Das Böse hat für uns einen neuen Namen: Islamischer Staat (IS). Die Terrormiliz hat vom syrischen Präsidenten Baschar al-Assad die Rolle als Hauptfeind der USA übernommen. Präsident Barack Obama will den IS schwächen und dann ausschalten. Dazu setzt er auf Luftangriffe sowie auf Hilfe für die Feinde des IS, vor allem die Kurden.
Ohne Zweifel ist der IS in Syrien und im Irak besonders brutal und gefährlich. Er vertreibt, tötet oder versklavt Andersgläubige. Er kontrolliert Öl-quellen, baut staatsähnliche Institutionen auf und ist militärisch gut organisiert. Er zieht radikale Dschihadisten aus aller Welt an, darunter Tschetschenen, Saudi-Araber und Tausende junge Europäer. Es gibt gute Gründe, mehr gegen seinen Vormarsch zu tun – und doch ist es sehr riskant.
Denn es führt in die Irre, auf den Islamischen Staat als Quelle des Bösen zu starren. Als transnationale Terrorgruppe ist er für Europa und Amerika ein Hauptproblem; in Syrien und im Irak aber ist er ein Symptom tief gehender und gewaltsamer Umbrüche. Sie begannen mit dem dilettantischen Versuch der USA seit 2003, den Irak zwangsweise zu demokratisieren.
Der IS ist nicht bloß eine Terrorgruppe
Nach der Unterdrückung der Demokratiebewegung in Syrien hat sich ein Bürgerkrieg entwickelt, der beide Länder erfasst. Solche Kriege fördern stets die Brutalisierung auf allen Seiten. Der Islamische Staat stellt seine Grausamkeit offen zur Schau, doch auch viele andere Parteien in Syrien und im Irak misshandeln und töten Zivilisten. Assad setzte mindestens einmal sogar Giftgas ein.
Wie diese Gewaltspirale beendet werden kann, ist angesichts ihrer vielfältigen Triebkräfte unklar. In beiden Ländern hatten die Diktatoren keine Bürgergesellschaft geduldet und keine die Volksgruppen verbindende Loyalität zum Staat, kein Nationalgefühl geschaffen. Nun mobilisieren Politiker und Milizenführer im Ringen um Macht ihre jeweilige Gruppe. Das vertieft ethnische und religiöse Gegensätze,etwa zwischen Sunniten und Schiiten, und macht Minderheiten wie Christen schutzlos. Gewalt und Unsicherheit verstärken den Rückzug in die Wagenburg. Der IS hat dabei Rückhalt unter irakischen Sunniten gefunden – er ist nicht bloß eine Terrortruppe. Schiitische Milizen haben bereits mit der Vertreibung sunnitischer Iraker reagiert.
Eine Teilung des Irak und Syriens nach dem Muster Jugoslawiens könnte am Ende unvermeidlich werden. Die Staatsgrenzen stehen also auf dem Spiel – und die Interessen vieler Länder der Region. Denn was in den zwei Ländern geschieht, beeinflusst das Kräfteverhältnis zwischen dem Iran und Saudi-Arabien, zwischen Sunniten und Schiiten in der Region sowie den Status nationaler Minderheiten wie der Kurden. Daher versuchen der Iran, die Golfstaaten und die Türkei – wie auch Russland und die USA –, den Ausgang zu beeinflussen, indem sie ausgewählte Kriegsparteien unterstützen. Die aber suchen Hilfe, wo sie sie bekommen, und lassen sich nicht fernsteuern – sie folgen eigenen Plänen. Eine einzelne Miliz auszuschalten, und sei es eine besonders brutale, wird unter diesen Umständen den Krieg nicht eindämmen.
Der Westen kann nicht für jedes Problem eine Lösung haben
Solange viele äußere Mächte gegensätzliche Ziele verfolgen, kann Hilfe für die „richtige“ Kriegspartei leicht den Falschen nützen – etwa Assad –, den Krieg sogar schüren und den Islamisten noch Anhänger zutreiben. Europa und die USA müssen darauf hinarbeiten, sich mit der Türkei, den Golfstaaten, dem Iran und Russland auf Grundzüge einer Neuordnung der Region zu verständigen – für den Anfang zumindest auf Schutzzonen unter dem Mandat der Vereinten Nationen. Sobald wird das aber keinen Erfolg haben. Selbst der Gegensatz zwischen den USA, die in erster Linie den IS bekämpfen wollen, und ihrem NATO-Partner Türkei, der vor allem Assad stürzen und einen Kurdenstaat verhindern will, lässt sich nur mühsam überspielen.
Kurzfristig sollte der Westen die Geldquellen des IS verstopfen, den Opfern Fluchtwege öffnen und Flüchtlingen großzügiger helfen. Er kann darauf drängen, dass der Internationale Strafgerichtshof Kriegsverbrechen in Syrien und im Irak untersuchen darf. Möglicherweise sollte er neue Luftschläge zur Verhinderung von Massakern androhen – und zwar allen Seiten. Und jedenfalls muss man junge Europäer aufhalten, die sich radikalisieren und dem IS an-schließen wollen. Dieses Problem muss in Europa gelöst werden.
All das wird den IS nicht ausschalten und den Krieg nicht beenden. Doch obwohl es angesichts von Gräueltaten bitter und schwer zu ertragen ist: Europa und die USA haben nicht automatisch für jedes Problem eine Lösung. Ihre Möglichkeiten, fremde Gesellschaften umzugestalten, haben sie lange grotesk überschätzt – oft mit schlimmen Folgen.
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