WS: Ist das Modell der intensiven Landwirtschaft in Europa, Amerika und Asien am Ende?
Herren: Ja, schon einige Zeit. In Asien zum Beispiel steigert mehr Dünger die Erträge nicht mehr. Und in den USA müssen Studenten Unkräuter von Hand herausreißen, weil die Chemie nichts mehr nützt. Mir hat das ein Bauer gesagt, der Gentech-Pflanzen anbaut, dreimal spritzt und trotzdem verunkrautete Flächen hat.
Gonzalez-Valero: Das ist ein Problem, das vor allem die amerikanische Landwirtschaft trifft, weil sie auf ein einziges Herbizid ausgerichtet ist, nämlich Glyphosat. Dass da Resistenzen auftreten, sollte niemanden überraschen. Das Modell intensive Landwirtschaft ist nicht am Ende, sondern muss sich weiter entwickeln und verbessern. Dazu gehören Methoden der besseren Bodenbearbeitung, bessere Fruchtfolgen und Nährstoffzyklen. Wir können aber nicht zurück zu weniger produktiven Systemen.
Herren: Wir schlagen vor, Wissenschaft und technische Innovationen zu nutzen – aber solche, die nicht auf Inputs von außen beruhen, sondern auf der eigenen Produktion auf dem Bauernhof, wie etwa organischen Dünger. Für die Bodenfruchtbarkeit ist es sehr wichtig, die Nährstoffzyklen zu schließen. Auch in der Schädlingsbekämpfung gibt es umweltfreundliche Lösungen. Eine Ertragssteigerung ist bereits heute mit natürlichen Methoden, ohne chemischen Dünger und Pflanzenschutzmittel möglich.
WS: Kann man so genug Nahrung für die wachsende und mehrheitlich in den Städten lebende Weltbevölkerung erzeugen?
Gonzalez-Valero: Die Fakten sprechen im Moment dagegen. Ohne künstlichen Stickstoffdünger wäre es nicht möglich, genug Kalorien für sieben Milliarden Menschen zu produzieren. Mehr Nährstoffe wieder auf den Acker zurückzuführen, sollte natürlich die Norm sein. Nur: Die Orte, wo Nahrung produziert und wo sie konsumiert wird, sind heute komplett getrennt außer in wenigen Landgebieten, etwa Afrikas. Es ist sehr schwierig, Pflanzennährstoffe aus der Stadt wieder auf die Äcker zu bringen. Das zweite Kernproblem ist die Kontrolle von Pflanzenkrankheiten, Insekten und Unkräutern. Grundsätzlich gibt es keine Landwirtschaft ohne Inputs von außen. Welche, ist eine Frage von Nutzen und Risiken. Da muss man abwägen und nicht auf Ideologien herumreiten. Alle Techniken haben Vor- und Nachteile.
Herren: Eine Landwirtschaft ohne Inputs gibt es zwar nicht, aber man kann seinen eigenen Dünger produzieren – mit der möglichen Ausnahme von Phosphatdünger, doch da kann man die Wahl der Feldfrüchte an die lokalen Verhältnisse anpassen. Es gibt Möglichkeiten, die Nährstoffzyklen zwischen Land und Stadt zu schließen.
WS: Menschliche Exkremente einsammeln und auf die Felder bringen?
Herren: Genau. Es gibt Toiletten, in denen Urin und Kot getrennt wird, so dass beides als Dünger verwendet werden kann. Wenn von neun Milliarden Menschen über die Hälfte in Städten wohnen, können wir es uns auf lange Sicht nicht leisten, Phosphat in den Kanal zu spülen.
WS: Wie soll man auf Dauer die Fruchtbarkeit der Böden erhalten?
Gonzalez-Valero: Andere Fruchtfolgen und nach Möglichkeit nicht pflügen. Der Pflug wurde erfunden, um dem Saatgut gegen Unkraut eine Chance zu geben. Aber Pflügen zerstört die Bodenstruktur und die Wasserhaltefähigkeit des Bodens. Heute haben wir viel bessere Möglichkeiten, Unkraut zu kontrollieren – unter anderem Herbizide, wenn man sie denn einsetzen möchte. Sie sind eine ökonomische und einfache Methode.
Herren: Der Pflug ist tatsächlich eine der dümmsten Erfindungen der Menschheit. Auch im Biolandbau wird noch gepflügt.
WS: Und die Kontrolle von Unkraut geht ohne Herbizide?
Herren: Das geht.
Gonzalez-Valero: Ja, mit der Hand.
