Schlechte Noten für Afrikas Schulen

Die Qualität der Grundbildung in Afrika hat sich seit der Ausrufung des Ziels „Bildung für alle“ im Jahr 2000 nicht wesentlich verbessert. Die Einsicht, dass Schülerinnen und Schüler in ihrer Muttersprache besser lernen als in einer der europäischen Kolonialsprachen, setzt sich in der Bildungspolitik zwar allmählich durch. Doch die Einführung des muttersprachlichen Unterrichts in der Praxis bleibt mangelhaft.

Autor

Kurt Komarek

leitete bis 2003 Bildungsprojekte im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit und hat sich für die Einführung eines muttersprachlichen Unterrichts in Afrika engagiert. Zuletzt nahm er als Berater an der Konferenz der Erziehungsminister in Burkina Faso teil.

Es bleiben nur noch fünf Jahre bis 2015. Bis dahin soll das Ziel „Bildung für alle“ weltweit erreicht sein. Doch in den Ländern südlich der Sahara können heute, 20 Jahre nach der ersten Weltbildungskonferenz, noch immer nur die Hälfte der Menschen lesen und schreiben. Und das sind viel zu wenige, um notwendige Impulse für wirtschaftliche, politische und kulturelle Entwicklung zu setzen.

Als Gründe für die mangelnde Effizienz afrikanischer Erziehungssysteme werden zumeist die Unterfinanzierung, die unzureichende Qualifizierung der Lehrer, zu wenig Klassenräume und übergroße Klassen genannt. Das ist richtig. Aber es ist auch richtig, dass trotz wesentlicher Verbesserungen all dieser Komponenten bisher kein qualitativer Durchbruch zu verzeichnen war. Im Rahmen der „Education Fast Track Initiative“, mit der die Weltbank seit 2002 das Erreichen des Bildungsziels fördert, kamen zahlreiche afrikanische Staaten in den Genuss zusätzlicher Finanzmittel. Doch keines dieser Länder hat sich bisher durch eine überdurchschnittliche Effizienz seines Grundbildungssystems in die Schlagzeilen gebracht.  Denn es hakt an einer ganz anderen Stelle. Auf dieses Manko machen Wissenschaftler seit Jahren aufmerksam: ohne Unterricht in den traditionellen Muttersprachen der Schülerinnen und Schüler wird das Ziel „Bildung für alle“ nicht zu erreichen sein. Nur auf diese Weise könne die Kommunikation zwischen den Mädchen und Jungen und ihren Lehrern hergestellt werden – eine Voraussetzung, dass Lernen überhaupt stattfinden kann.

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Die meisten Studien geben Empfehlungen für ein effizientes Grundbildungssystem, darunter die folgenden: Kein afrikanischer Staat sollte mehr auf Grundschulunterricht in einer der ehemaligen Kolonialsprachen Englisch, Französisch oder Portugiesisch bestehen. Stattdessen sollten die jeweiligen Muttersprachen als Unterrichtssprachen eingeführt und das Grundschulsystem damit für jedes einzelne Kind geöffnet werden. Dies führe dazu, so die Wissenschaftler, dass sehr viel mehr Kinder, vor allem Mädchen, eingeschult werden und weniger die Schule vorzeitig abbrechen.

Der Grundschulunterricht in der afrikanischen Sprache sollte nicht nur drei, sondern mindestens sechs Jahre dauern. Die europäische Kolonialsprache wird als Fach gelehrt. Die Prüfungen finden selbstverständlich in der jeweiligen Unterrichtssprache statt. Lehrer und Schüler sollten über Leitfäden und Schulbücher in den jeweiligen afrikanischen Sprachen verfügen, erarbeitet und vertrieben von afrikanischen Verlagen. Damit würden zugleich zahlreiche Arbeitsplätze geschaffen.

Soweit die Theorie, die inzwischen auch in zahlreichen Absichtserklärungen von Bildungsgipfeln festgeschrieben ist. Doch auch dorthin war es ein langer Weg. Da muss es schon als Erfolg gewertet werden, dass die afrikanischen Erziehungsminister bei ihrer jüngsten Konferenz Mitte Januar 2010 in Burkina Faso einen Leitfaden zur Einführung afrikanischer Sprachen und Kulturen in das Bildungswesen verabschiedet und damit den bisherigen Erklärungen einen verbindlicheren Charakter verliehen haben. Das ist als Hinweis auf den unaufhaltsamen Aufstieg der Idee von Bildung für alle Afrikaner durch Nutzung ihrer Muttersprachen zu werten.

