Peking verfolgte in den 1990er Jahren die Strategie, Investitionen aus dem Ausland einzuwerben. Seit dem Jahr 2000 ist es dazu übergegangen, chinesische Unternehmen offensiv zu Auslandsinvestitionen zu ermutigen. China schuf Allianzen und handelte Freihandelsabkommen aus, insbesondere mit asiatischen Nachbarstaaten. Schritt für Schritt wurde der „Traum eines wieder erstarkten Chinas“ – so der Slogan von Staatspräsident Xi Jinping zu seinem Amtsantritt im Jahr 2013 – in politische Praxis umgesetzt.
Die AIIB, die im Januar ihre Arbeit aufgenommen hat, ist dazu ein Instrument unter anderen. Im November 2014 gründete China den 40 Milliarden US-Dollar schweren Seidenstraßen-Fonds, der Infrastrukturprojekte für Land- und Seewege in ganz Eurasien finanzieren soll. Im März 2015 veröffentlichte die chinesische Regierung ein Dokument über den „gemeinsamen Aufbau“ eines „Wirtschaftsgürtels Seidenstraße“ sowie einer „maritimen Seidenstraße“, das heißt einer Seeverbindung nach Westen. Der Plan ist bekannt als „One Belt, One Road“ (OBOR).
Er fasst vormals zusammenhanglose regionale Strategien in einem Konzept zusammen. Erstens hatte China nach dem Zerfall der Sowjetunion die Beziehungen zu seinen Nachbarn überdenken müssen, besonders zu den drei neuen Staaten Kirgistan, Kasachstan und Tadschikistan. 1996 regte Peking die Shanghai-Five-Group aus China, Russland und diesen drei Staaten an. Daraus ist 2001 die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit entstanden, der auch Usbekistan angehört; Indien sowie Pakistan haben Beobachterstatus und eine Reihe von Ländern warten auf ihre Aufnahme. Gemeinsam mit der „Eurasischen Wirtschaftsunion“ aus Russland, Weißrussland, Kasachstan, Kirgistan und Armenien ist sie eine wirtschaftlich mächtige Allianz.
Zweitens führt China seit 2009 die „16+1“-Initiative an; sie soll die Kooperation mit elf EU-Staaten und fünf EU-Anwärtern aus dem Südosten Europas stärken und formalisieren. Drittens haben Bangladesch, China, Indien und Myanmar 2013 beschlossen, einen gemeinsamen Wirtschaftskorridor zu schaffen, um die Infrastruktur von Nordostindien bis Südwestchina zu verbessern, die jahrzehntelang brachlag.
Die OBOR-Strategie ist aber auch eine Reaktion auf Barack Obamas Asienpolitik, die Washington 2011 unter der Bezeichnung „Neue Seidenstraße“ angekündigt hatte. Sie zielt darauf, die US-amerikanische Vormachtstellung im Raum Asien-Pazifik mit Handelsverträgen wie dem Abkommen über eine Transpazifische Partnerschaft (TPP) zu sichern. Seit Xi Jinping an der Macht ist, verfolgt er seine Vorstellung einer Seidenstraße unter Führung Chinas. Sie soll den Außenhandel vereinfachen, die Energie-Importe Chinas sichern, die Entwicklung der asiatischen Infrastruktur unterstützen und Pekings Einfluss in der Region festigen. Offiziell ist die Absicht friedlich – nicht Hegemonialpolitik, sondern die Wiederbelebung alter Handelsrouten.
Die AIIB ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Sie unterstützt den Seidenstraßen-Fonds und finanziert Infrastrukturprojekte in Südostasien und in Seidenstraßen-Anrainern in Süd- und Zentralasien, dem Kaukasus und der europäischen Peripherie. Die Verbindung von Zentralasien nach Europa soll die Handels- und Investitionsbeziehungen stärken. Eine „zweite Seidenstraße“ soll über Seewege entlang der südostasiatischen Küste bis zum südchinesischen Meer angelegt werden oder alternativ den Südpazifik Richtung Europa durchkreuzen.
Chinas "sanfte Macht"
Die USA, Japan und Kanada beteiligen sich nicht an der AIIB. Die USA mögen besorgt gewesen sein, Chinas werde seine „sanfte Macht“ steigern, aber sie haben ihre Zurückhaltung damit begründet, dass der AIIB transparente Führungsstrukturen und Umwelt- und Sozialstandards fehlten. Der US-Kongress fordert solche Standards bei den anderen multilateralen Finanzinstitutionen und es wäre politisch nicht möglich, für die AIIB eine Ausnahme zu machen.
Umso mehr war die Mitgliedschaft europäischer Staaten für eine internationale Institution wie die AIIB unerlässlich. Europäische Regierungen nahmen den Standpunkt ein, ihre Mitgliedschaft erlaube es ihnen, die Standards der neuen Bank mitzubestimmen. Großbritannien gab im März 2015 bekannt, dass es der AIIB beitreten werde; Deutschland und weitere europäische Länder, darunter Österreich und die Schweiz, folgten schnell
Peking hat ein Vetorecht
Die Asiatische Infrastruktur-Investmentbank (AIIB) finanziert große Infrastrukturprojekte im Energie- und Verkehrsbereich. Ihr Wirkungsgebiet umfasst Süd- und Zentralasien, aber auch den Kaukasus und ...