Herren: Nicht unbedingt. Man muss dafür sorgen, dass der Boden immer bedeckt ist. Und wir brauchen weltweit Millionen Arbeitsplätze – warum nicht in der Landwirtschaft? Bauern müssen dafür aber vernünftig bezahlt werden. Zudem müssen wir das Leben auf dem Land für die Menschen wieder attraktiver machen.
WS: Das hieße weniger Ertrag pro Arbeitskraft – ein Ziel der Mechanisierung war, ihn zu erhöhen.
Gonzalez-Valero: Und den Arbeitsplatz attraktiver zu machen. Den ganzen Tag Unkraut rupfen ist harte Arbeit, die wenig erquickend ist.
WS: Bedeutet organischer Anbau Ertragseinbußen?
Herren: Bei uns, in der Intensivlandwirtschaft, ja. Aber das gilt nur kurzfristig. In den USA hat man gezeigt, dass in jedem Jahr, in dem es ein bisschen zu trocken oder zu nass ist, der Bio-Landbau höhere Erträge bringt als der konventionelle. Mit dem Klimawandel gilt das jetzt für jedes vierte oder fünfte Jahr. Auf Dauer bringt der Biolandbau deshalb ungefähr gleich hohe Erträge. Außerdem geht es nicht nur um die Produktionsmenge. Bio-Gemüse enthält zum Beispiel weniger Wasser, aber mehr Nährstoffe und man kann es länger aufbewahren. Die intensive Landwirtschaft produziert auf Kosten der Wasser- und Bodenqualität und der Biodiversität.
Gonzalez-Valero: Im ökologischen Anbau sind die Erträge um 20 bis 30 Prozent niedriger. Die Studie, die Herr Herren gerade zitiert hat, belegt das auch. Es stimmt, dass sie weniger mit dem Wetter schwanken, aber eben auf einem niedrigeren Niveau.
WS: Man muss aber die globale Agrarproduktion steigern?
Gonzalez-Valero: Wenn wir so konsumieren wie heute, ja. Wenn wir das Konsumverhalten ändern und weniger tierische Produkte essen, können wir die Agrarproduktion vielleicht auf dem jetzigen Niveau halten. Und wir müssten die Verluste nach der Ernte verringern.
Herren: Das ist richtig. Allerdings produzieren wir heute bereits 4600 Kalorien pro Mensch und Tag – nur in Monokulturen und am falschen Ort. Bei uns können wir leicht mit weniger auskommen. Es ist totaler Blödsinn, dass Amerika oder Europa die Welt ernähren. Das Nahrungssystem muss lokalisiert, nicht weiter globalisiert werden. In Afrika und anderswo gibt es noch viel Potenzial, nachhaltig mehr zu produzieren.###Seite2###
WS: In großen Teilen Afrikas haben Kleinbauern relativ niedrige Flächenerträge. Wie sollten die ökologisch angepasst gesteigert werden?
Gonzalez-Valero: Als erstes braucht man eine Anbindung an Märkte – seien es lokale oder internationale. Bauern in Afrika investieren nur in höhere Erträge, wenn sie die auch verkaufen können. Nötig wären Fruchtfolgen, vernünftiges Bodenmanagement, vernünftiger Einsatz von Pestiziden in Verbindung mit biologischen Methoden, wo sie verfügbar und wirtschaftlich sind.
Herren: Und warum fehlt afrikanischen Bauern der Zugang zu Märkten? Weil billigere Importe aus Europa und den USA sie vom Markt verdrängen. Aber Marktzugang allein wird es nicht richten. Auch die Forschung muss sich auf die Verhältnisse von Kleinbauern einstellen. Da kann man mit existierenden, einfachen Mitteln sehr viel erreichen. Ein Beispiel: In Kenia gibt es eine App namens i-Cow, mit der die Bauern rausfinden können, wann der beste Zeitpunkt ist, um ihre Milchkühe zu befruchten. So können sie ihre Milchproduktion verdoppeln.
Gonzalez-Valero: Und wer entwickelt die Technologie für diese Bauern und bringt sie an die Leute?
WS: Das will Syngenta tun?
Gonzalez-Valero: Wir tun es schon. Wir haben zum Beispiel Versicherungsprogramme für Bauern nach Kenia gebracht. Wir haben in Indien mit Nokia gearbeitet und in Afrika mit Vodafone, um Informationen weiterzugeben.
WS: Kritiker unterstellen Ihnen, Sie wollten Bauern zu Kunden machen – zum Beispiel zu Käufern für Ihr Saatgut.
