Sie waren im Juni in Nigeria, das unter dem Terror von Boko Haram im Norden leidet. Welche Hilfe können Sie anbieten, um den Konflikt einzuhegen? Nigeria zeigt alle Gesichter des Kontinents. Lagos ist eine prosperierende Wirtschaftszone; im Nordosten herrschen Armut, Elend, Krieg, Terror. Ich habe mit Präsident Goodluck Jonathan darüber gesprochen, alles Erdenkliche zur friedlichen Befreiung der von Boko Haram entführten Mädchen zu unternehmen und die Fragen der Gleichberechtigung der Frau, des Zugangs zu Bildung für Mädchen und die Entwicklung des Landes im Nordosten in den Fokus seiner Politik zu nehmen. Leider sind die Mädchen bis heute nicht befreit. Ich war aber tief beeindruckt vom Besuch einer muslimischen Schule. Daraufhin haben wir der Initiative der Briten zugestimmt, sofort zwei Millionen Euro in einen Fonds zur Sicherung der Schulen in Nigeria einzuzahlen, der von der nigerianischen Regierung und von der dortigen Wirtschaft gleichermaßen aufgestockt wird. Wir unterstützen Nigeria auch beim Aufbau einer nationalen Entwicklungsbank, um Investitionen und Entwicklung im Land voranzubringen.
Welche Möglichkeit haben Sie, auf die Regierung einzuwirken, damit das Geld – etwa einer Entwicklungsbank – wirklich im Norden ankommt?
Genau damit haben wir Einfluss, Projekte mit umzusetzen, die nicht von Korruption beherrscht werden. Die Finanzministerin hat den festen Willen, auf diesem Weg voranzugehen. Im nationalen Budget hat Nigeria leider große Probleme. Ich habe den Präsidenten offen gefragt: Wohin gehen die Ölmilliarden? Welchen Investitionsplan für Gesundheit, für Soziales, für die Entwicklung der ländlichen Regionen hat er? Wir machen politischen Druck in diese Richtung. Die Korruption muss bekämpft, Staatlichkeit aufgebaut werden. Was mir große Hoffnung macht, ist der Konsens der Religionsführer, zusammenzuarbeiten, nicht gegeneinander. Boko Haram ist nicht religiös motiviert, sondern eine Terrorgruppe. Die Religionen haben gerade auch im Nordosten noch die beste Infrastruktur. Deshalb setzen wir – auch in anderen afrikanischen Staaten – stark auf kirchliche Organisationen und ihre Infrastruktur vor Ort.
Im neuen Afrika-Konzept der Bundesregierung ist Hilfe zum Staatsaufbau ein Schwerpunkt. Kann man den mit Unterstützung für die Polizei oder die Verwaltung wirklich voranbringen?
Wir tun, was möglich ist mit unseren Mitteln und Möglichkeiten. Ich schaue auf alle Fälle nicht weg. Die Zentralafrikanische Republik ist zum Beispiel ein Land, das nicht in unserem Fokus war. Wir haben dort keine Botschaft. Aber wir müssen humanitär helfen und langfristig Staatsaufbau betreiben. Deshalb haben wir zusammen mit Franzosen und Niederländern einen Fonds auf den Weg gebracht, in den andere Länder mit einzahlen können, um in Stabilisierung zu investieren.
Das Afrika-Konzept der Bundesregierung ist ein rein deutsches. Wäre besonders für fragile Staaten nicht mindestens ein gemeinsames europäisches notwendig?
Das ist die nächste Stufe. Erst muss man selbst wissen, was man will und kann, um dann Partner zu suchen, die dieses Ziel mit unterstützen. Frankreich ist natürlich ein wichtiger Partner in Afrika. Mein Appell an die EU heißt aber ganz konkret: Wir müssen unsere Entwicklungspolitik stärker als bisher koordinieren.
Die Koordination funktioniert aber gerade in fragilen Staaten kaum, und Paris verfolgt in Teilen Afrikas ganz eigene Interessen. Wie wollen Sie das ändern?
Auf dem Kontinent wird es immer Problemregionen geben. Deshalb sollten wir in Afrika auch die positiven Seiten sehen. In den vergangenen zehn Jahren hat die Afrikanische Union ein Konzept entwickelt, die heimischen Märkte zu verbinden und zu stärken. Sie hat auch ein Sicherheitskonzept und baut eine Sicherheits- und Friedensfaszilität auf, um Konflikte selbst zu bewältigen. Deshalb setzen wir auf die Stärkung der Afrikanischen Union und ihrer Regionalorganisationen.
