Von GRAIN
Seit kurzem wird Malawi als „Wunder“ von Afrika und Vorbild für andere Länder gepriesen. Nach vier Jahren chronischer Nahrungsmittelknappheit produziert das Land inzwischen so viel Mais, dass es 2006 seinen Eigenbedarf decken und ein Jahr später sogar Mais exportieren konnte. Laut der „Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika“ (AGRA), dem Biotechnik-Konzern Monsanto und dem US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Jeffrey Sachs hat sich das Wunder von Malawi zugetragen, weil die Regierung die Verteilung von Mineraldünger und Hybridmais-Saatgut finanziell gefördert hat. Malawi wurde für sie zu einem schlagkräftigen Argument in ihrem Einsatz für eine neue grüne Revolution in Afrika.
Die Wirklichkeit ist allerdings komplizierter. Malawis Regierung bot in der Tat ihren ausländischen Geldgebern die Stirn und verteilte direkte Hilfen an Kleinbauern. Millionen Dollar flossen in das Programm, unter dem Gutscheinen für subventioniertes Maissaatgut und Düngemittel ausgegeben wurden. Die Bauern steigerten ihre Produktion erheblich und profitierten außerdem davon, dass das Wetter vier Jahre lang außergewöhnlich gut war. Keiner bestreitet diese Erfolge. Sie zeugen davon, was eine Regierung erreichen kann, wenn sie in ihre Landwirtschaft investiert. Dennoch ist der Anstieg der Maisproduktion mit Vorsicht zu betrachten. Gegenüber den Krisenjahren 2002 bis 2004 fällt er zwar sehr hoch aus. Ein weitaus weniger beeindruckendes Bild ergibt sich jedoch, wenn man zum Vergleich den jahrzehntelangen Durchschnitt heranzieht.
Das Programm ist zudem als Modell zur Lösung der mit Hunger und Armut verbundenen Krisen in Malawi oder auf dem afrikanischen Kontinent untauglich. Es ist langfristig mit Schwierigkeiten behaftet, die ohne Gegensteuerung alle guten Ansätze zum Scheitern verurteilen: die ungerechte Verteilung von Land, die Abhängigkeit von teurem importiertem Saatgut und Dünger sowie die Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit des Bodens.
Mit der Unabhängigkeit Malawis Mitte der 1960er Jahre erbte die Regierung von Präsident Hastings Kamuzu Banda eine zweigeteilte Agrarstruktur: zum einen kommerzielle Großbetriebe, die Tabak, Tee und Zucker für den Verkauf und den Export anbauten, zum anderen Kleinbauern, die von Subsistenzwirtschaft lebten. Während Bandas 30-jähriger Herrschaft wuchs Malawis Wirtschaft und das Land konnte sich weitgehend selbst mit Mais versorgen. Hinter diesen makroökonomischen Daten verbergen sich jedoch die Selbstbereichung der politischen Elite und die fortschreitende Verarmung der ländlichen Bevölkerung in Malawi.
Bandas Nachfolger ließen die kolonialen Machtstrukturen nahezu unangetastet. Politisch begünstigt wurden weiterhin Exporteure; Landreformen förderten lediglich die Ausdehnung von Großgrundbesitz auf Kosten von gemeinschaftlich genutztem Land. Damit wurden die rechtmäßigen Landnutzer zu Pächtern und es entstand eine neue Klasse der Landlosen. Jahrzehntelang konzentrierte sich der Landbesitz immer weiter, die Landflucht setzte sich fort und den Kleinbauern wurden ungerechte steuerliche Lasten auferlegt. Darüber hinaus vertrieb der Staat viele Bauernfamilien von ihrem Land, um Platz zu schaffen für Wildreservate und andere „Naturschutzgebiete“ – vor allem zur Förderung des Tourismus. Zwischen 1967 und 1994 wurden über eine Million Hektar Land, die traditionell von Bauern gemeinsam bewirtschaftet wurden, an den Staat oder kommerzielle Grundbesitzer übertragen.
In den 1980er Jahren begannen die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF), Afrika ihre Strukturanpassungsprogramme überzustülpen. In Malawi bedeutete das das Aus für Subventionen für Düngemittel und Maissaatgut und für Preiskontrollen, so dass sich ein äußerst schwankender Maismarkt entwickelte. Es wurden weniger Nahrungsmittel hergestellt, diese wurden teurer und man steuerte geradewegs auf eine Nahrungsmittelkrise zu. Ab 1987 war die Regierung gezwungen, im großen Stil Mais zu importieren.
