Kleine Geschäfte mit dem Wild

Barbara Fraser
Guter Fang: Diomedes Silva hat ein Gürteltier und einen Papageien erlegt.
Buschfleisch
Die Indigenen im Amazonasbecken essen gerne und häufig das Fleisch von Wildtieren. Verkauft werden darf es bislang nur in Ausnahmefällen. Das könnte sich nun ändern.

Mit großen Schritten geht Diomedes Silva durch den Wald, von den Bäumen tropft noch Morgentau. Dann dreht er unvermittelt ab ins Unterholz, duckt sich unter einen tief hängenden Ast  – und nickt zufrieden. In der Falle, die er tags zuvor an einem umgefallenen Baumstamm angebracht hat, hat sich ein Gürteltier verfangen. „Der Trick besteht darin, den Pfad zu kennen, dem das Tier folgt“, sagt er und zeigt auf eine schmale, undeutliche Spur im Laub, kaum sichtbar für das ungeschulte Auge.

Drei andere Fallen sind leer. Eine Stunde später kehrt Silva mit dem Gürteltier und einem Papagei, den er mit einem Schuss aus einer Baumkrone geholt hat, nach Hause zurück. Hinter seinem Holzhaus am Rande der 7000-Einwohner-Siedlung Puerto Nariño im südlichsten Zipfel Kolumbiens, errichtet er eine Feuerstelle. Er will das Gürteltier säubern und ausnehmen. Ein Nachbar schaut vorbei, grüßt und fragt nach dem Preis für das Fleisch.

Am Nachmittag haben Silva und seine Frau Marcela Rojas bereits einen Teil des Fleisches an Verwandte verteilt und einen anderen für ihre eigene Familie zur Seite gelegt. Übrig bleibt ein kleiner Rest, den sie an jemanden aus der Gemeinde verkaufen wollen. So nutzen die Ticuna, zu denen Silva und Rojas gehören, in der Regel das Fleisch erlegter Tiere.

„Buschfleisch ist eine wichtige Nahrungsquelle für  indigene Völker in ländlichen Gemeinden“, sagt Nathalie Van Vliet, Geographin und Mitarbeiterin am Zentrum zur Erforschung der internationalen Forstwirtschaft (Center for International Forestry Research, CIFOR). Sie beschäftigt sich mit der Jagd und der Vermarktung von Buschfleisch im Amazonasbecken, wo die Grenzen Kolumbiens, Brasiliens und Perus aufeinander treffen. 

Auch bei Festmählern und Feiern spielt das Fleisch der Wildtiere eine besondere Rolle: Wenn es mit Verwandten und Freunden geteilt wird, festigt es die sozialen Bande. Falls Silva und seine Nachbarn aber das Fleisch der erlegten Tiere verkaufen, brechen sie das Gesetz. Denn nach kolumbianischem Recht ist das Jagen nur für den Eigenbedarf der Familie erlaubt. Jäger, die Buschfleisch verkaufen, brauchen dazu eine Vertriebserlaubnis. Dafür sind Umweltverträglichkeitsstudien nötig, die die meisten Menschen in den ländlichen Regionen nicht bezahlen können.

Den Handel verhindert das Gesetz nicht – es treibt ihn bloß in den Untergrund. Die Jäger oder ihre Verwandten verkaufen das Fleisch an Nachbarn oder bieten es auf dem Markt in Puerto Nariño an. Dort halten sie es so lange versteckt, bis eingeweihte Käufer sie ausfindig machen. Manchmal sieht die Polizei weg, andere Male greift sie hart durch. Das Fleisch von Gürteltieren, Tapiren, Rehen und Pakas sei beliebt und oft bereits ausverkauft, bevor Polizisten auftauchen, berichten örtliche Jäger.

Der Einfachheit halber kosten alle Arten von Buschfleisch einen Einheitspreis: ein paar US-Dollar pro Kilo – das ist mehr als für ein tiefgekühltes Hühnchen aus Brasilien, aber weniger als für Rindfleisch. Einige Jäger verschicken auch per  Passagierdampfer Päckchen an Verwandte in Leticia, einer Stadt mit etwa 30.000 Einwohnern zwei Stunden flussabwärts.

