Chevron wurde für sein „unternehmerisches Lebens(un)werk“ ausgezeichnet. An der Online-Abstimmung hatten sich mehr als 60.000 Personen beteiligt. Auf der Liste der Anwärter für den „Lifetime Award“ standen sechs bekannte Firmen, die bereits in früheren Jahren einen Schmähpreis erhalten hatten. Dazu gehörten neben Chevron der US-Konzern Dow Chemical, der russische Energieriese Gazprom, die US-Investmentbank Goldman Sachs, der Schweizer Rohstoffkonzern Glencore sowie der weltgrößte Einzelhändler Walmart. Chevron war 2006 mit einem "Public Eye Award" bedacht worden - für die Verschmutzung großer Teile noch unberührten Urwalds im Norden Ecuadors.
Der Award wurde in diesem Jahr zum letzten Mal verliehen. Künftig will das „Public Eye“ den Fokus seiner Arbeit auf Bern, den Sitz von Bundesrat und Parlament, richten. Davos sei der falsche Ort für politische Forderungen wie die nach rechtlich verbindlichen Regeln für soziale und ökologische Sorgfaltspflichten von Schweizer Unternehmen, begründet der Sprecher der Erklärung von Bern (EvB), Oliver Classen, den Schritt. „Politische Forderungen gehören vor demokratisch legitimierte Institutionen“. Zudem ist die Schweiz, wie alle UN-Mitglieder, aufgefordert, die Ruggie-Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte auf nationaler Ebene umzusetzen.
„Wir wollen auf der gesetzlichen Ebene etwas bewirken“, sagt Classen. Die EvB war eine der Trägerorganisationen des "Public Eye" und hatte zudem vor gut drei Jahren zusammen mit 50 anderen nichtstaatlichen Organisationen die Kampagne „Recht ohne Grenzen“ ins Leben gerufen. Die Forderungen des größten Bündnisses dieser Art, das es in der Schweiz je gab, sind klar: Bundesrat und Parlament sollen mit gesetzlichen Bestimmungen dafür sorgen, dass Firmen mit Sitz in der Schweiz weltweit Menschenrechte und Umwelt respektieren müssen.
Verbindliche Regeln für Unternehmen durchsetzen
Zudem sollen Opfer von Menschenrechts- und Umweltverstößen durch solche Firmen, ihre Niederlassungen und Zulieferer, in der Schweiz auf Wiedergutmachung klagen können. Um dieses Ziel zu erreichen, will das NGO-Bündnis nun eine Volksinitiative lancieren.
Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, dass der Schmähpreis des „Public Eye“ in Davos den Weg für diese Volksinitiative geebnet hat. „Das Vorgehen von Public Eye in Davos war visionär“, bilanziert Classen: Nicht nur wegen der „Auszeichnung“, sondern auch, weil sich das „Public Eye“ nie an den Krawallen auf der Strasse beteiligte und von Anfang an mit seinen online-Abstimmungen stark aufs Internet setzte.
An der Geschichte des „Public Eye“ würden die verschiedenen Taktiken des Protestes im 21. Jahrhundert deutlich, kommentiert der Journalist und WEF-Beobachter Constantin Seibt den Rückzug aus Davos. Zwar seien während der ersten Jahre des Anti-WEF in Davos die Kameras vor allem auf die Krawalle gerichtet gewesen. Die seriösen Panels des „Public Eye“ mit Informationen statt Anekdoten hätten wenig mediale Aufmerksamkeit erfahren.
Der Schmähpreis hat seinen Zweck erfüllt
Doch 2005 folgte der Durchbruch. Das Herzstück des Strategiewechsels war die Verleihung des „Public Eye Awards“, eines Preises, den niemand wollte. Die Idee entstand, weil beim WEF die umsatzstärksten internationalen Unternehmen präsent sind. Der Award sollte auf unverantwortliches Geschäftsgebaren in einem konkreten Fall aufmerksam machen. Über seine Vergabe konnte online abgestimmt werden.
„Der Schmähpreis richtete den Fokus auf das heutige Topthema der Unternehmensverantwortung, das bis dahin wenig bis gar keine Aufmerksamkeit in der politischen Öffentlichkeit fand“, sagt EvB-Sprecher Classen.In der Vergangenheit hatte „Public Eye“ mit der Auszeichnung einigen Erfolg. Die britische Bank Barclays wurde 2012 für die Spekulation mit Lebensmitteln angeprangert. Im Februar 2013 gab die Bank bekannt, aus diesem Geschäft auszusteigen – sie sah ihren guten Ruf in Gefahr.
Der Schweizer Pharmakonzern Roche erhielt den Schmähpreis 2010 wegen unethischer Medikamententests in China. Die international tätige Triodos Bank strich den Konzern darauf aus ihrem Anlageportfolio. Die Versuche seien inakzeptabel und entsprächen nicht den von der Bank vorgegebenen Menschenrechtsstandards, so die Begründung.
Zudem hatte der Schmähpreis eine Art Domino-Effekt: In den vergangenen zehn Jahren wurde durch seine Verleihung immer wieder die Forderung nach rechtlich verbindlichen Regeln für Unternehmen thematisiert. Das klassische Web-basierte „Naming and Shaming“ spurte den politischen Weg vor und sensibilisierte die Öffentlichkeit für das Thema.
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