen Herbst den Mais geerntet, als er noch grün war“, erzählt der Kleinbauer Porfirio Garcia. „Sonst hätten wir nichts zu essen gehabt.“ Für die nächste Aussaat blieb nichts übrig, und die wenigen Vorräte waren schnell aufgezehrt.

Die Familien erhalten Wasserfilter und Saatgut

Garcia, der zur Maya-Ethnie Chortí zählt, lebt mit seiner Ehefrau und acht Kindern in zwei kleinen Holzhütten. Gekocht wird über dem offenen Feuer. Beißender Rauch erfüllt den Raum, wenn Maria Rosa die Tortillas bäckt, die zu jedem Essen auf den Tisch kommen. Strom gibt es keinen im Dorf, eine improvisierte Leitung bringt Wasser von einer Quelle weiter oben am Berg. Die älteren Dorfbewohner können nicht lesen und schreiben, die Kinder gehen meistens nur bis zur fünften Klasse in die Schule. Für den weiterführenden Unterricht finden sich in dem abgelegenen Dorf keine Lehrer.

Porfirio Garcia baut Mais und Bohnen auf seinem 1,5 Hektar großen Feld an, das wie alle Parzellen hier an einem steilen Hang liegt. Der Ertrag ist gering. Doch mit zwei Ernten im Jahr und einigen Monaten Arbeit auf einer Kaffeeplantage in Honduras konnte die Familie bislang stets genügend Vorräte anlegen und einigermaßen über die Runden kommen.

Das ist jetzt vorbei. Steigende Temperaturen infolge des Klimawandels haben zusätzlich dafür gesorgt, dass auf den Kaffeeplantagen immer mehr Pflanzen von Kaffeerost befallen werden. Garcia und seine beiden erwachsenen Söhne konnten in der vergangenen Saison weniger Kaffee pflücken als erhofft, deshalb fiel auch der Lohn geringer aus: Sie hätten nur knapp sechs Euro am Tag bekommen, in guten Zeiten sei es fast das Dreifache, sagt der 52-Jährige. Zurzeit arbeitet er mit seinen Söhnen abwechselnd auf dem eigenen Feld und auf der Plantage eines Großgrundbesitzers im Tal für einen Tageslohn von 25 Quetzales (2,90 Euro). 30 Quetzales (3,50 Euro) kostet schon allein die Fahrt in die Kleinstadt Jocotán, wo die Familie ihre Lebensmittel einkauft. Im Dorf gibt es lediglich eine kleine Verkaufsstelle mit Süßigkeiten und Getränken.

Indigenen Familien in abgelegenen Dörfern wie diesem hilft der Arbeiter-Samariter-Bund mit Mitteln des deutschen Entwicklungsministeriums (BMZ) und des Auswärtigen Amtes. Insgesamt werden in Guatemala knapp 1000 Familien in vier Gemeinden des Departements Chiquimula unterstützt. „Eigentlich ist der Bedarf dort mindestens doppelt so groß“, sagt der ASB-Regionaldirektor für Lateinamerika, Alejandro Zurita. „Aber für alle reicht das Geld nicht.“ Die Familien erhalten Mais, Bohnen, Zucker und Öl, um die akute Ernährungskrise zu überbrücken, und Wasserfilter sowie Saatgut, damit sie so bald wie möglich wieder auf eigenen Füßen stehen können.

Den Indigenen bleiben nur die schlechten Böden

Darüber hinaus bekommen sie Tipps – etwa wie sie Regenwasser für die Bewässerung sammeln können, wie sie Terrassen anlegen, damit der Boden nicht ausgeschwemmt wird, und wie sie ihre Vorräte besser lagern und vor Insekten und Feuchtigkeit schützen. Alejandro Zuriga stellt klar: „Wir helfen den Menschen zu überleben und sich besser an die Klimaverhältnisse anzupassen. Die gesellschaftlichen Strukturen ändern können wir mit unsere Hilfe nicht.“

Und die sind neben El Niño die Ursache für die gegenwärtige Ernährungskrise. Guatemala mit seinen 16 Millionen Einwohner wird zwar von den UN als Land mit mittlerem Einkommen geführt. Das Einkommen pro Einwohner lag 2014 bei rund 3700 US-Dollar, im vergangenen Jahr wuchs die Wirtschaft um vier Prozent. Doch der Wohlstand ist extrem ungerecht verteilt. Wenige einflussreiche Familien bestimmen die Wirtschaft. Sie bebauen auch den Großteil der fruchtbaren Flächen und produzieren Kaffee, Zucker, Bananen und Kardamom für den Export. Für die indigenen Mayas, rund 40 Prozent der Bevölkerung, bleiben die nährstoffarmen Böden, die vor allem an steilen Hängen liegen, mühsam beackert werden müssen und kaum etwas hergeben.