Ein zweiter Schwerpunkt des Afrika-Konzeptes ist die Agrarförderung. Hier stehen einerseits Kleinbauern im Zentrum, andererseits wollen Sie Privatinvestitionen und Wertschöpfungsketten fördern. Ist das miteinander vereinbar?
Selbstverständlich ist das vereinbar. Unsere Projekte setzen in der ländlichen Entwicklung an, mit den Kleinbauern. Die politischen Eliten in den Hauptstädten müssen bewegt werden, Landwirtschaft und ländliche Regionen nicht als etwas von gestern zu betrachten, sondern von morgen. Ich bin stark geprägt von Raiffeisen, der im 19. Jahrhundert in Deutschland Zusammenschlüsse von Kleinbauern gegründet hat. Wir werden kein Projekt ohne Einbindung der örtlichen Bauern und der örtlichen Verwaltung umsetzen. Ich bin der Sohn eines Kleinbauern und habe die Erfahrung, wie man auch in Deutschland als Kleiner eine Zukunft hat. Groß ist gerade in Afrika nicht die Lösung. Ich kenne den Ansatz der Chinesen mit ihren Landinvestitionen, das kann nicht der Weg sein: Wertschöpfung meint nicht für den Export, sondern sie muss im Lande bleiben.
Bisher beschränken sich private Investitionen in Wertschöpfungsketten in Afrika überwiegend auf die Exportproduktion. Das soll sich ändern?
Ich habe mit Erstaunen gesehen, dass die Afrikaner große Mengen Nahrungsmittel importieren müssen. Wir können das ändern, indem die heimischen Potenziale entwickelt werden.###Seite2###
Sie streben zehn Innovationszentren für Afrikas Landwirtschaft an, an denen die deutsche Agrarwirtschaft mitwirken soll. Haben sich dazu schon Firmen bereit erklärt?
Das sind grüne Entwicklungszentren, die wir mit den Afrikanerinnen und Afrikanern entwickeln. Das erste Projekt, das ich besichtigt habe, ist eine afrikanische Kleinbauerngenossenschaft in Mali. Daran angeschlossen sind ein Lehrbetrieb mit tausend afrikanischen Studentinnen und Studenten, eingebettet in eine Kommune. Wir kommen nicht mit eigenen Konzepten, sondern nehmen auf, was bereits besteht.
Aber in Ihrem Afrika-Konzept steht doch, dass die Innovationszentren unter Beteiligung der deutschen Agrarwirtschaft entstehen sollen, oder?
Zur Optimierung brauchen wir Können und Wissen. Ich möchte Partnerschaften afrikanischer Lehrinstitute mit deutschen Hochschulen wie in Weihenstephan und Hohenheim, den Austausch von Wissenschaftlern und Studenten. Aber natürlich ist auch deutsches Know-how eingeladen. Der Bauer in Äthiopien könnte seinen Ertrag steigern, wenn er statt seines Holzpfluges moderne Technik hätte. Wenn das deutsche Maschinen sind, sollte das auch die Akzeptanz der deutschen Entwicklungshilfeorganisationen finden. Die Technik muss ja wohl nicht zwingend aus China oder Russland kommen.
Und haben Sie deutsche Agrarunternehmen gefunden, die sich an Innovationszentren beteiligen wollen?
Ich hoffe, dass es Interessenten gibt. Wir wollen zum Beispiel erneuerbare Energien einbeziehen und den Aufbau von Verarbeitungsstrukturen. In Mali verdirbt ein Teil der Tomatenernte, weil es keinen regionalen Markt und keine Möglichkeit gibt, Tomaten zu verarbeiten. Natürlich sind deutsche Firmen eingeladen, die hier kompetent sind. Ich hoffe, dass deutsche Unternehmen interessiert sind, in Afrikas Zukunft zu investieren.
Das erinnert an die German Food Partnership, eine vom BMZ unterstützte Initiative der deutschen Wirtschaft, Bauern im Süden produktiver zu machen. Ihr wird vorgeworfen, zu wenig auf den Rat von Kleinbauern zu hören. Trifft das zu?
Die German Food Partnership, die von meinem Vorgänger ins Leben gerufen wurde, eignet sich nicht als Feindbild. Ihre Hauptziele sind die Armutsreduktion im ländlichen Raum und die Bekämpfung von Hunger und Mangelernährung. Sie richtet sich an kleinbäuerliche Familienbetriebe.
Ein dritter Schwerpunkt des Afrika-Konzeptes ist Migrationssteuerung. Halten Sie es für möglich, mit Entwicklungszusammenarbeit Fluchtursachen zu beeinflussen?
