Im Auge der Zivilgesellschaft

Herausgeberkolumne
Die Schweiz ist Heimat vieler international tätiger Konzerne. Doch etliche von ihnen sorgen mit Menschenrechtsverletzungen für Schlagzeilen. Eine Volksinitiative setzt sich für mehr Sorgfalt und Verantwortung von Firmen ein.

icht schon wieder, denkt die Leserin nach einem Blick in die Zeitung. Ein Minenkonzern zerstört die Lebensgrundlagen von Bauernfamilien in Afrika. Die Regelmäßigkeit solcher Nachrichten ist beunruhigend. War es vor kurzem nicht eine Nahrungsmittelfirma, die mit skrupellosen Paramilitärs in Südamerika Geschäfte machte? Und da war doch die bekannte Kleidermarke, die in Entwicklungsländern unter erbärmlichen Bedingungen produzieren lässt.

Allesamt Schweizer Unternehmen, denkt bekümmert die Schweizer Zeitungsleserin. Bei der Anzahl an internationalen Firmen, die sich in der Schweiz niederlassen, kein Wunder. Es stünde unserer Regierung gut an, endlich ein Zeichen zu setzen und den zunehmend schlechten Ruf unseres Landes zu verbessern. Menschenrechtsverletzungen durch hiesige Konzerne zerstören unsere Reputation. Und die ist bereits lädiert durch die Machenschaften des Finanzplatzes. Das können wir nicht hinnehmen.

Aber die Regierung macht nichts. Sie hofft noch immer, dass die Unternehmen freiwillig tun, was sie selber nicht durchzusetzen wagt. Bern begrüßt zwar die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, die ein Zusammengehen von freiwilliger Verpflichtung und gesetzlicher Regulierung vorsehen, tut aber nichts dafür. Und auch das Parlament bringt die Sache nicht weiter. Der Versuch, eine Sorgfaltsprüfungspflicht für international tätige Unternehmen einzuführen, ist diesen Frühling im Parlament gescheitert.

Aber zum Glück gibt es in der Schweiz das Initiativrecht. Damit kann die Blockade in der Politik aufgebrochen werden. „Der Bund trifft Maßnahmen zur Stärkung der Respektierung der Menschenrechte und der Umwelt durch die Wirtschaft.“ Mit diesem schlichten Grundsatz beginnt der Text einer Volksinitiative, die im vergangenen April in der Schweiz lanciert wurde. Eine Koalition von über 70 Hilfswerken und Umweltorganisationen will mit der Konzernverantwortungsinitiative gesetzlich regeln, was auf freiwilliger Basis offensichtlich nicht erreichbar ist.

Die Öffentlichkeitsarbeit der Zivilgesellschaft während der letzten Jahre zahlt sich nun aus. Das Thema der unternehmerischen Verantwortung kommt in der Bevölkerung trotz der komplexen Formulierung im Gesetzesentwurf gut an. Unsere Zeitungsleserin weiß, was sie als Bürgerin unterschreibt. Die Unternehmen werden zu einer angemessenen Sorgfaltsprüfung verpflichtet. Nicht nur die Risiken der Investoren und Unternehmenseigner sollen künftig geprüft werden, sondern auch die aller anderen Menschen, die von den Geschäften betroffen sind. Sind schädliche Auswirkungen auf die Menschenrechte oder die Umwelt zu erwarten, müssen die Unternehmen etwas dagegen tun. Und sie müssen transparent darüber berichten, denn das geht uns alle an.

Was aber ist mit kleinen und mittelständischen Unternehmen? Sind die mit einer solchen Sorgfaltspflicht nicht überfordert? Nein, weiß die informierte Zeitungsleserin, der Umfang der Prüfungspflicht hängt von den konkreten Risiken ab. Diese sind bei Konzernen viel größer als bei kleinen und mittleren Unternehmen. Deren Aufwand bleibt gering, solange sie nicht in einem Hochrisikobereich wie dem Diamanthandel arbeiten. Es sollen keine bürokratischen Leerläufe geschaffen werden, sondern ein sinnvolles und effizientes Instrument der Unternehmensverantwortung.

Und was ist, wenn ein Schweizer Unternehmen doch mit dem Vorwurf von Menschenrechtsverletzungen konfrontiert wird? Auch hier kennt die aufmerksame Zeitungsleserin inzwischen die Antwort. Wenn das Unternehmen beweisen kann, dass es mit der gebotenen Sorgfalt vorgegangen ist, ist es nicht haftbar. Das Gesetz wird vor allem präventiv wirken. Wird die Initiative angenommen, werden die Unternehmen ein großes Interesse daran haben, möglichen Verletzungen von Menschenrechten und Umweltstandards früh vorzubeugen. Damit werden sie ihrer Verantwortung gerecht. Einer Verantwortung, die die Vereinten Nationen übrigens vor vier Jahren einstimmig als verbindlich erklärt haben.

Die Zeit ist reif, diese Verantwortung gesetzlich festzulegen. Immer mehr Menschen sind überzeugt, dass die Respektierung der Menschenrechte und der Umwelt nicht der Freiwilligkeit der Unternehmen überlassen werden darf. Und nicht wenige, die um den Ruf unseres Landes fürchten, setzen sich dafür ein, dass die Schweiz als Vorbild vorangehen soll.

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erschienen in Ausgabe 9 / 2015: Entwicklung - wohin?
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