Sie waren Anfang 20, als Sie beschlossen, nach Europa auszuwandern. Wie kam es dazu?
Ich bin im Norden Ghanas aufgewachsen, einer sehr armen ländlichen Region. Nach der Schule habe ich angefangen zu studieren, aber das konnte ich mir nach einem Jahr nicht mehr leisten. Von einem Freund hatte ich von Libyen gehört. Dass es dort Arbeit gibt. Und dass man von dort nach Europa kommen kann. Irgendwann bin ich einfach losgezogen, ich wollte in Europa mein Studium fortsetzen. Ich hatte kaum Geld dabei. Ein LKW-Fahrer hat uns bis nach Niamey in Niger mitgenommen. Danach habe ich gebettelt, als Tagelöhner, in einem Militärcamp und in einer Salpetermine gejobbt. Alles nur, um irgendwie nach Norden zu kommen.
Heute warnen Sie junge Leute davor, den gleichen Weg einzuschlagen. Was sagen Sie ihnen?
Wie gefährlich und langwierig die Reise ist. Wie man unterwegs misshandelt wird, sein Leben in einem überfüllten LKW in der Wüste oder einem Schlauchboot auf dem Mittelmeer riskiert. Mit unserer Organisation African Development Organisation for Migration sprechen wir mit Schülern und informieren in Radiosendungen. Die Ignoranz gegenüber den Gefahren der Flucht ist einer der Gründe für die vielen irregulären Migranten.
Warum werden die Gefahren nicht wahrgenommen?
Ein wichtiger Grund ist, dass die Familien die Erziehung ihrer Kinder total vernachlässigen. Im muslimischen Norden Ghanas können Männer so viele Frauen heiraten, wie sie wollen. Ein Mann hat also vier Frauen und 20 bis 30 Kinder. Die Eltern können sich nicht um alle kümmern, viele Jugendlichen werden einfach allein gelassen, ohne Ausbildung und Perspektiven.
Was unternimmt ihre Organisation dagegen?
Wir klären auch die Eltern über die Risiken der Flucht auf. Und wir sprechen mit religiösen Führern. Sie müssen an die Verantwortung der Väter für ihre Familien appellieren und nicht nur die Polygamie propagieren.
Wissen die jungen Auswanderer denn, dass sie in Europa kaum Chancen auf Asyl haben?
Zu Beginn kaum. Aber sie lernen unterwegs und durch den Kontakt mit denen, die schon in Europa sind. Als ich damals in Libyen ankam, habe ich jeden Tag mit Landsleuten in Italien telefoniert. Die haben uns gesagt: „Gebt euch als Sudanesen aus, dann habt ihr bessere Chancen auf Asyl.“ Ich habe 2004 während meiner Fahrt übers Mittelmeer meinen Pass und mein libysches Geld weggeschmissen. Als wir dann von der Cap Anamur in Seenot gerettet wurden, habe ich erzählt, dass ich aus Kutum komme, einem kleinen Ort in Nord-Darfur. Weil ich Leute aus Sudan kennengelernt hatte, wusste ich alles über die Region, wie die Lokalpolitiker heißen, welches Essen es dort gibt, auch die dort üblichen Sprachen konnte ich sprechen. Damit wollte ich die Behörden in Italien überzeugen.
Das ist Asylbetrug. Fanden Sie das legitim?
Natürlich ist das Betrug. Aber wenn man schon so viel riskiert hat, dann versucht man eben alles, um nicht zurückgeschickt zu werden. Fast hätte es auch geklappt, aber einer aus unserer Gruppe hat gepatzt. Die ganze Sache flog auf und wir wurden abgeschoben.
Die Geschichte mit der Cap Anamur ging damals um die Welt. Wie werden die Bootsunglücke im Mittelmeer heute in Ihrer Heimat wahrgenommen?
Das ist natürlich ein Thema. Alle sehen die Fernsehbilder davon in CNN oder Al Jazeera, wenn mal wieder etwas passiert.
Ist das nicht abschreckend?
Europa gilt in Ghana noch immer als gelobtes Land. Und es gibt ja gute Gründe für die Migration. Nur die wenigsten Menschen verlassen ihre Heimat, weil sie das wollen, sondern weil sie keine andere Möglichkeit sehen.
Aber ist Migration nicht auch etwas ganz normales?
Ja, aber sie sollte auf legalem Weg stattfinden können. Deshalb sollten die Europäer großzügiger Visa vergeben, zum Beispiel an Studenten. Viele gehen erst zur Botschaft und bewerben sich dort um ein Visum. Wenn sie damit keinen Erfolg haben, versuchen sie es auf eigene Faust.