Gleichzeitig wurde infolge der ständigen Abwertung der Landeswährung Dünger für die meisten Bauern unerschwinglich. In den 1990er und frühen 2000er Jahren verfolgten die Regierung und ausländische Geber eine Reihe improvisierter, aus der Not heraus geborener Projekte zur Subventionierung von Düngemitteln und Hybridsaatgut. US-amerikanische Geber hatten stets die Förderung der privaten Saatgut- und Düngemittelindustrie im Blick. War ein Programm nicht schnell genug erfolgreich, wurde es kurzerhand umgestrickt – ungeachtet der Folgen für die Bauern.
Die Zeit zwischen 2002 und 2005 war von außergewöhnlichen Dürreperioden, Fluten und Hungersnöten geprägt. Zum großen Teil war es eine von Menschenhand gemachte Katastrophe, das Resultat miserabler Entwicklungspolitik und einer korrupten Regierung, die die letzten Getreidereserven des Landes verkauft hatte und viel zu zögerlich auf die Krise reagierte. All das sowie eine hohe Zahl von Aidserkrankungen und der Anstieg der Nahrungsmittelpreise schufen die Bedingungen für eine „perfekte Katastrophe“: Fast die Hälfte der Bevölkerung hatte nicht genug zu essen. Daher stammt das Bild von Malawi als Land, das sich am Rande des Hungertodes befindet.
Präsident Bingu wa Mutharika legte 2005-06 ein neues Gutscheinprogramm für Düngemittel auf. 2,8 Millionen Begünstigte erhielten Gutscheine für den Erwerb von je zwei Zentnersäcken Dünger und 2 Kilogramm Hybrid- oder 4,5 Kilogramm samenfestem Saatgut zu einem Viertel des tatsächlichen Preises. Das war die viel gepriesene Initiative zur neuen grünen Revolution, die sich im Wesentlichen kaum von früheren Saatgut- und Düngemittelbeihilfen unterschied. Ausschlaggebend für den Erfolg war möglicherweise, dass in Malawi ab dem Jahr 2005-06 mehrere Jahre lang überdurchschnittlich viel Regen fiel. Wenn Mais mit Dünger angebaut wird, braucht er viel Wasser. Die Erträge stiegen stark an und Malawi erzielte vier Jahre hintereinander einen Überschuss in der nationalen Maisproduktion.
Doch aller Dünger und alles Saatgut der Welt können die Lage der großen Mehrheit der Bauern in Malawi nicht ändern, die nicht genug Land haben, um von den Erträgen ihre Familien zu ernähren, geschweige denn die Kosten für Saatgut und Dünger zu bestreiten. Ein Kleinbauer bestellt durchschnittlich ein Feld von weniger als einem halben Hektar; im fruchtbaren Süden des Landes ist es nur ein Drittel Hektar. Der Zugang zu Land hat sich in den vergangenen Jahrzehnten im Zuge der ungleichen Verteilung dramatisch verschlechtert. Heute gehört die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzflächen in Malawi etwa 30.000 großen Agrarbetrieben mit einer Größe zwischen 10 und 500 Hektar.
Die Gefahr ist, dass jedes Programm im Stil einer grünen Revolution langfristig nur den großen kommerziellen Farmen zugute kommt. AGRA und die anderen Geldgeber, die Malawis Erfolgsgeschichte verkaufen, verfolgen relativ unverblümt die Strategie, Landbesitz in Afrika in den Händen größerer landwirtschaftlicher Betriebe zu konzentrieren. So lässt die Bill & Melinda Gates-Stiftung keinen Zweifel: „Mit der Zeit verlangt diese [Strategie] einen gewissen Grad von Mobilität auf dem Lande und einen niedrigeren Prozentsatz der an der direkten landwirtschaftlichen Produktion beteiligten Beschäftigten.“
Immer mehr der größeren Agrarbetriebe in Malawi sind in ausländischer Hand. Zum Teil geht es bei der „Jagd auf Land“ um sehr große Flächen. 2009 unterzeichnete die Regierung von Dschibuti mit der Regierung Malawis einen Vertrag über die Nutzungserlaubnis für 55.000 Hektar bewässertes Ackerland. China verhandelt gegenwärtig über eine ähnlich große Fläche. Der britische Agrarinvestor Cru Investment Management PLC erwarb kürzlich in Malawi 2000 Hektar Land, um Paprika und andere Produkte für den Export nach Europa anzubauen. Auch die Zuckerindustrie ist ganz auf Expansionskurs. Der Zuckerproduzent Illovo, eine Tochtergesellschaft von Associated British Foods, vertrieb unlängst Dorfbewohner im Bezirk Chikwawa ohne Entschädigung von ihrem Land.
