Kommentar: Unmoralische Schweiz
Die Schweizer Asylpolitik sieht im Flüchtling nicht den Menschen, sondern bloß einen Fremden. Statt Sympathie und Empathie zu bezeugen, reduziert sie Asylsuchende auf ihre Anzahl. Schon zu Beginn des ...
Die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) hatte im Parlament einen Vorstoß lanciert, wonach einem Staat die Entwicklungshilfe gestrichen werden soll, wenn er sich weigert, abgewiesene Asylsuchende zurückzunehmen. Nur wer im Migrationsbereich kooperiert, sollte weiterhin Geld erhalten. Eine Mehrheit der großen Kammer des Schweizer Parlaments stimmte diesen strikten Bedingungen zu. „Weil viele Staaten unsere Schweizer Entwicklungsfränkli gerne sehen, sind wir mit dieser Idee am längeren Hebel“, sagte ein parteiloser Finanzpolitiker in der Parlamentsdebatte.
Die kleine Kammer indes, auch „chambre de reflexion“ genannt, lehnte das Ansinnen Mitte März in einer Zitterpartie ab. Wie absurd die Forderung der SVP ist, zeigen folgende Punkte: Schweizer Entwicklungshilfe fließt erstens kaum an Regierungen, sondern an zivilgesellschaftliche Organisationen sowie an Lokal- und Provinzbehörden in den Partnerländern. Hinzu kommt, dass nur ein gutes Drittel der Asylsuchenden in der Schweiz aus Ländern kommt, die Entwicklungshilfe erhalten.
Zweitens stellt die schweizerische Entwicklungshilfe die Armutsbekämpfung ins Zentrum. Würden Gelder zurückbehalten, verschlechterten sich die Lebensbedingungen in diesen Ländern. Dies wiederum würde die Migration fördern. Drittens kommen 20 Prozent aller Asylsuchenden aus Ländern, in denen die Schweiz noch andere Interessen hat als abgewiesene Asylsuchende zurückzuschaffen. Zum einen sind mit diesen Staaten Freihandelsabkommen in Kraft oder geplant. Zum anderen gehören einige der Staaten bei der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds in dieselbe Stimmrechtsgruppe wie die Schweiz und sichern damit die Schweizer Direktoriumssitze. Zwangsmaßnahmen aus Bern könnten diese Interessen unterlaufen.
Die Instrumentalisierung der Entwicklungshilfe hat jedoch schon Wirkung gezeigt. Die Schweizer Regierung will „in der internationalen Zusammenarbeit künftig die Kooperationsbereitschaft eines Staates stärker gewichten“, sagte Justizministerin Simonetta Sommaruga kürzlich und nannte dabei den Asylbereich. Und der Schweizerische Gewerbeverband, der 250 Verbände und etwa 300.000 kleine und mittlere Unternehmen vertritt, fordert, dass Entwicklungshilfe an den privilegierten Zugang zu Rohstoffen geknüpft wird.
Die SVP prüft unterdessen eine Volksinitiative gegen eine Erhöhung der Auslandhilfe. Ihr Ziel: Mehr Mittel für die Landesverteidigung. 2010 gab die Schweiz 2,39 Milliarden Franken oder 0,41 Prozent des Bruttoinlandproduktes an Entwicklungshilfe, 2009 waren es noch 0,45 Prozent des BIP gewesen. 381 Millionen Franken der Hilfe 2010 entfielen auf die Unterbringung von Asylsuchenden in der Schweiz – das entsprach mit 16 Prozent der Ausgaben einem Rekord.
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