Mehr als 70 EU-Vorschriften regeln den Handel mit Saatgut in Europa, dazu kommen noch mehr verschiedene nationale Bestimmungen. Gewachsen ist das über Jahrzehnte zu einem Filz, auf dem die Marktherrschaft einer Handvoll Großfirmen prächtig gedeiht. In der EU kontrollieren fünf Konzerne fast 95 Prozent des kommerziellen Saatguts. Nachdem der Europäische Gerichtshof 2012 der Klage eines französischen Saatgutherstellers wegen Widersprüchen in diesem Regeldickicht stattgegeben hatte, geriet die Kommission in Zugzwang, eine sich schon Jahre hinschleppende Reform voranzubringen.
Die Klage des französischen Großhändlers richtete sich gegen eine kleine franko-belgische Biobauern-Kooperative, die traditionelle, nicht registrierte und somit in der EU illegale Saaten kostenlos an Kleinbauern in Senegal und Burkina Faso verteilt hatte. Die Kommission legte daraufhin im Mai des vorigen Jahres dem Ministerrat und dem EU-Parlament den Entwurf einer Regelung vor, die dergleichen nicht registrierten Saatenaustausch unterbinden sollte – und zugleich die restlichen fünf Prozent der nicht von Großkonzernen kontrollierten Saatguthersteller aus dem Markt zu drängen drohte. Denn die Vorlage der Kommission hätte die unzähligen Varianten lokaler und regionaler Saaten den teuren Verfahren von jährlich neuer Registrierung, mikrobiologischer Begutachtung und Zertifizierung unterworfen.
Die lückenlose Erfassung des Saatguts ist notwendig
Bauern-, Umwelt- und Entwicklungsorganisationen aus ganz Europa protestierten gegen den Entwurf. Ende 2013 unterstützten mehr als eine Viertelmillion Menschen einen ersten Aufruf für eine Eingabe an das EU-Parlament; weitere solcher Aufrufe folgten. Der Agrarausschuss im Parlament, der der Kommission gewöhnlich recht freundlich gesonnen ist, sprach sich daraufhin im Januar dieses Jahres gegen die Vorlage aus und versuchte mit Änderungsanträgen einige der ärgsten Mängel zu korrigieren. Als Agrarkommissar Dacian Ciolos in der Plenardebatte Anfang März alle Änderungen ablehnte, stimmte das Parlament mit 650 zu 15 Stimmen – und damit so deutlich wie fast nie – gegen den Entwurf der Kommission.
Inzwischen ist das Parlament neu gewählt, die amtierende Kommission wird im Oktober abtreten. Die Neuregelung des Saatguthandels ist damit allerdings nicht vom Tisch. Die lückenlose Erfassung des Saatguts ist notwendig für das Geschäft mit dem geistigen Eigentum, etwa an Hybridsorten und an genveränderten Organismen, das immer mehr zum Kern der Handels- und Entwicklungspolitik der EU wird. Der Ausgang des Verfahrens wird auch für die übrige Welt Folgen haben: 60 Prozent des weltweit gehandelten Saatguts kommen aus der Europäischen Union.
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