Mehr als die Hälfte der Guatemalteken sind arm, elf Prozent leben in extremer Armut. In der Provinz Chiquimula sind die Quoten noch weit höher. Die Folgen für die nächste Generation werden in Jocotán im Zentrum für unter- und mangelernährte Kinder deutlich. Ein gutes Dutzend Jungen und Mädchen sind dort derzeit mit ihren Müttern auf schmalen Betten in zwei engen Räumen untergebracht. Sie sind zu klein und zu leicht für ihr Alter, viele wirken apathisch. Im Zentrum werden sie mit protein- und kalorienreicher Zusatznahrung aufgepäppelt, sie können bis zu drei Monate bleiben. Doch die Schäden, die sie in ihrer geistigen Entwicklung bereits genommen haben, seien kaum rückgängig zu machen, sagt Alejandro Zurita vom ASB. Und 40 Prozent der Mütter brechen die Behandlung vorzeitig ab – sie haben noch mehr Kinder zu Hause, das oft mehrere Stunden entfernt liegt, um die sie sich kümmern müssen.

Ein ehemaliger Fernsekomiker soll es richten

Es ist Aufgabe der Regierung, die ungerechten Macht- und Besitzstrukturen zu ändern und die Armut nachhaltig zu bekämpfen. Auf ihr ruhen nun einige Hoffnungen. Anfang Januar ist mit dem früheren Fernsehkomiker und Wirtschaftswissenschaftler Jimmy Morales ein Präsident vereidigt worden, der sich den Kampf gegen die Korruption auf die Fahnen geschrieben hat. Eine breite zivilgesellschaftliche Koalition mit Unterstützung des einflussreichen Unternehmerverbandes CACIF (Comité Coordinator de Asociaciones Agricolas, Comerciales, Industriales y Financieras) hatte im vergangenen Jahr die Vorgängerregierung unter Otto Pérez Molina aus dem Amt gedrängt, die in mehrere Korruptionsskandale verwickelt war.

Deren Vergehen sowie die Verbrechen während des 36-jährigen Bürgerkrieges werden gegenwärtig mit Unterstützung der UN von der Internationalen Kommission gegen die Straffreiheit (CICIG) juristisch aufgearbeitet. Morales und sein Kabinett haben sich außerdem verpflichtet, den „Plan K’atun 2032“ weiterzuführen, den sein Amtsvorgänger im August 2014 vorgestellt hatte. Die Entwicklungsstrategie, die der Staat gemeinsam mit Vertretern der Zivilgesellschaft erarbeitet hat, hat zum Ziel, die Armut im Land bis 2032 zu halbieren.

Umweltminister Samuel Milson vertritt den neuen Geist der Transparenz und Ehrlichkeit mit großem Enthusiasmus. Die Regierung wolle dafür sorgen, dass trotz der Dürre „bis zum Ende des Jahres kein Kind mehr sterben muss“, sagt er. Die Hilfe solle transparenter werden, Lebensmittel würden nur noch gegen Vorlage eines personalisierten Berechtigungsscheins verteilt, um Missbrauch zu verhindern. Zugleich räumt Milson Versäumnisse im Kampf gegen den Klimawandel ein: „Wir haben es zugelassen, dass sich der Trockengürtel weiter ausbreitet.“

Seit der Weltklimakonferenz im vergangenen Jahr hat Guatemala seine Bemühungen verstärkt. Das Land habe sich das Ziel gesetzt, seine Treib­hausgasemissionen in den nächsten zehn Jahren um zwölf Prozent zu reduzieren, erklärt Milson. Zudem will es Mittel für Anpassungsmaßnahmen aus dem grünen Klimafonds beantragen. Denn das Ausbleiben von Fortschritten hängt auch am Geld. Guatemala hat eine der niedrigsten Steuerquoten weltweit. Der Anteil der öffentlichen Einnahmen am Bruttoinlandsprodukt beträgt laut der Weltbank lediglich zwölf Prozent, in Lateinamerika sind es durchschnittlich 26 Prozent. Erst im vergangenen Jahr wurde mit dem Aufbau eines neuen Steuersystems begonnen.