Wie die meisten Städte am Amazonas, ist auch Leticia noch stark von der Nähe des Waldes geprägt. Viele Einwohner sind hierher gezogen, um Arbeit zu suchen oder ihren Kindern eine bessere Ausbildung zu ermöglichen. Vermissen sie den Geschmack der Heimat, bitten sie Verwandte, Buschfleisch zu schicken, oder spüren es auf dem lokalen Markt auf. Selbst alteingesessene Stadtbewohner mögen den Geschmack und die Vielfalt dieser Fleischsorten, auch wenn der illegale Handel sie teurer macht als andere, hat Van Vliet beobachtet.

In Leticia und im benachbarten brasilianischen Tabatinga kann man Buschfleisch nicht einfach kaufen, indem man zwischen den Marktständen schlendert und sich erkundigt, wer Wildfang im Angebot hat.  Nur wenige Verkäufer handeln damit, und sie sind vorsichtig. Van Vliet und ihr Team von der kolumbianischen  Stiftung für Internationale Wissenschaft (Fundación S.I.) haben viele Stunden auf Märkten verbracht, an informellen Ständen gegessen und mit Anwohnern eingekauft, um das Vertrauen der Händler zu gewinnen.

Als es ihnen schließlich gelang, entdeckten sie ein Gewerbe, das nie zuvor untersucht worden war, weil es weitgehend im Verborgenen stattfindet. Die Fleischlieferungen kommen auf kleinen Booten an – oft nachts, wenn die Dunkelheit vor neugierigen Blicken schützt. Jäger verkaufen direkt an die Marktverkäufer oder an Zwischenhändler, oft fahrende Kaufleute, die das Buschfleisch zusammen mit Töpfen und Pfannen, Textilien, Munition und anderen Waren in den Dörfern anbieten.   

Die Verkäufer lagern das Fleisch unscheinbar verpackt in den Kühltruhen ihrer Stände, an denen sie meist Fisch anbieten – beispielsweise den riesigen Pirarucú oder auch Paiche, frisch oder in Salz eingelegt, und den beliebten Gamitana. Weil diese Arten nicht das ganze Jahr über gefangen werden dürfen, hilft der Verkauf von Buschfleisch den Händlern, Einkommenslücken zu schließen. 

Eine große Hilfe sind Mobiltelefone. Sie haben das Geschäft revolutioniert, indem sie es leichter machen, Aufträge anzunehmen oder Kunden zu benachrichtigen, wenn eine Lieferung ankommt. Zwar lässt sich der Handel so leichter verbergen – aber ein Restrisiko, gefasst zu werden, bleibt. Denn immer wieder sucht die Polizei bei Razzien auf den Märkten nach Buschfleisch oder außer der Saison gefangenem Fisch. Dann konfiszieren die Polizisten das Fleisch – wahrscheinlich, um es zu Hause selbst zu essen, wie die Verkäufer ironisch kommentieren – oder fordern Schmiergeld.

Denn dieselben Amtsträger, die zuweilen hart gegen den Handel mit Buschfleisch vorgehen, sind ab und zu Kunden, sagt der Verkäufer Misael. Gerade unterbricht er an seinem Stand auf dem Markt in Leticia das Filetieren eines Gamitana, um ein Stück Reh zu wiegen. Seine Geschäfte steigen und sinken über das Jahr mit dem Wasserstand des Amazonas. Im August oder September, wenn das Wasser tief steht und der Transport schwierig ist, ist Fleisch rar. Während der Hochwasserphase in der ersten Jahreshälfte bekommt Misael dagegen regelmäßig Nachschub. Dann können die Jäger mit dem Kanu durch den überfluteten Wald zu höher gelegenem Gelände fahren, wohin sich die wilden Tiere flüchten.

Sowohl Jäger als auch Händler sind für die Legalisierung eines maßvollen Verkaufs von Buschfleisch im Grenzgebiet von Kolumbien, Brasilien und Peru. Ein legaler Handel würde es ihnen ersparen, Fleisch bei Polizeirazzien zu verlieren oder Bestechungsgelder zu zahlen, um eine Konfiszierung zu vermeiden, sagen sie. Und er würde sie vom Stigma des Schwarzhandels befreien.