Sprechen die Politiker in Ghana über das Problem?
Die Politiker äußern ihr Bedauern über die Menschen, die in der Wüste oder im Mittelmeer sterben. Aber sie reden nur, es passiert absolut nichts. Es gibt in Ghana keinen politischen Plan, wie man mit der Auswanderung umgehen sollte.
Wie sollte ein solcher Plan aussehen?
Die Armut und die Arbeitslosigkeit müssen bekämpft werden. Im Norden kommt vom Wirtschaftswachstum nichts an. Auch weil sich die Politik kaum um die Landwirtschaft kümmert, die dort sehr wichtig ist. Die arbeitslose Jugend zieht es in die Städte im Süden. Dort landen viele auf der Straße und entschließen sich dann weiterzuziehen. Die großen Unterschiede zwischen Land und Stadt und dem Norden und Süden in Ghana führen zu einer Landflucht, die dann auch den Migrationsdruck nach Europa erhöht.
Mehr Jobs gibt es aber nicht von heute auf morgen. Was kann die Politik kurzfristig tun, um die illegale Migration zu begrenzen?
Information und Aufklärung können helfen. Wir tun das seit Jahren, aber bisher hat uns kein Politiker Unterstützung angeboten. Obwohl wir bekannt sind und schon in Talkshows im Fernsehen über das Thema diskutiert haben. Das Geld für unsere Arbeit kommt nicht aus Ghana, sondern aus Deutschland.
Sollten die europäischen Länder versuchen, die Migrationsbewegungen in Afrika zu steuern? Zum Beispiel mit Informations- oder Asylzentren, wie sie die Europäische Union in Agadez in Niger plant?
Soll dort etwa geprüft werden, ob jemand Chancen auf Aufnahme in Europa hat? Und wenn ja, wird er ausgeflogen? Ich habe vor einiger Zeit Agadez besucht und dort viele Ghanaer getroffen, die total verzweifelt waren und unbedingt zurück in die Heimat wollten, aber kein Geld mehr hatten. Ich habe die Regierung in Ghana auf das Problem hingewiesen, aber es kam keine Reaktion. Dabei hat doch jede Regierung die Pflicht, sich um ihre Bürger zu kümmern. Egal, wo sie sind. Wenn also jemand bei der Rückführung der gestrandeten Migranten hilft und Asylberechtigte direkt nach Europa ausreisen lässt, warum nicht? Aber die illegale Migration werden solche Camps nicht stoppen. Dafür muss man die Probleme in den Herkunftsländern lösen.
Wie können die Europäer dazu beitragen?
Indem man zum Beispiel mehr Geld für Entwicklungshilfe bereitstellt. Deutschland hat jetzt sechs Milliarden Euro zusätzlich für die Aufnahme von Flüchtlingen veranschlagt. Wenn eine ähnliche Menge Geld für Entwicklungsprojekte und Ausbildung in Afrika ausgegeben würde, wäre schon viel erreicht.
Aber in den vergangenen Jahrzehnten ist doch schon viel Entwicklungshilfe nach Afrika geflossen!
Zu viel davon ist in den Taschen korrupter Politiker verschwunden. Wir brauchen mehr Hilfe, die direkt an die Zivilgesellschaft und die Unterstützung der Landwirtschaft geht.
Was halten Sie von dem Vorschlag, zusätzliche Hilfen an die Aufnahme abgeschobener Asylbewerber zu knüpfen?
Die Menschen einfach nur deportieren, bringt wenig. Die Leute kommen wieder. Ich kenne viele, die es schon drei, vier Mal nach Europa versucht haben. Das Problem ist die Wiedereingliederung der Abgeschobenen. Viele sind traumatisiert. Sie werden nicht mehr von ihren Familien aufgenommen, sind Outsider. Ihnen muss dann auch in den Herkunftsländern geholfen werden.
Das Gespräch führte Sebastian Drescher
Was tun?
Danke Herr Drescher, Sie haben die richtigen Fragen gestellt. Nur wissen wir alle, dass wir den Afrikanern Anreize und Beispiele geben müssen, damit sie gern in ihren Heimatländern bleiben. Ein gutes Beispiel ist BSPW in Jinja/Uganda, das vor über 10 Jahren von von einem Deutschen als Radlwerkstatt gegründet wurde und heute unter einem Dach neben der Radlwerkstatt eine Schreinerei, eine Maismühle, eine Kochherdproduktion beheimatet und etwa zwei Dutzend Menschen Ausbildung und Einkommen ermöglicht. Nach den Erfahrungen, die ich in Uganda gemacht habe, würde ich gern mit Aminu Munkaila (Email-) Kontakt aufnehmen.
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