Laut Jin Liqun, dem Geschäftsführer der neuen Bank, wird die AIIB „schlank, sauber und umweltfreundlich“ sein und die höchsten Führungsstandards des 21. Jahrhunderts erfüllen. Daran gibt es allerdings Zweifel. Bei der Ausarbeitung des Umwelt- und Sozialrahmens fehlt es an Transparenz, die Öffentlichkeit ist nur unzureichend einbezogen. Die Vertragsparteien verabschiedeten im März 2016 hinter verschlossenen Türen die Umwelt- und Sozialstandards (Environmental and Social Framwork, EFS) der AIIB. Auch die Richtlinie über den öffentlichen Zugang zu Informationen wurde im März verabschiedet. Sie sieht nicht vor, Informationen zu den von der AIIB zu finanzierenden Vorhaben vor ihrer Bewilligung öffentlich zu machen.
Zu viele Schlupflöcher
Das ESF enthält alle angesagten Schlagworte wie Transparenz und Verantwortlichkeit. Aber es fehlt an klaren und verbindlichen Anforderungen und es gibt zu viele Ausnahmeregelungen und Schlupflöcher. Kunden der AIIB werden gebeten, Auflagen der Bank innerhalb eines von ihr gesetzten Zeitfensters zu erfüllen. Dies lässt der Geschäftsführung der Bank, die mehr an der Vergabe von Krediten als an nachhaltigen Ergebnissen interessiert ist, zu viel Ermessensspielraum. Kunden, sowohl private wie auch staatliche, haben darüber hinaus die Möglichkeit, ihre eigenen Standards zu verwenden. Wie die AIIB beurteilen wird, ob diese angemessen sind, ist unklar.
Zudem fehlt eine Anlagepolitik für den Sektor der fossilen Brennstoffe oder zumindest eine Strategie, wie die AIIB mit den bekannten Gefahren für die Umwelt und die Gesundheit umgehen will, die speziell von Kohlenutzung ausgehen. Sie könnte helfen, die Sinnhaftigkeit von künftigen Kohleprojekten zu bewerten. Andere multilaterale Banken – darunter die Weltbank – haben in den vergangenen Jahren Klima- und Energierichtlinien eingeführt, die ihre Beteiligung an Kohlekraftwerken beschränken. Einige Anteilseigner dieser Entwicklungsbanken, darunter 14 europäische Staaten, haben die Finanzierung von Kohleprojekten endgültig eingestellt und sind auch Gründungsmitglieder der AIIB. Es gibt leider keine klaren Aussagen dazu, ob sie sich während der Verhandlungen über die AIIB dafür eingesetzt haben, die Finanzierung von Kohleprojekten einzuschränken.
Jin Liqun hat erklärt, dass Kohlekraft für Menschen ohne Zugang zu Elektrizität in armen Ländern eine Menschenrechtsangelegenheit sei und die AIIB daher bei der Finanzierung neuer Kohleprojekte Ausnahmen machen solle. Aber eine Studie des britischen Overseas Development Institute hat jüngst gezeigt, dass neue Kohlekraftwerke kein geeignetes Mittel gegen Energiearmut sind und in der Praxis der Aufbau neuer Kraftwerke nicht direkt Zugang zu Elektrizität oder geringere Kosten für arme Verbraucher schafft.
Autoren
Nora Sausmikat
ist habilitierte Sinologin und leitet das China-Programm der Stiftung Asienhaus in Köln.Korinna Horta
ist promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin und Beraterin der Umwelt-und Menschrechtsorganisation „urgewald“.Wawa Wang
arbeitet für die bankenkritische Organisation Bankwatch Network for Central and Eastern Europe (CEE).Doch der Vorgang bestätigt eine frühere Andeutung chinesischer Verantwortlicher, wonach die Entscheidung über förderbare Projekte eher bei einer technischen Expertenkommission liegen wird als beim Aufsichtsrat der Bank. Die Aufgabe des Aufsichtsrats, der anders als bei den anderen multilateralen Banken keine permanente Vertretung in der Bank haben wird, ist es, die Richtlinien der AIIB zu bewilligen. In ihm sind auch Europäer vertreten. Unklar bleibt seine Rolle bei der Überprüfung von geplanten Projekten, der Bewertung der Umweltfolgen und der Entscheidung über individuelle Investitionen. Ein früher Vorschlag der AIIB, dass Investitionen von bis zu 500 Millionen US-Dollar vom Geschäftsführer der Bank alleine genehmigt werden könnten, stieß anscheinend auf Widerstand aus Europa. Es ist aber nicht bekannt, ob eine neue Grenze gesetzt wurde.
Es bleibt bisher also unklar, auf welcher Basis die AIIB große Infrastrukturprojekte bewilligen wird. Gleichzeitig sind ihre Standards dermaßen flexibel, dass sie weder Gemeinschaften noch die Umwelt vor den vorhersehbaren und irreversiblen Schäden riesiger Infrastrukturprojekte schützen. Die europäischen Mitgliedstaaten der AIIB riskieren ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie sich nicht der Absicht der AIIB in den Weg stellen, die Kohlekraft voranzutreiben. Gerade nach der historischen Übereinkunft auf der Pariser Klimakonferenz, die viele Beobachter als den Anfang vom Ende der Ära fossiler Brennstoffe betrachten, wäre das inakzeptabel.
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