Die Vereinten Nationen seien oft „ein Ort der Frustration und der Unentschlossenheit“. Und manchmal auch der „wahnsinnig machenden Untätigkeit“ – wie zum Beispiel in Syrien. Der Stoßseufzer stammt von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon aus einer Rede im Juni zum 70. Geburtstag der Weltorganisation. Im Jubiläumsjahr 2015 sehen die Vereinten Nationen sich mit einer Vielzahl dramatischer Krisen und schwerer Aufgaben konfrontiert – und nicht nur ihr oberster Boss findet, dass sie dabei nicht immer die beste Figur macht. Das fängt an mit den Kriegen in der arabischen Welt, geht weiter mit der größten Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg und reicht bis zur ungelösten Frage, wie der menschengemachte Klimawandel gebremst werden kann.
In all diesen Krisen haben die Vereinten Nationen bislang bestenfalls an den Symptomen herumdoktern können, etwa indem sie Flüchtlinge mit Essen und Unterkünften versorgen. Den Ursachen stehen sie weitgehend hilflos gegenüber. Der Weltorganisation wohlgesonnene Fachleute und Politiker betonen zu Recht, dass das den UN selbst nur zum Teil angelastet werden kann. Man kann es nicht oft genug sagen: Die Vereinten Nationen sind nur so stark, wie ihre knapp 200 Mitglieder es zulassen.
Und allzu stark haben sie sie oft nicht werden lassen. Die aktive Rolle etwa, die den UN in der Friedenssicherung zugedacht war, notfalls mit eigenen Truppen, hat sie nie bekommen. Die USA und die Sowjetunion wollten das im sich zuspitzenden Ost-West-Konflikt nach 1945 nicht. Und heute sind dem Sicherheitsrat im Krieg in Syrien die Hände gebunden, weil sich Washington und Moskau nicht einigen können. Wenn es um Entwicklungs- oder Gesundheitspolitik oder um humanitäre Hilfe geht, für die die vielen Unterorganisationen der UN zuständig sind, zeigen sich die Mitglieder oft knauserig. Oder sie zahlen nur dann ihre Beiträge, wenn sie selbst bestimmen können, wofür das Geld verwendet wird. Auch das lähmt die Arbeit der Weltorganisationen.
Wofür taugen die Vereinten Nationen heute noch?
Um die Vereinten Nationen schlagkräftiger zu machen, sind deshalb eine Reihe von Reformen nötig – über die teilweise schon seit Jahren beraten wird. Dazu gehört die Frage, wer in Zukunft als ständiges Mitglied dem Sicherheitsrat angehören soll und ob einzelne Staaten weiter ihr Veto gegen Entscheidungen einlegen können dürfen. Zudem müsste der Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) aufgewertet werden und mehr Kompetenzen erhalten, um globalen sozialen Problemen wie Hunger und Armut besser gerecht zu werden. Und die Finanzierung der Weltorganisation muss neu geregelt werden, so dass sie über ein zuverlässiges und angemessenes Budget verfügt, über das sie frei verfügen kann.
Allerdings stellt sich auch die Frage, für welche Aufgaben die Vereinten Nationen heute noch taugen und für welche nicht. Seit ihrer Gründung ist die Weltlage unübersichtlicher geworden, Kriege und Konflikte sind komplizierter als früher, nichtstaatliche Kräfte wie Unternehmen, eine internationale Zivilgesellschaft und ihr dunkles Gegenstück, die organisierte Kriminalität, mischen in der globalen Politik mit, wie das seinerzeit nicht vorstellbar war. Mit dem Klimawandel und der Suche nach einem Entwicklungsmodell, das den Planeten nicht zugrunde richtet, muss die Menschheit Probleme bewältigen, von denen damals keine Rede war.
Nötig sind deshalb nicht nur stärkere Vereinte Nationen, sondern auch eine neue Arbeitsteilung zwischen ihr und anderen Spielern in der Weltpolitik. Dazu zählen Regionalorganisationen wie die Europäische und die Afrikanische Union, aber auch Staatenbündnisse wie die G7 oder die G20 der großen Schwellen- und Industrieländer. Solche Bündnisse sehen manche Kritiker als nicht legitimierte Konkurrenten der UN. Tatsächlich aber ergänzen sie die Weltorganisation und können Aufgaben übernehmen, für die die UN-Zentrale in New York die falsche Adresse ist. Ein Beispiel ist die Regulierung der Finanzmärkte durch die G20.
Die eine „Weltautorität“, wie sie Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Laudato si“ zur Lösung der gegenwärtigen globalen Aufgaben fordert, kann es nicht geben. Geht es um universelle Normen wie das Gewaltverbot und die Menschenrechte, müssen die Vereinten Nationen übernehmen. Doch wie ein gutes Leben und eine nachhaltige Gesellschaft aussehen, lässt sich nicht am East River beschließen – weshalb sich die UN mit den Nachhaltigkeitszielen übernommen haben dürften. Solche Fragen müssen vor Ort entschieden werden, in Städten etwa, von denen viele heute schon beim Klimaschutz vorangehen, ob die UN-Klimakonferenzen nun weiterkommen oder nicht.
Die Vereinten Nationen seien „ein unvollendetes Werk“, sagte Ban Ki-moon in seiner Rede. Und das, so könnte man hinzufügen, wird auch immer so bleiben.
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