Endlich gehe es einmal um „angewandte Außenpolitik“, sagt der neue FDP-Obmann Harald Leibrecht. Im Auswärtigen Ausschuss „bewegt man nichts“, blickt er auf seine bisherige Tätigkeit zurück. Das Pendant auf der Regierungsebene, das Auswärtige Amt, mag zwar das höhere Renommee haben, das Geld aber hat das Entwicklungsministerium (BMZ), genauer: das Ministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, wie die Liberalen gern betonen. Außen-, Entwicklungs- und Wirtschaftspolitik, allesamt FDP-geführte Ressorts, stärker „verzahnen“ als bisher, das möchte auch Harald Leibrecht. Und besonders gut, sagt er, versteht er sich mit Entwicklungsminister Dirk Niebel, der früher noch am lautesten die Abschaffung des BMZ gefordert hatte.
Freilich hatte ausgerechnet Leibrechts Vorgänger im AWZ, Hellmut Könighaus, den SPD-Kollegen im Ausschuss immer wieder vorgeworfen, bloß die parlamentarischen Wasserträger der früheren, sozialdemokratischen BMZ-Führung gewesen zu sein. „Wenn im Ministerium etwas falsch läuft, werden wir uns zu Wort melden“, beugt Harald Leibrecht dem Verdacht vor, dies könne sich unter anderen politischen Vorzeichen wiederholen. Dass sich der Minister schon allerlei Fehltritte und Ungeschicklichkeiten geleistet hat? Schwamm drüber. „Wir lernen.“
Breites Spektrum von Themen und potenziellen Konflikten
Viel zu lernen haben auch die drei anderen FDP-Mitglieder im Ausschuss, die wie Leibrecht alle Neulinge sind. Und das Spektrum brennender Themen und potenzieller Konflikte ist breit: Von der zivil-militärischen Zusammenarbeit bis zum Abbau der Agrarsubventionen, vom Umwelt- und Klimaschutz über die Gewichtung der bilateralen und multilateralen Zusammenarbeit bis zum liberalen Credo, dass die beste Entwicklungspolitik Wirtschaftsförderung sei und klassische Armutsbekämpfung so schnell wie möglich entbehrlich gemacht werden müsse.
„Die FDP ist mit einer Oppositionsattitüde in die Regierung gegangen“, sagt der neue Obmann der Union im Ausschuss, Holger Haibach. Zugleich betont er, dass es bei den Entwicklungspolitikern der Union sehr „ähnliche Vorstellungen“ wie beim liberalen Koalitionspartner gebe. Etwa die, dass Budgethilfe und multilateral vergebene Gelder stärker als bisher kontrolliert und effizienter eingesetzt werden müssten. Oder dass die Institutionen der Technischen Zusammenarbeit zusammengeführt gehören. Auch die von Minister Niebel lautstark vorgetragene Forderung, das Geld für den Klimaschutz und die Klimaanpassung im BMZ zu konzentrieren, trägt Haibach tapfer mit – auch wenn er damit einen Konflikt mit dem Bundesumweltministerium und dem dortigen CDU-Minister Norbert Röttgen riskiert. Da vertraut der Neue auf das Vermittlungsgeschick des bisherigen AWZ-Obmanns der Union, Christian Ruck, der jetzt für die Unionsfraktion Umwelt und Entwicklung koordiniert. Mit neun Mitgliedern, darunter erfahrene „AWZler“, verfügt die Union mit Abstand über den größten Block, und mit Dagmar Wöhrl stellt sie zudem die Ausschussvorsitzende. Der bisherigen Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium eilt der Ruf voraus, zwar einiges von Wirtschafts- und Freihandelspolitik zu verstehen, aber bis jetzt wenig von Entwicklungspolitik.
Die alten und neuen Oppositionsabgeordneten im Ausschuss sind derweil in Lauerstellung gegangen. Ihre Obleute sind alle alte Kämpen. Bei Themen wie Welternährung, Landwirtschaft, Gesundheit, Energie und Klima werde man Minister Niebel und den Koalitionsabgeordneten genau auf die Finger sehen, sagt etwa Ute Koczy (Grüne). Sollten künftig deutsche Wirtschaftsinteressen Vorrang vor den Entwicklungsinteressen der armen Länder gewinnen, werde man Alarm schlagen. „Das erwarten auch die Nichtregierungsorganisationen von uns.“ Ähnliche Befürchtungen hegt Heike Hänsel (Linkspartei). SPD-Obmann Sascha Raabe nennt den sich abzeichnenden engen Schulterschluss zwischen Auswärtigem Amt, BMZ und Wirtschaftsministerium eine „falsch verstandene Kohärenz“.
Die Linkspartei bleibt beim Nein zu Militäreinsätzen
Im Ausschuss wollen die Oppositionsfraktionen enger zusammenrücken. „Die Schnittmengen sind groß“, heißt es namentlich bei SPD und Grünen. Doch beansprucht die SPD zugleich, „Oppositionsführer“ zu sein (Raabe). Und Heike Hänsel von der Linkspartei kann sich zwar bei Themen wie dem Eintreten für mehr Entwicklungshilfe oder der Förderung kleinbäuerlicher Landwirtschaft mehr Kooperation als bisher vorstellen, als man sich mit Schwarz-Rot konfrontiert sah. Doch in der Frage, wie viel Militär und wie viel ziviler Wiederaufbau in Afghanistan nötig sind, bleibt sie beim kompromisslosen Nein ihrer Partei zu jeglichem Militäreinsatz.
Wie viel Kohärenz die Parlamentarier künftig über die Ausschuss- und Ressortgrenzen hinweg zustande bringen, muss sich noch zeigen. Hieran hat es in der Vergangenheit beträchtlich gehapert. Niemand bezweifelt aber, dass eine wesentlich stärkere Abstimmung in Sicherheits-, Agrar-, Umwelt- und Wirtschaftsfragen als bisher notwendig ist, um zu einer konsistenten und durchschlagenden Entwicklungspolitik zu kommen. Alle Fraktionen im AWZ wollen deshalb die Querverbindungen zu den Abgeordneten-Kollegen in anderen Ausschüssen verbessern – zum einen über gemeinsame Arbeitskreise und abgestimmte Parlamentsanträge, zum anderen über gemeinsame Ausschussanhörungen. Vorausgesetzt freilich, sagt Holger Haibach, „es werden nicht wieder bloß Fensterreden gehalten“.