Dass eine Legalisierung wahrscheinlich auch den Wettbewerb verschärfen würde, kümmert den Verkäufer mit dem Spitznamen „Chicle“ auf dem Markt in Tabatinga nach eigenem Bekunden nicht: „Mehr Wettbewerb würde zwar die Preise drücken, aber die Differenz würden wir über den Umsatz ausgleichen“, sagt er. „Die Verkäufer befürworten eine Legalisierung des Handels“, meint auch Jessica Moreno von der Stiftung für Internationale Wissenschaft. „Es würde sie aus dem Zwielicht der Schattenwirtschaft heraus führen.“

Allerdings besteht die Gefahr, dass eine Legalisierung der kommerziellen Jagd an Orten wie Puerto Nariño mehr Menschen dazu ermutigen könnte, zu jagen oder die Menge an Wildfang zu steigern. „Sobald es legal ist, werden die Menschen mehr jagen und verkaufen. Auch Restaurants werden mehr kaufen“, sagt Diomedes Silva. „Der Handel müsste eingeschränkt werden.“ Jäger wie Verkäufer fürchten, dass wilde Arten über Gebühr ausgebeutet werden und fordern Regulierungen, um den Bestand stabil zu halten.

Autorin

Barbara Fraser

ist freie Journalistin in Lima, Peru. Sie beschäftigt sich vor allem mit Sozial- und Umweltthemen in Lateinamerika. Ihr Beitrag ist im Original in dem Internetportal „Forest News“ von CIFOR erschienen.
Jäger aus dem indigenen Schutzgebiet der Ticuna, Cocama und Yagua, in dem Puerto Nariño liegt, haben im vergangenen Oktober bei einem Seminar in Leticia mit Forschern, Regierungsvertretern und Umweltschützern über Wege diskutiert, den kleingewerblichen Handel mit Buschfleisch zu regulieren, ohne den Bestand von Wildtieren zu gefährden. In ihren Empfehlungen hielten sie fest, wie wichtig die Beteiligung der Menschen vor Ort an der Formulierung und Überwachung der Regeln ist, erklärt Wissenschaftlerin Van Vliet.  Jäger und Dorfchefs aus dem Ticoya-Reservat kritisierten, die Definition von „Subsistenz“ sei zu eng gefasst. Schließlich bräuchten die Dorfbewohner auch Geld für den Kauf von Seife, Küchenutensilien, Kleidung, Schulmaterial, Benzin für ihre Boote – das einzige Transportmittel – und Munition für ihre Jagdgewehre. Und weil es derzeit für indigene Gemeinschaften unmöglich ist, eine Genehmigung für die kommerzielle Jagd zu bekommen, forderten die Teilnehmenden des Seminars gesetzliche Schritte, um zwischen der kleingewerblichen und der großgewerblichen Jagd zu unterscheiden.

Ferner forderten sie eine nationale Liste wilder Arten, die die örtlichen Umstände berücksichtigt und Quoten für jede einzelne Spezies festlegt, je nach ihrem Stellenwert für die Natur, ihrem Schutzstatus, ihrem ökonomischen Wert und der Entwicklung ihrer Population. Eine für die Jagderlaubnis erforderliche Umweltverträglichkeitsstudie sollte nicht nur die Auswirkungen auf den Wildbestand erfassen. Sie sollte  auch einen Plan enthalten, wie die Gewinne verteilt werden, und darüber Aufschluss geben, wie Versorgungssicherheit und Ernährungsgewohnheiten der beteiligten Gemeinden beeinflusst werden, so die Teilnehmenden.

Ein legaler Handel mit Buschfleisch würde den Jägern im Reservat einen größeren Markt in ihrer Nähe verschaffen, sagt Diomedes Silva. Er würde seinen Fang gerne an das Ernährungsprogramm der Regierung in Puerto Nariño verkaufen. Denn die Kinder mögen das Wildfleisch, und ihre Eltern schätzen es wegen seines Nährwertes. Sara Armas Díaz, die mit ihrem Hund, dem Pitbull Lucas, auf die Jagd geht, stimmt zu: „Das Fleisch ist rein, es enthält keine Chemikalien. Die Kinder werden davon stark und gesund.“

Aus dem Englischen von Christopher Reil.

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erschienen in Ausgabe 6 / 2016: Neue Chancen für die Kurden
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