Mit unbewegter Miene spricht Junior Nzita über grausige Dinge. Zum Beispiel dass er als 13-Jähriger einer alten Frau den Kopf abgeschnitten hat, weil sie seinen Trupp ausspionieren wollte. Junior Nzita war damals Kindersoldat im Kongo – gegen seinen Willen. „Ich lebte vorher eine normale Kindheit mit meiner Familie in Goma“, erzählt er. „Nach der Grundschule schickte sie mich auf ein Internat in der Provinz Nord-Kivu. Ich war zwölf, als AFDL-Rebellen mich und viele Mitschüler entführten.“
Das war 1996 – zu Beginn der Kriege, die den Kongo bis 2003 verheerten und im Osten des Landes bis heute schwelen. Ihr Auslöser lag in Ruanda: Als die Ruandische Patriotische Front (RPF) die Regierung Ruandas besiegte und den Völkermord dort beendete, flohen hunderttausende Ruander ins damalige Zaire. Dort bereiteten Anhänger des Völkermord-Regimes einen Gegenschlag gegen die neue Regierung in Ruanda vor, und Zaires Diktator Mobutu Sese Seko ließ sie gewähren. Daraufhin fegte das Rebellen-Bündnis AFDL mit Hilfe von Ruanda sein Regime hinweg.
Nzita war dabei: „Die Truppe bestand aus Kongolesen, Ruandern, Ugandern und Burundern“, erzählt er. „Wir wurden gezwungen, Krieg gegen die frühere ruandische Armee zu führen und Präsident Mobutu von der Macht zu verjagen. Die Mehrheit in unserer Truppe waren Kadogo“ – so nennt man im Kongo die Kindersoldaten. „Wir bekamen ein paar Wochen elementares Training“, berichtet Nzita weiter. Als er sich zum ersten Mal überwunden und einen Menschen erschossen hatte, war es wie ein Spiel, erinnert er sich: „Man musste töten, um nicht getötet zu werden.“ Im Kampf, sagt er, wurden die Kindersoldaten mit Absicht immer ganz nach vorn geschickt.
Desertieren war nahezu unmöglich
Die Truppe marschierte zu Fuß bis zur Hauptstadt Kinshasa. Nach dem Sturz Mobutus 1997 wurde sie zur regulären Armee – und behielt die Kadogos. „Vorher hatte man uns versprochen: Nach dem Krieg könnt ihr zur Schule gehen, man wird euch bezahlen und ihr werdet psychologisch behandelt“, sagt Nzita bitter. „Nichts wurde davon eingehalten.“
1998 brach der zweite Kongo-Krieg aus: Die neue Regierung in Kinshasa kämpfte mit Hilfe von Angola und Zimbabwe gegen Truppen aus Ruanda und Uganda sowie Anhänger des gestürzten Mobutu. „Wir mussten als loyale Soldaten unsere Pflicht tun“, sagt Nzita, der damals 14 Jahre alt war. „Die kadogo sollten Soldaten aus Mobutus geschlagener Armee und angolanische Rebellen, die ihnen halfen, nach Angola verjagen. Das war sehr hart, denn in Angola lagen viele Landminen.“ Sehr viele seiner Kameraden verloren dort ihr Leben.
Hat er jemals versucht zu desertieren? „Nein. Das war fast unmöglich. Wenn man erwischt wurde, wurde man zusammen mit den Kameraden der eigenen Gruppe umgebracht.“ So beugten sich die Kadogo den Gesetzen des Krieges. Nzitas Trupp wurde gefangen und misshandelt; vier konnten fliehen, indem sie einen Wärter umbrachten. Er habe den Krieg schwer erträglich gefunden, sagt er. „Aber das härteste für mich war, wenn ich Kinder meines Alters zur Schule gehen sah. Das konnte ich nicht ertragen. Ich musste wie ein Erwachsener sein, aber das Kind in mir wollte immer in die Schule.“
Zurück in Kinshasa bekam er die Chance dazu. Er freundete sich mit gleichaltrigen Schülern an – und mit einem Mädchen. Er traf sie in Schuluniform, die seine Freunde ihm besorgt hatten. Dass er Soldat war, verheimlichte er der Freundin, die das Militär verabscheute: Angolanische Soldaten hatten ihre Mutter und ihre Schwester vergewaltigt und den Bruder getötet. Als sie herausfand, dass Nzita ein Kadogo war, trennte sie sich von ihm.