Gonzalez-Valero: Bauern sind unsere Kunden. Das ist unser Geschäft. Die Kritik bezieht sich darauf, dass sie angeblich von uns abhängig werden. Da ist aber die Frage, was für Saatgut sie kaufen und was sie davon erwarten. Wir verkaufen sehr viel Hybrid-Saatgut mit bestimmten Eigenschaften, etwa hohem Ertrag. Diese Eigenschaften gehen bei der Neuaussaat verloren, es muss also jedes Jahr professionell neu gezüchtet werden. Wer die damit verbundene Produktivität will, muss es kaufen. Aber auch selbst gezüchtetes Saatgut in Afrika kann mit den richtigen Inputs mehr Erträge bringen als jetzt. Saatgut ist dort das kleinere Geschäft; wir verkaufen da vor allem Pflanzenschutzmittel.
Herren: Wir sind gerade wieder auf der Spur, in Afrika dieselben Fehler zu wiederholen. Die Agrarindustrie, zum Beispiel in Äthiopien, gibt den Bauern Hybridsaat. Aus dem lokalen Mais, den sie selbst vermehren, der trockenheitsresistent ist und mehr Mineralstoffe enthält, können die Bauern ebenso viel herausholen. Man sollte ihnen die Freiheit dazu lassen.
Gonzalez-Valero: Aber wer nimmt ihnen die denn? Letzten Endes entscheidet der Bauer allein, was er kauft.
Herren: In Tansania und Kenia hat die Industrie fertiggebracht, dass die Nachzüchtung von Saatgut verboten ist, man muss es einkaufen.
Gonzalez-Valero: Das ist eine durch nichts belegte Behauptung.
WS: Die tansanische Regierung hat 2012 das Gesetz so geändert, dass kommerzielles Saatgut begünstigt wird. Hat Syngenta vorher in dem Sinne auf sie eingewirkt?
Gonzalez-Valero: Das habe ich noch nie gehört. Es gibt auch kein nachhaltiges Geschäftsmodell, bei dem man Leute zu etwas zwingt. In vielen Ländern regt die Regierung natürlich die Bauern an, höherwertiges Saatgut zu kaufen, um mehr zu produzieren und so die Ernährungssicherheit zu erhöhen.
Herren: Und die Regierungen machen das einfach so von sich aus? Das stimmt doch nicht.
WS: Herr Herren, nach Ihrer Ansicht verkauft Syngenta afrikanischen Bauern Inputs, die für deren Probleme nicht geeignet sind?
Herren: Nicht speziell Syngenta – die Industrie, also Monsanto, Bayer und andere. Nehmen Sie den Herbizid-resistenten Mais, in welchem man Unkräuter tot spritzt; dann steht der Boden nackt da und wird weggewaschen. Auch die Widerstandsfähigkeit gegen den Klimawandel ist gering. Lokale Sorten können sich wehren; sie können natürlich vorkommende Nützlinge anziehen und Schädlinge abstoßen. Hybride können das nicht. Und bei Bauern, deren Böden keine optimalen Bedingungen bieten oder wo etwa Dünger fehlt, funktionieren sie nicht.
Gonzalez-Valero: Da bin ich ja derselben Meinung. Die Frage ist, will ich mehr produzieren? Dann muss ich besseres Saatgut verwenden – sei es hybrid oder nicht –, die Inputs oder den Nährstoffkreislauf verbessern. Ich gehe damit zu einem anderen System über. Die Landwirtschaft in Afrika wird sich fortentwickeln vom Subsistenzsystem, das in großen Teilen Afrikas noch vorherrscht, hin zu höherer Produktivität. Sie können darauf nicht einzelne Teile aus dem traditionellen System übertragen, als hätten sie hier dieselben Vorteile. Das Problem ist, dass in Afrika oft der Zugang zu Inputs fehlt.
Herren: Auch mit unseren Methoden produziert man mehr. Wir haben gezeigt, dass man die Erträge mit natürlichen Methoden verdoppeln und sogar verdreifachen kann, und das langfristig. Gerade weil Inputs in Afrika nicht immer verfügbar sind, muss man lokale Ressourcen nutzen. Und man muss das ganze System im Blick behalten, nicht nur den Ertrag einer Pflanze. Nehmen Sie die Push-Pull-Methode, bei der man zwischen Mais oder Sorghum Desmodium pflanzt. Das kontrolliert ganz ohne Chemie Unkräuter und Maisschädlinge und liefert Tierfutter; das Vieh liefert wiederum Dünger. Der Boden wird verbessert, auch der Wasserhaushalt ist ausgeglichener als bei einer reinen Maiskultur. Es muss nichts dazugekauft werden, außer am Anfang die Desmodium-Samen.
