Im Jahre 1864 wurde mit der Genfer Konvention der erste Schritt zum humanitären Völkerrecht getan. Das „ius ad bellum“, das Recht zum Krieg, wurde damals zwar nicht infrage gestellt, aber wenigstens wurde ein „ius in bello“ eingeführt: ein Recht im Krieg, das die menschliche Behandlung von kampfunfähigen Soldaten vorschreibt.
Es folgte 1899 die erste Haager Friedenskonferenz mit ähnlicher Stoßrichtung, und diese beiden Stränge des humanitären Völkerrechts wurden zunächst vom Roten Kreuz, vom Völkerbund und schließlich von den Vereinten Nationen weiter entwickelt.
Autorin
Cornelia Füllkrug-Weitzel
ist Präsidentin von „Brot für die Welt“ in Berlin.1977 wurde die Geltung dieser Prinzipien auf innerstaatliche bewaffnete Konflikte und terroristische Angriffe ausgedehnt, in den 1990er Jahren wurden Institutionen geschaffen, die die Einhaltung überwachen und Verstöße ahnden, etwa der Internationale Strafgerichtshof.
Doch in den gewaltsamen Konflikten von heute sind Humanität und humanitäre Hilfe tiefgreifend gefährdet: Verwundete und Gefangene werden nicht versorgt oder verschont, sondern gefoltert, verstümmelt und öffentlich hingerichtet. Selbstmordattentäter töten wahllos. Es gibt ethnische Säuberungen und Vergewaltigungen. Kinder und Jugendliche werden als Kombattanten oder „Schutzschilder“ missbraucht, die Menschenrechte und die Würde von Millionen Zivilisten werden mit Füßen getreten.
Seit dem Zweiten Weltkrieg waren nicht so viele Menschen auf der Flucht vor Gewalt wie heute. Humanitäre Organisationen erhalten immer schwerer Zugang zu Notleidenden. Humanitäre Helfer und Hilfsgüter werden selbst zur Zielscheibe von Gewalt. Die Bilder vom Vormarsch der ISIS-Kämpfer im Irak zeigen die zynische Verachtung jedweder Humanität und des humanitären Völkerrechts und die Vergötzung von Gewalt. ISIS wirbt im Internet mit Bestialität, Schonungslosigkeit und grenzenloser Gewaltbereitschaft.
Man würde erwarten, dass die Politik sich nun in gewaltsam ausgetragenen Konflikten wie auch auf der Ebene internationaler Normenentwicklung entschiedener als je zuvor für gewaltfreie Lösungsansätze engagiert mit dem Ziel, die Menschenwürde und die Respektierung humanitärer Prinzipien zu schützen. Doch stattdessen werden weiter Waffen in Konfliktregionen geliefert, selbst solche Waffen, die zur Eskalation von Kriegen und zur weiteren Unterminierung des humanitären Völkerrechts führen.
Die aktuelle Debatte in Deutschland über eine mögliche Anschaffung bewaffneter Drohnen ist selbst Indiz dafür, dass humanitäres Denken an Bedeutung verliert. Die Hinrichtung vermuteter Terroristen per Drohne ohne rechtsstaatliche Verfahren und der militärische Einsatz von Drohnen in Ländern, denen nicht der Krieg erklärt wurde, verstoßen gegen das Völkerrecht und die Menschenrechte.
Die Debatte in der Nato zeigt, wie der zentrale Gedanke des humanitären Völkerrechts, Zivilisten zu schonen, der in 150 Jahren mühevoll ausgedehnt wurde, nun auf eine andere Gruppe begrenzt wird, der er noch nie gegolten hat: Distanzwaffen wie Drohnen sollen aktiv am Kriegsgeschehen beteiligte eigene Soldaten schützen – auf Kosten „fremder“ Zivilisten, die mit dem Krieg nichts zu tun haben. „Gezielte Tötungen“, die weltweit schon viele Kinder, Frauen und alte Menschen das Leben gekostet haben, werden damit gerechtfertigt, dass die eigenen Soldaten verschont werden. Das verkehrt das humanitäre Völkerrecht in sein Gegenteil.
Gott schenkt allen Menschen gleiches Lebensrecht. Humanität ist ein zentraler Wert unseres Glaubens. Zum 60. Geburtstag der Diakonie Katastrophenhilfe im September wünsche ich mir, dass unsere Stimmen, die Stimmen der Kirchen, für den Schutz des Lebens der Menschen in und aus Kampfgebieten viel lauter werden.
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