An Klimawandel angepasste Sorten entwickeln

Die Bundesregierung unterstützt das Land dabei. Sie stellt auch Geld bereit, um die Folgen der Erderwärmung besser zu bewältigen: 10,5 Millionen Euro fließen von 2013 bis 2018 in das Programm zur ländlichen Entwicklung und Anpassung an den Klimawandel (ADAPTATE), das in den Provinzen El Progreso und Baja Verapaz verwirklicht wird. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) hilft mehreren Gemeinden, ihre Wasser- und Abwasserversorgung zu verbessern, traditionelles Saatgut zu vermehren und Grünanlagen anzulegen.

Jüngstes Projekt der internationalen Kooperation ist ein agrar-ökologisches Zentrum für Forschung und Umweltbildung, das bis Ende 2017 in San Miguel Chicaj in Baja Verapaz entstehen soll. Auf einer Fläche von 1,7 Hektar sollen an den Klimawandel angepasste Saatgutsorten entwickelt sowie Anbau- und Bewässerungstechniken und Methoden der nachhaltigen Landwirtschaft vermittelt werden. Traditionen, Kultur und Spiritualität der Maya sollen dabei besondere Berücksichtigung finden, damit neue Technologien auch akzeptiert werden. Das guatemaltekische Landwirtschaftsministerium will vier Techniker und drei Berater entsenden, die das gesammelte Wissen über das Zentrum hinaus verbreiten und verankern sollen.

Autorin

Gesine Kauffmann

ist Redakteurin bei "welt-sichten".
Thomas Cieslik hofft, dass sich die Einrichtung zu einer Plattform entwickelt, auf der sich Agrarforscher, Unternehmer, Lokalpolitiker und Kleinbauern über Fragen zur Anpassung an den Klimawandel austauschen können. Daraus könne ein Modell für andere Teile des Landes werden, sagt Cieslik, der in der deutschen Botschaft die internationale Zusammenarbeit leitet. Wie es damit weitergeht, ist offen. Anfang Juli haben mit der neuen Regierung Konsultationen über die nächsten Schritte in der Kooperation mit Deutschland stattgefunden. Ein neues Abkommen soll im September unterzeichnet werden. Cieslik ist zuversichtlich, dass ADAPTATE weitergeführt wird. Hoffnungen auf mehr Geld aus Deutschland dämpft er jedoch: Der Schwerpunkt des Bundesentwicklungsministeriums liegt zurzeit darauf, die Flüchtlingskrise in Europa zu bewältigen.

Und wie erfolgreich kann die neue Regierung bei der Bekämpfung der Korruption und der Armut sein? Der Rückhalt des Präsidenten im Parlament ist schwach; seine Partei FCN (Frente de Convergencia Nacional) verfügt nur über eine Minderheit der 158 Sitze. Die FCN-Abgeordnete Iliana Calles, die zum ersten Mal im Parlament sitzt und der Kommission zur Ernährungssicherung angehört, ist trotzdem voller Tatendrang. Die Hälfte der Parlamentarier sei neu in der Politik, unter ihnen Anwälte, Wissenschaftler und Unternehmer. Das erhöhe die Chancen für Programme, die die Menschenrechte schützen, darunter das Recht auf Nahrung, meint die 56-jährige Sozialarbeiterin. Dem sollen auch Gesetze zur ländlichen Entwicklung und zur Schulspeisung dienen, die die Kommission voranbringen will.

Die Journalistin Ana Lucia Castillo blickt ebenfalls eher zuversichtlich in die Zukunft: „Wir haben jetzt ein gutes Klima für einen gesellschaftlichen Wandel, weil die Zivilgesellschaft den Politikern auf die Finger schaut.“ Die 23-Jährige dreht gerade mit ihrem Kameramann für den Fernsehsender Guatevisión ein Stück über die Situation der Indigenen im Trockenkorridor. Deren Leid sei vielen Guatemalteken gar nicht bewusst, sagt sie, und das möchte sie ändern.

Porfirio Garcia in Conacaste hingegen bleibt nur das Warten auf den Regen. Der muss im Juli reichlich fallen, damit er im Herbst eine reiche Maisernte einbringen kann.

Der Beitrag ist auf der Grundlage einer Pressereise mit dem Arbeiter-Samariter-Bund entstanden.
 

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erschienen in Ausgabe 8 / 2016: Zucker: Für viele süß, für manche bitter
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