Neben der Landfrage sind weitere ernste Zweifel an der Nachhaltigkeit der „Revolution“ angebracht. Es stellt sich die Frage, wie lange sich Malawi die Beihilfen finanziell noch leisten kann. Ferner ist zu befürchten, dass die ausschließliche Verwendung von Mineraldünger die ohnehin schon belasteten Böden weiter auslaugen wird. Malawi importiert seinen gesamten Dünger und ist deshalb extrem anfällig für schwankende Wechselkurse und Rohstoffpreise. Steigende Weltmarktpreise haben schon jetzt Auswirkungen auf den Zugang der Landwirte in Malawi zu Düngemitteln und auf die Möglichkeiten der Regierung, das Subventionsprogramm im gleichen Umfang fortzusetzen. Die Kosten für das Programm verdoppelten sich 2008 wegen des sprunghaften Anstiegs der Düngemittelpreise auf nahezu 9 Prozent des nationalen Haushaltes. Im Haushalt für 2009 kündigte die Regierung an, dass Beihilfen nur noch für den Anbau von Nahrungsmitteln und nicht mehr für Exportpflanzen bezahlt werden und dass das Budget um 39 Prozent auf 17,8 Milliarden Malawi-Kwacha (knapp 91 Millionen Euro) gekürzt wird.
Darüber hinaus sind die Umweltkosten beträchtlich. Die Bauern, die wenig Ackerland besitzen, sind gezwungen, möglichst viel aus ihren Flächen herauszuholen. Die organische Düngung erhielt nie eine staatliche Förderung, deshalb sind die Böden inzwischen ziemlich ausgelaugt. Sie können weniger Wasser speichern als früher. Bei einem zu langen und einseitigen Einsatz anorganischen Düngers werden den Böden nicht nur organische Stoffe vorenthalten. Sie verkrusten und versauern, das überschüssige Nitrat gelangt in Flüsse und Seen, wo es mit der Zeit die Ökosysteme zerstört.
Der Boden in Afrika südlich der Sahara ist im Allgemeinen nicht sehr fruchtbar. Traditionell lagen Teile des Landes immer wieder ein paar Jahre brach, damit sich der Boden erholen konnte. Grundlage für den sogenannten Wanderfeldbau ist das Recycling von Nährstoffen. Auch Zwischenfruchtbau spielt eine Rolle. Das System basiert auf umfangreichem fachlichem Können und traditionellem Wissen. Ohne diese ursprünglichen und organischen Anbaumethoden kann der Boden seine Fruchtbarkeit nicht zurückgewinnen und selbst Kunstdünger bringt unter diesen Umständen keine optimale Leistung.
Ausgangspunkt für die Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit und Produktivität sollten organische Düngemethoden sein. Sie sind kostengünstiger und keinen Preissteigerungen unterworfen. Zudem bleiben die Böden länger fruchtbar, so dass sie als langfristige Investition gelten können. Malawi kann nicht viel Tierdung einsetzen, weil Viehhaltung nur eine untergeordnete Rolle spielt. Andererseits gibt es ein erhebliches Potential für Gründünger (Leguminosen) und Nutzbäume. So ist etwa unter den Bauern allgemein bekannt, dass Feldfrüchte besonders gut in der Nähe einer bestimmten Akazienart gedeihen. Zwischenfruchtbau hat in Malawi immer eine große Rolle gespielt und wurde in den 1980er Jahren noch von mehr als 90 Prozent der Kleinbauern praktiziert.
Inzwischen verbreitet sich in Malawi die Erkenntnis, dass sich die Bauern aus ihrer Abhängigkeit von Düngemitteln befreien müssen. Die Regierung räumt ein, dass Düngemittel nicht nachhaltig sind, und rät den Bauern zur Kompostierung. Damit das aber in Gang kommt, muss sie mehr politischen Willen zeigen – in gleichem Maßstab wie für das Programm zur Subventionierung des landwirtschaftlichen Inputs.
Der Erfolg von Malawis grüner Revolution ist nach außen hin übertrieben worden. Damit hat man dem Land keinen Gefallen getan, aber darüber hinaus ist auch der gesamte Fokus der Agrarinvestitionen in Afrika in eine falsche Richtung verschoben worden. Nötig ist ein großes Programm – in ganz Afrika und im Rest der Welt – für die Verbesserung der Bodenqualität, für den verstärkten Einsatz organischer Stoffe, die Erhöhung der Fruchtbarkeit und die Förderung der Biodiversität. Dazu gilt es, über kurzfristige technische Lösungen hinaus zu denken. Gefordert ist vielmehr eine Politik, die Kleinbauern Land zur Verfügung stellt, sie vor dem Auf und Ab der Märkte und der Rohstoffpreise beschützt und ihnen hilft, heute und in Zukunft nachhaltig zu produzieren.
Aus dem Englischen von Barbara Kochhan.
GRAIN ist eine internationale nichtstaatliche Organisation, die für nachhaltige und artgerechte Landwirtschaft eintritt. Sie unterstützt Bauern im Kampf gegen Privatisierungen und setzt sich dafür ein, dass sie traditionelles Wissen nutzen und die Kontrolle über genetische Ressourcen behalten.