Gonzalez-Valero: Die meisten Wissenschaftler sind sich einig, dass Afrika ohne Dünger und Pestizide die Produktion nicht so steigern kann, wie es nötig ist, wenn Afrika einen Beitrag zu eigenen Ernährung leisten muss – vielleicht auch zur Welternährung. Die Landressourcen Afrikas sind dafür wie gemacht. Es macht absolut Sinn, dabei Kleinbauern einzubinden. Die Alternative sind entweder Modelle, über die Herr Herren spricht, die nur als Projekt funktionieren, nicht im großen Maßstab. Oder andere Länder investieren in und nutzen Afrikas Landflächen, wovon die Kleinbauern nur am Rande etwas haben.
WS: Herr Herren, wenn Kleinbauern mit kostengünstigen Mitteln viel erreichen können, warum tun sie das selten?
Herren: Weil auf dem Gebiet viel zu wenig investiert wird. Nur einige kleinere Organisationen wie das Forschungsinstitut icipe in Nairobi, Kenia, das ich zehn Jahre geleitet habe, und meine Stiftung Biovision stecken da Geld hinein. Afrikas Regierungen stehen immer noch unter dem Druck der transnationalen Agrarindustrie. Afrika muss auch nicht seine Produktion verdrei- oder vervierfachen; verdoppeln wäre genug. Man muss die Bauern direkt in die Forschung einbeziehen. Es benötigt viel mehr kleinere und mittlere lokale Unternehmen – nicht zwei oder drei Multis, die über die Hälfte des Saatgutmarktes weltweit kontrollieren.
Gonzalez-Valero: Ich weiß nicht, wie Sie sich unsere Geschäfte vorstellen. Unsere Niederlassungen sind lokale Organisationen. Deren Mitarbeitende kommunizieren täglich mit den Bauern. Wir haben als multinationales Unternehmen eine international angesiedelte Forschungs- und Entwicklungsplattform. Die ermöglicht uns, Produkte zu entwickeln, die auf lokale Märkte zugeschnitten sind. An den Mann bringen können wir unser Angebot nur vor Ort.
WS: Syngenta als Entwicklungsorganisation?
Gonzalez-Valero: Nein, wir machen Geschäfte. Aber es gibt keinen Zweifel, dass unsere Geschäfte vor Ort Entwicklung schaffen. Staatliche Entwicklungshilfe-Organisationen sehen das mehr und mehr als Chance.
Herren: Wenn man in unserer Welt Geschäfte machen will, muss man immer mehr vom Selben produzieren. Firmen wie Syngenta kaufen Samen, machen kleine Abänderungen und verkaufen sie wieder. An diesem Umgang mit öffentlichen Gütern ist etwas falsch. Samen gehören nicht den Firmen, sie gehören den Bauern. Man muss lokal forschen, um sie weiter zu verbessern. Aber das passt nicht in das Schema, immer größer und rationeller zu produzieren.
Gonzalez-Valero: Wir haben keine Patente auf Pflanzen, wir haben Patentansprüche, die sich auf einen Samen mit der bestimmten Eigenschaft beziehen. Die moderne Züchtung kann mit biochemischen und biologischen Methoden schneller Eigenschaften ausbilden wie Ertrag oder Dürreresistenz. Wenn diese Innovationen kommerziell genutzt oder anderswo eingekreuzt werden, kann man dafür Lizenzgebühren verlangen. Samen werden nicht patentiert und im Übrigen seit Jahrhunderten verkauft. Bauern kaufen sie und können damit machen, was sie wollen.
Herren: Das stimmt doch nicht. Sie müssen Lizenzgebühren zahlen, wenn sie es anbauen. In den USA sind zahlreiche Bauern dazu verurteilt worden, Lizenz zu zahlen, weil ihr Saatgut Glyphosat-resistent war, auch wenn sie diese Resistenz nicht brauchten und sie vom Nachbarfeld eingetragen wurde.
Gonzalez-Valero: Doch, das stimmt. Bauern dürfen Samen mit patentierten Eigenschaften nicht reproduzieren und als eigenes Saatgut verkaufen. Anbauen dürfen sie es, dafür kaufen sie es ja.
Das Gespräch führte Bernd Ludermann am Rande des Wissenschaftsdialogs der Academia Engelberg zu Nahrungssicherheit im Oktober in der Schweiz.
Fotos: Stiftung Academia Engelberg/Studhalter Fotos & More.
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