Damit hat sich seit der zweiten Weltkonferenz für „Bildung für Alle“ vor zehn Jahren in Dakar enorm viel getan. Denn ein Merkmal dieser Konferenz war die völlige Missachtung des Faktors Unterrichtssprache. Das von der „Association for the Development of Education in Africa“ (ADEA) organisierte Treffen der afrikanischen Erziehungsminister 2003 in Mauritius endete immerhin mit der Willensbekundung, keine Zeit mehr mit den immer gleichen Debatten über Sinn und Unsinn von muttersprachlichem Unterricht zu verlieren und sich endlich mit der Verwirklichung zu beschäftigen.

Das Vorbereitungstreffen zur nächsten ADEA-Konferenz 2005 in Windhuk brachte einen weiteren Quantensprung. Eine dort vorgestellte Studie im Auftrag von ADEA, der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und der Bildungsorganisation der Vereinten Nationen (UNESCO) kommt unter anderem zu dem Schluss, dass die Nutzung der Muttersprache in den ersten drei Grundschuljahren mit fließendem Übergang zum Unterricht in der Kolonialsprache in Klasse vier – das häufigste zweisprachige Unterrichtsmodell in Afrika – politisch akzeptabel, aber pädagogisch nutzlos ist. Nach dem gegenwärtigen Stand der internationalen Forschung führt muttersprachlicher Unterricht erst dann zu effizienter „Bildung für Alle“, wenn er konsequent mindestens über die ersten sechs Schuljahre läuft.

Der nun in Burkina Faso verabschiedete Leitfaden signalisiert also gewisse Fortschritte, macht aber zugleich deutlich, wie schwierig die Einführung des muttersprachlichen Unterrichts in der Praxis ist. Denn der Verbreitung der Idee von „Bildung für alle“ durch muttersprachlichen Unterricht in der Theorie und der Rhetorik entsprechen Stagnation, in Einzelfällen sogar Rückschritte bei der Einführung inklusiven Unterrichts in Afrika.

So galten in den vergangenen zwei Jahrzehnten die Bemühungen Malis um „Bildung für alle“ durch muttersprachlichen Unterricht als eine wichtige bildungspolitische Referenz für afrikanische Länder südlich der Sahara. Nach erfolgreichen Versuchen folgte die schrittweise Ausweitung der sogenannten Méthode Convergente. 2005 erreichte die Ausweitung ungefähr 2550 Schulklassen von insgesamt rund 14.000. An diesem Verhältnis von muttersprachlichen und frankophonen Schulklassen hat sich seitdem nichts geändert. Die Reform ist zum Stehen gekommen.

Mali gehört zu den 22 Staaten südlich der Sahara, denen die UNESCO nur noch geringe Chancen für das Erreichen des Bildungsziels einräumt. Südafrika, das wohlhabendste Land auf dem Kontinent, läuft nach Einschätzung der UNESCO sogar ein hohes Risiko, das Ziel zu verpassen. Es ist die ebenso tragische wie perfekte Illustration für die Effizienz und die zugleich hochpolitische Konnotation muttersprachlichen Unterrichts. Bis zum Aufstand in Soweto 1976 fand der achtjährige Grundschulunterricht in den jeweiligen afrikanischen Muttersprachen statt. Damit verfolgte das Apartheid-Regime das Ziel, die schwarzen Südafrikaner von höherer Bildung auszuschließen. Die sogenannte „Bantu-Erziehung“ galt als minderwertig. Nach dem Aufstand wurde die Nutzung der Muttersprachen im Unterricht noch von der Apartheidregierung auf die vier ersten Jahre zurückgeschraubt.

1997 verfügte die neue, demokratisch gewählte Regierung eine weitere Reform. Die Gründe für den Hass auf die „Bantu-Erziehung“ sind durchaus nachvollziehbar. Doch seit der Reform wechseln 78 Prozent der Grundschüler mit afrikanischen Muttersprachen schon nach drei Jahren zu Englisch – und finden sich eindeutig auf der Verliererseite wieder. Im Gegensatz zu den afrikaans- oder englischsprachigen Schülern, die weiterhin über die gesamte Grundschulzeit und darüber hinaus in ihrer jeweiligen Muttersprache unterrichtet werden. Der Abstand in den schulischen Leistungen wird von Jahr zu Jahr größer. Bei einem Leistungstest von Sechstklässlern im Jahre 2005 schnitten die Schüler, die in ihrer Muttersprache unterrichtet wurden, doppelt so gut ab wie diejenigen, die in einer Fremdsprache unterrichtet wurden.

 

erschienen in Ausgabe 3 / 2010: Mobilität - Die täglichen Wege
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