Folgenschwere Freundschaft

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Südafrikanische Blauhelme
Seit vielen Jahren unterstützt Südafrika internationale Friedensmissionen. Eigeninteressen verdrängen inzwischen die hehren Ideale von Frieden auf dem Kontinent – auch auf Kosten der eigenen Soldaten.

Das Green-Point-Stadion in Kapstadt ist in Flutlicht getaucht. Die Jubelrufe der Fans durchdringen die Nacht, als am 23. Mai 2013 Südafrikas Fußballnationalmannschaft das erste Tor gegen die Mannschaft der Zentralafrikanischen Republik schießt. Während in Kapstadt gefeiert wird, knattern in der zentralafrikanischen Hauptstadt Bangui die Kalaschnikows. Südafrikanische Soldaten liefern sich dort ein Gefecht mit den aufständischen Seleka-Rebellen. Die zentralafrikanische Armee hat längst aufgegeben, der Staatspräsident François Bozizé ist abgetaucht. Noch wenige Tage zuvor hat er in Südafrika Krisengespräche mit Präsident Jacob Zuma geführt. Als in Kapstadt das zweite Tor fällt, entbrennt der Kampf in Bangui erst richtig. 13 südafrikanische Soldaten sterben, 27 werden schwer verletzt. Innerhalb weniger Stunden haben die Rebellen die Kontrolle über die Hauptstadt gewonnen.

Der Kampf um Bangui ist in der Kap-Republik mittlerweile zur Legende geworden. Während viele Südafrikaner die Machthaber in Pretoria für den Tod der Soldaten verantwortlich machen, fordert die Opposition Antworten. Sie will wissen, weshalb 200 südafrikanische Soldaten rund 3000 Kämpfern der Putschisten gegenüberstanden – ohne Mandat der Vereinten Nationen oder der Afrikanischen Union (AU) und ohne den Segen des südafrikanischen Parlaments.

Beobachter werfen Präsident Jacob Zuma einen Bruch der Verfassung vor. Er hatte die Soldaten nach einem Vieraugengespräch mit dem damaligen Staatsoberhaupt der ZAR, François Bozizé, entsandt. Die Soldaten seien für den Frieden in Afrika gestorben, hieß es beim Afrikanischen Nationalkongress (ANC). Und für Zuma stand ohnehin fest: „Kein Land bespricht seine Militärstrategie in aller Öffentlichkeit, wie man es von Südafrika erwartet.“ Unter Südafrikanern warf die politische Tragödie jedoch eine ganz andere Frage auf: Weshalb kämpft die Regierung in Pretoria für den Frieden in Afrika, während das Schwellenland selbst noch unter Kriminalität, Unterentwicklung und Armut leidet? Viele forderten 2013 deshalb den sofortigen Abzug südafrikanischer Truppen.

Weniger selbstlos als früher

Seit mittlerweile 15 Jahren schickt Südafrika seine Truppen in Krisenherde auf dem eigenen Kontinent. 1999 nahmen erstmals südafrikanische Blauhelme an der MONUC-Mission in der Demokratischen Republik Kongo teil. In Burundi trat der damalige Präsident Nelson Mandela nicht nur als Vermittler im Bürgerkrieg auf, sondern auch als Friedensstifter. Er schickte knapp tausend Soldaten in das ostafrikanische Land. In den Jahren darauf folgten Einsätze in Liberia, Südsudan, Uganda, der Elfenbeinküste, an der äthiopisch-eritreischen Grenze und in Mosambik. Mehr als 2200 Soldaten haben die Südafrikanischen Verteidigungskräfte (SANDF) heute allein in der DR Kongo und der sudanesischen Unruheregion Darfur stationiert. Seit dem Ende der Apartheid 1994 haben sie bislang 14 Friedensmissionen unterstützt, die Hälfte davon unter einem UN-Mandat.

Südafrikas Einsatz gründet auf einer langen Freundschaft zwischen dem ANC und Afrikas ehemaligen Befreiungsbewegungen. Mandela, Zuma und viele Regierungsmitglieder haben jahrelang im afrikanischen Exil gelebt, nachdem das Apartheid-Regime 1960 den ANC verboten hatte. „Der Friedenseinsatz in Burundi geht auf Mandela zurück und wurde von seinem Nachfolger Thabo Mbeki fortgeführt“, sagt der südafrikanische Verteidigungsexperte Helmoed Römer-Heitman. Einerseits habe Mbeki eine panafrikanische Agenda verfolgt und forderte „afrikanische Lösungen für Afrikas Probleme“, andererseits habe er versucht, den jungen Staat als „fürsorgliche Nation“ zu vermarkten.