Die Lehrerin kaufte ihm Süßigkeiten
Das traf den 16-Jährigen hart. „Mein Vorgesetzter merkte, dass es mir schlecht ging, und fragte nach dem Grund“, erzählt Nzita. „Da habe ich ihn gefragt, warum ich nicht in die Schule gehen kann wie alle Kinder. Er war schockiert. Aber er hat mir geholfen. Er hat dafür gesorgt, dass ich die Kaserne verlassen durfte.“ Nzita lernte, anders als die meisten Kadogos, das zivile Leben schon vor der Entlassung kennen.
Seine Schulkameraden waren anfangs sehr misstrauisch. „Sie hatten Angst vor mir. Auch die Lehrer“, erzählt Nzita. Eine Lehrerin wusste nicht, dass er Kadogo war. „Bei uns müssen alle Schüler aufstehen, wenn ein Lehrer in die Klasse kommt. Ich hatte das vergessen und blieb sitzen. Da gab sie mir eine Ohrfeige.“ Sie verlangte, dass er sich vor der Klasse hinkniete. „Wenn jemand anderswo so etwas mit mir gemacht hätte, hätte ich ihn umgebracht.“ Dann kam der Schulleiter und fragte, was los sei. „Die Lehrerin erklärte es und der Schulleiter sagte, man müsse mich verstehen: Er ist das nicht mehr gewohnt, er ist ja ein Kindersoldat. Da hat sich die Lehrerin sehr unwohl gefühlt. In der Pause hat sie mir Süßigkeiten gekauft. Ich habe ihr gesagt, sie solle mich behandeln wie alle Schüler.“
Nzita schlief weiter in der Kaserne, bis eine mit seinem Vorgesetzten befreundete Familie ihn zu sich holte. 2006 machte er mit 22 Jahren das Abitur – und entkam der Armee. Inzwischen war der Krieg in großen Teilen des Kongo beendet. Und Nzita hatte 2003 eine Vereinigung von aktiven Kindersoldaten gegründet. „Wir verlangten immer wieder die Demobilisierung der Kadogo“, sagt er. „Die Armee war schlimmer als ein Gefängnis, es war Sklaverei: Man musste alles tun, was verlangt wurde.“
Mit 100 Dollar aus der Armee entlassen
2006 konnte er unter einem Demobilisierungsprogramm die Armee verlassen – ohne Unterstützung für ein neues Leben. „Die größte Hilfe für Kindersoldaten muss eine Ausbildung und eine Trauma-Behandlung sein. Keins davon habe ich bekommen. Ich erhielt hundert Dollar, das war alles. Wer wie ich zehn Jahre in der Armee gewesen ist, braucht normalerweise zwei Jahre Trauma-Behandlung.“ Noch heute kann Nzita kaum jemals länger als zwei Stunden schlafen, ohne dass die Erinnerungen ihn aufwecken, sagt er. Geholfen hat ihm die Religion: „In der Kirche habe ich gelernt, die Regeln der Gewalt abzulegen und wieder Werte der Liebe zu lernen.“
Autor
Junior Nzita gründete mit Freunden die Hilfsorganisation „Paix pour les Enfants“ (PPE, Frieden für die Kinder). Sie vermittelt Waisen – vor allem von Militärs, die im Krieg gefallen sind – an Witwen oder Familien, bietet Ausbildung in ihrem kleinen Landwirtschaftsprojekt und organisiert Ferienlager. „Viele meiner früheren Kameraden hatten den Eindruck, dass nach der Armee das Leben aufhört. Ich wollte ihnen zeigen, wie sie etwas Nützliches tun können“, sagt Nzita. „In Angola hat mich ein Freund gebeten, mich um seine Frau und sein Kind zu kümmern, wenn er sterben sollte. Er ist in Angola umgekommen. Jede Kriegswaise erinnert mich an ihn.“
Junior Nzita hat seine Erfahrungen aufgeschrieben in „Wenn ich mein Leben als Kindersoldat erzählen könnte“. Das Buch ist im Dezember in der edition thac erschienen. Seine Arbeit wird vom Internationalen Versöhnungsbund unterstützt.
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