Finanzminister Jaswant Singh gab den Takt vor: Es sei nun an der Zeit, dass Indien seine Abhängigkeit von ausländischen Gebern kritisch hinterfragen müsse. „Darüber hinaus sollten wir andere Entwicklungsländer in ihren Bestrebungen nach Wachstum unterstützen“, sagte er. Das war vor gut zwölf Jahren. Und so ganz hat Indien sein ehrgeiziges Vorhaben noch nicht eingelöst, sich vom Empfänger zum Geber von Entwicklungshilfe zu wandeln. 2013 erhielt das Land laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) noch 2,4 Milliarden US-Dollar und stand damit auf Platz 14 der Empfängerliste. Vor allem Entwicklungsbanken, aber auch Japan, Großbritannien und Deutschland zeigten sich spendabel.
Indien ist im Club der neuen Geber das fünftstärkste Mitglied nach China, den Vereinten Arabischen Emiraten, der Türkei und Südkorea. Brasilien, Russland und Südafrika liegen weit dahinter. Gemeinsam mit anderen Schwellenländern hat es als Alternative zu Weltbank und Internationalem Währungsfonds vor gut einem Jahr eine neue multilaterale Entwicklungsbank, die BRICS-Bank gegründet. Dem Entwicklungsausschuss der OECD (DAC) gehört das Land nicht an, legt diesem also weder seine Zahlen vor, noch befolgt es internationale Leitlinien für Koordination und Wirksamkeit. Dass Indiens Hilfe wächst, zeigt sich etwa darin, dass das vom Außenministerium verwaltete Entwicklungsbudget stetig zugenommen hat. Für das Finanzjahr 2015-2016 sind laut Finanzministerium rund 1,6 Milliarden US-Dollar eingeplant, 2012-2013 waren es noch knapp 900 Millionen US-Dollar.
Der Löwenanteil der indischen Hilfe fließt in die Infrastruktur der südasiatischen Nachbarn und vor allem in die Energieversorgung. Damit wolle Indien seinen Status als Regionalmacht festigen, erklärt die Direktorin der Forschungsinitiative Indian Development Cooperation Research (IDCR), Rani Mullen. An erster Stelle steht Bhutan, wo Indien seit Jahren eine Reihe von Wasserkraft-Projekten fördert. Von dem dort erzeugten Strom möchte Neu-Delhi gerne selbst profitieren.
Aber auch Straßen in Nepal, das Parlamentsgebäude von Afghanistan und Eisenbahnbrücken in Bangladesch gehören in Südasien zum Portfolio der indischen Entwicklungszusammenarbeit. Sie steht vor allem auf drei Säulen: nicht rückzahlbare Zuschüsse, vergünstigte Kredite, die über die indische Export-Import-Bank abgewickelt werden, und technische Zusammenarbeit. Ihre Anfänge gehen zurück bis zum Ende der 1940er Jahre, erster Hilfeempfänger war 1949 Bhutan.
Einen Meilenstein markierte die Gründung des Programms zur technischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit (ITEC) 1964. Dazu zählen unter anderem Trainingskurse, die ausländische Teilnehmer unterschiedlicher Berufsgruppen an indischen Einrichtungen absolvieren, Beratung für Projekte, die Bereitstellung von Technologie sowie die Entsendung indischer Experten etwa für Medizin oder Landwirtschaft. Gegenwärtig kooperiert Indien mit 161 Partnerländern auf einer solchen Basis. Der Großteil der indischen Entwicklungszusammenarbeit ist bilateral organisiert, lediglich fünf Prozent der Mittel laufen laut Schätzungen der OECD über multilaterale Organisationen, vor allem über den internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD).
Die Entscheidungen über die Vergabe von Entwicklungshilfe trifft das Außenministerium. Zur Koordinierung der Arbeit wurde 2012 unter seinem Dach die Behörde für Entwicklungspartnerschaft (Development Partnership Administration – DPA) ins Leben gerufen. Fachleute bemängeln allerdings, dass ihr Aufbau nur schleppend vorangehe – zunächst wurden nur 20 Mitarbeiter dafür abgestellt – und die bürokratischen Hürden für Empfängerländer hoch seien. Nichtsdestotrotz hat Indien seinen Einfluss unter anderem auch auf dem afrikanischen Kontinent ausgeweitet. Bislang gehen lediglich drei Prozent der indischen Hilfe an Afrika, dieser Anteil wird jedoch nach Einschätzung von Rani Mullen vom IDCR steigen und vor allem in Form von Krediten vergeben werden. Die indische Regierung sehe dies als „integralen Bestandteil“ von Entwicklungspartnerschaften, die für beide Seiten nützlich sind, erklärt sie, und nicht zuletzt den Handel in Schwung bringen.
Autorin
Gesine Kauffmann
ist Redakteurin bei "welt-sichten".Bei zivilgesellschaftlichen Gruppen stieß diese Form der Süd-Süd-Kooperation allerdings auf großen Protest. Das US-amerikanische Oakland Institut prangerte die „Landnahme“ vor zwei Jahren in einer Studie als „neue Form der Kolonisierung“ an; Aktivisten aus Indien und Äthiopien haben sich vernetzt, um gemeinsam gegen die Politik ihrer Regierungen zu kämpfen.
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