Man muss unterscheiden zwischen Migration und Flucht. Wir haben so viele Flüchtlinge auf der Welt wie noch nie seit 50 Jahren. Über 51 Millionen Menschen sind auf der Flucht, im vergangenen Jahr sind elf Millionen dazu gekommen. Die Hälfte aller Flüchtlinge sind Kinder. Die allermeisten Flüchtlinge kommen und wollen gar nicht nach Europa, sondern fliehen aus ihrer Heimat vor Krieg und Gewalt in eines ihrer Nachbarländer. Der Libanon hat zum Beispiel fast eine Million Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen, das entspricht einem Viertel der eigenen Bevölkerung. Wir sind gefordert, die Flüchtlinge sowie die Aufnahmeländer zu unterstützen und die Rückkehr eines Tages zu ermöglichen. Ich habe eine Initiative „Fluchtursachen bekämpfen, Flüchtlinge reintegrieren“ gestartet, die mit 170 Millionen Euro ausgestattet ist, und sofort etwa 50 Millionen Euro freigeben wird für Gebiete, die syrische Flüchtlinge aufnehmen – wie Jordanien oder den Libanon. Und ich habe die Mitgliedsstaaten der EU aufgefordert, koordiniert mit einem Sonderprogramm tätig zu werden.
In die EU kommen aber auch viele Migranten aus Afrika, etwa über Marokko. Kann man mit Entwicklungshilfe dieser Zuwanderung vorbeugen? Und soll Hilfe als Anreiz benutzt werden, dass die Durchgangsländer Migranten von Europa fernhalten?
Wenn in Marokko Afrikaner am Zaun rütteln, hat das einen Hintergrund – Not, Elend, Perspektivlosigkeit, Folgen der dort herrschenden Konflikte und Kriege. Natürlich kann und muss die Entwicklungszusammenarbeit hier ansetzen. Wenn wir zum Beispiel Ägypten allein lassen, wo Millionen junge Leute ohne Arbeitsplätze sind, dann wird der Tag kommen, wo nicht 5000 täglich über das Mittelmeer aufbrechen, sondern 50.000. Es kann nicht die Lösung sein, dass sich alle diese Menschen auf den Weg zu uns machen. Oft gehen nämlich gerade diejenigen, die in ihrer Heimat am dringendsten gebraucht werden: junge Leute mit guter Ausbildung. Wenn wir hier mit unserer Entwicklungspolitik nicht unterstützen und gegensteuern, dann vergrößern wir die Probleme auf beiden Seiten. Es geht also nicht ums Abschotten, sondern darum, die Chancen fairer zu verteilen und die Reformprozesse in diesen Ländern zu begleiten. Wir müssen der Entwicklungszusammenarbeit mit afrikanischen Staaten und besonders der Mittelmeer- und der Nahostregion neuen Stellenwert beimessen.
Das geschieht doch seit dem Arabischen Frühling, aber in Libyen oder Ägypten fehlen Ansprechpartner und die Investitionen steigen nicht. Was kann die Entwicklungspolitik da bewirken?
Resignation ist keine Antwort. Wir können natürlich nicht alle Faktoren beeinflussen, aber wir müssen unserer Verantwortung gerecht werden.
Sie treten engagiert für Okö- und Sozialstandards im Welthandel ein. Erfordert das Änderungen in Handelsregeln, etwa in der Welthandelsorganisation und bilateralen Verträgen?
Ich finde es unerträglich, dass wir Produkte importieren, die unter Umständen hergestellt werden, für die sich bei uns Unternehmen vor Gericht verantworten müssten. Märkte brauchen Grenzen, und diese Grenzen müssen wir nicht erfinden, es gibt sie längst: Die Menschenrechte und die Standards der Internationalen Arbeitsorganisation ILO markieren den Korridor. Im Bereich Textil stehen wir im Dialog mit deutschen Unternehmen; das kann aber nur der Anfang sein. Deswegen suchen wir Gleichgesinnte in der EU ebenso wie international. Wir haben mit der G7-Präsidentschaft beste Voraussetzungen, solche Themen voranzubringen.
Sollen mit dem Textilsiegel ganze Unternehmen ausgezeichnet werden oder einzelne Produkte?
Wir arbeiten derzeit gemeinsam mit der Wirtschaft an einer Lösung, die es Verbraucherinnen und Verbrauchern ermöglicht zu erkennen, ob ihre Kleidung von der Baumwolle bis zum Bügel fair hergestellt wurde. Wir sind hierzu in guten Gesprächen mit den Unternehmen.
Das Gespräch führten
Bernd Ludermann und Marina Zapf.
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