Allerdings sind Südafrikas Motive für Friedensmissionen 21 Jahre nach der demokratischen Dämmerung weniger selbstlos als noch 1994. Das aufstrebende Schwellenland will seine Führungsrolle verteidigen – nicht nur als zweitgrößte Wirtschaftsmacht des Kontinents, sondern auch als Vertreter afrikanischer Interessen auf der Weltbühne, etwa im Bündnis mit Brasilien, Russland, Indien und China (BRICS). Denn wenn Südafrika seine Wirtschaft vergrößern wolle, müsse es sicherstellen, dass die Staaten der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft (SADC) stabil sind, so Römer-Heitman. „Wir sind das einzige Land mit industrieller Produktion in der Region, weshalb sie unser wichtigster Markt ist.“

"Armee in einem Zustand des Verfalls"

Um den Frieden in der Region zu wahren, geht Südafrika ein hohes Risiko ein. Der jüngste „Defence Review“, eine jährliche Evaluierung durch die Regierung, sieht die Armee „in einem kritischen Zustand des Verfalls“. Mindestens zehn Jahre benötige die Regierung, um eine nachhaltige Landesverteidigung aufzustellen. Für die Soldaten im Feld bedeutet das: veraltete Flugzeuge, fehlende Munition, kaputte Fahrzeuge. Um die 200 Soldaten auf die umstrittene Mission in die Zentralafrikanische Republik zu schicken, musste die Armee Privatflugzeuge mieten. Laut dem Thinktank „Providing for Peacekeeping“ hat Südafrika zwar in den vergangenen Jahren bei immer mehr Friedensmissionen ausgeholfen, zuletzt etwa der 2013 gegründeten „UN Intervention Brigade“ zur Stabilisierung des Ostkongos. Doch die Friedenshelfer arbeiten noch mit demselben Budget wie schon in den 1990er Jahren.

Nach der Schlacht von Bangui zeichnet sich in der Bevölkerung klar die Stimmung ab: angemessene Ausrüstung und Finanzierung oder Abzug. Südafrikaner unterstellen ihrer Regierung Halbherzigkeit. Manche kritisieren, dass die Truppe für solche Einsätze auch genügend Mittel bekommen muss. Andere fordern, Südafrika solle zuerst seine eigenen Probleme lösen, bevor es Soldaten in die Welt schicke.

###autor###Die Debatte um den Rückzug verschärfte sich mit dem diplomatischen Debakel um Sudans Präsidenten Omar al-Baschir. Der war im Juni zu einem Gipfel der Afrikanischen Union (AU) nach Johannesburg gereist, obwohl der Internationale Strafgerichtshof einen Haftbefehl gegen ihn erlassen hatte – wegen Kriegsverbrechen in der sudanesischen Provinz Darfur. Über Nacht erwirkten Aktivisten einen Beschluss des höchsten Gerichts, wonach Südafrika al-Baschir festnehmen müsse. Zumas Regierung jedoch pochte auf dessen diplomatische Immunität und ließ den Langzeit-Regenten ausreisen. Erst später berichteten südafrikanische Zeitungen unter Berufung auf die Blauhelme von einer Quasi-Geiselnahme nördlich von Darfur, die zu der Entscheidung beigetragen haben könnte: 400 sudanesische Soldaten hätten zusätzliche Munition herangeschafft und die Kaserne südafrikanischer Friedenssoldaten umzingelt – entschlossen, die Freilassung ihres Präsidenten notfalls zu erzwingen.

Falls das stimmt, hätte Bashir endgültig bewiesen, dass die Welt ihm nicht trauen kann und dass er nicht an diplomatische Grundsätze glaubt, meint Römer-Heitman. „Das sollte uns nachdenklich stimmen, weshalb unsere Truppen in dem Land involviert sind.“ Dem Verteidigungsstrategen zufolge bringe Südafrikas Regierung ihre schlecht ausgerüsteten Blauhelme in Gefahr, um politische Ziele zu erreichen. Ein vollständiger Rückzug aus Afrika, wie viele Südafrikaner ihn fordern, wäre dennoch schlecht für die Kap-Nation, glaubt er. Die Konflikte würden sich entweder verschärfen und das südliche Afrika wirtschaftlich sowie durch vermehrten Drogenschmuggel und eine Flüchtlingswelle in Mitleidenschaft ziehen. Oder eine außenstehende Weltmacht würde ihre Truppen senden, dann aber in eigenem statt im südafrikanischen Interesse.

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erschienen in Ausgabe 11 / 2015: Blauhelme: Abmarsch ins Ungewisse
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