Mexiko hat Ende vergangenen Jahres beschlossen, seine Ölfelder für ausländische Unternehmen zu öffnen – 75 Jahre, nachdem sie verstaatlicht worden waren. Das könnte die Ölpolitik in der ganzen westlichen Hemisphäre dramatisch verändern.
Im Norden Amerikas erleben Kanada und die USA gerade gleichzeitig und in Konkurrenz zueinander mehrere gleichermaßen historische Boom-Phasen der Ölförderung. Eine schnell wachsende Umweltbewegung kämpft hingegen verzweifelt dafür, das Öl im Boden zu lassen, um den Klimawandel nicht weiter anzuheizen.
Autor
Robert Collier
ist Journalist in Berkeley (Kalifornien) und berichtet über die US-amerikanische und globale Energie-Industrie.Viele Fragen sind noch offen. Wird die Öffnung in Mexiko es US-amerikanischen Ölfirmen erlauben, dort die politische Kontrolle wiederzuerlangen, die sie verloren haben, als ihr Vermögen 1938 beschlagnahmt wurde? Werden das Fracking und andere neue Fördertechniken denselben Öl- und Gasboom hervorrufen wie in den USA und Kanada? Und werden Umweltschützer und Aktivisten unter den Ureinwohnern, die bisher politisch an den Rand gedrängt sind, zu einer grenzüberschreitenden Oppositionsbewegung aus allen drei Ländern zusammenfinden?
Die sprudelnden Einnahmen sicherten den sozialen Frieden
Für die mexikanische Wirtschaft steht viel auf dem Spiel. Jahrzehntelang war Mexiko einer der größten Ölexporteure weltweit. Die sprudelnden Einnahmen sicherten nicht nur bis zu der Hälfte des Staatseinkommens, sondern auch den sozialen Frieden. Allgemein war bekannt, dass der staatlichen Ölmonopolist Petróleos Mexicanos, kurz Pemex, korrupt und verschwenderisch war. Aber er glättete gleichsam die vielen Verwerfungen in der Gesellschaft und machte Mexiko zu einer Ausnahme in der langen Reihe von Revolten und politischer Instabilität in Lateinamerika. Pemex wurde zu einem Symbol des nationalen Stolzes. Den Spruch „Das Öl gehört uns“ haben Generationen von Schulkindern auswendig gelernt und verinnerlicht.
Politisch mag das Modell sinnvoll gewesen sein, aber wirtschaftlich gesehen ist es am Ende. Das Geld für dringende Investitionen wurde bei Pemex immer knapper, weil die Regierung die Steuerschraube mehr und mehr anzog, um Mittel in die Staatskasse umzulenken. Der Konzern investierte zu wenig in die Erkundung neuer Ölfelder oder in die Entwicklung von neuen Technologien, um Öl und Gas aus schwer zugänglichen Quellen fördern zu können. Wiederholt warnten Experten, dass nach so vielen Jahren des Wohlstandes die Ölindustrie vor dem Kollaps stünde.
Anfang 2004 kam der Zusammenbruch – schlagartig und mit drastischen Folgen. Ehemals riesige Ölfelder sind erschöpft; bis 2013 sank die gesamte Ölförderung um mehr als ein Drittel. Nun gehen viele davon aus, dass das Land am Ende dieses Jahrzehnts Netto-Erdölimporteur sein wird. Wie kann man diesem Niedergang begegnen? Fachleute setzen auf die Liberalisierung. Lauter und lauter erschallten die Rufe, Mexiko solle ausländische Ölfirmen wieder ins Land lassen. Linksgerichtete Ideologen wie Fidel Castro in Kuba und Hugo Chávez in Venezuela waren schließlich mit gutem Beispiel vorangegangen.###Seite2###
Der Widerstand dagegen brach zusammen. Nach seinem Amtsantritt im Dezember 2012 drängte Präsident Enrique Peña Nieto auf Reformen und boxte sie in weniger als einem Jahr durch den Kongress. Der Gesetzgeber arbeitet jetzt an einem Bündel von Durchführungsvorschriften, die darüber entscheiden werden, inwieweit Pemex gezwungen wird, mit ausländischen Unternehmen auf gleichem Fuße und ohne Bevorzugung zu konkurrieren.
Nach dem ersten Plan, den der mexikanische Kongress im vergangenen Dezember abgesegnet hat, werden die ausländischen Firmen das meiste, was sie wollen, bekommen. Verträge über Produktionsbeteiligungen werden ihnen einen Anteil am Gewinn sichern und ihnen erlauben, Anteile von Mexikos Ölreserven in ihren Unternehmensbilanzen als Vermögen auszuweisen. Das gilt allerdings nur für Öl und Gas, das aus Schiefergestein und in der Tiefsee im Golf von Mexiko gefördert wird – dazu sind entweder Fracking oder andere hochmoderne Fördertechniken nötig, über die Pemex zurzeit nicht verfügt. In Gebieten, in denen Pemex derzeit die Produktion kontrolliert, bleibt alles beim Alten: Ausländische Firmen erhalten als Auftragnehmer pauschale Honorare für ihre Arbeiten, werden aber nicht an der Produktion oder am Profit beteiligt.
Man erwartet, dass erste Kontrakte Mitte 2015 angekündigt werden und im folgenden Jahr erste Bohrungen im größeren Stil beginnen. Die Kehrtwende in der mexikanischen Ölförderung löst jedoch etwas zu viel Euphorie aus. Mexiko hat mehr als zehn Milliarden Barrel nachgewiesener Ölreserven und liegt damit in Lateinamerika hinter Venezuela und Brasilien an dritter Stelle. Die Ingenieure von Pemex glauben, dass Mexikos Anteil an den Tiefseevorkommen im Golf von Mexiko weitere 29 Milliarden Barrel umfasst. Um dieses Öl zu fördern, braucht Mexiko aber hochmoderne Technik, die Pemex alleine nicht beherrscht.
Ein großes Potenzial liegt auch in Ölschiefer im Nordosten Mexikos. Dazu gehört ein Anteil an der grenzüberschreitenden Schieferformation im texanischen Eagle Ford, das mit Hilfe von Fracking zu einem der ertragreichsten Ölfelder der Vereinigten Staaten geworden ist. Ähnlich wie in den USA erfordert die Förderung aus Schiefer in Mexiko ein engmaschiges Netz aus Tausenden von Bohrlöchern. Doch einige der vielversprechendsten Formationen liegen unter Gebieten in den nördlichen Bundesstaaten Veracruz, Hidalgo und Puebla, die ökologisch empfindlich sind. Weitere Schieferformationen befinden sich in der Wüste Coahuila, wo das für das Fracking nötige Wasser fehlt – die Vorkommen reichen schon kaum für die rasch wachsenden Städte und Farmen.
Die meisten Leute haben noch nie von Fracking gehört
Bisher wird anscheinend sehr wenig mittels Fracking gefördert. Pemex berichtet, dass es Ende 2013 erst 17 Öl- und Gasbohrungen mit Fracking-Technik gab. Die Praxis hat bis vor kurzem kaum öffentliche Aufmerksamkeit erregt. Das ändert sich aber rasch. Umweltschützer aus den USA und Kanada sind besorgt, dass Fracking das Grundwasser verschmutzt und erschöpft, und versuchen diese Befürchtungen weiter zu vermitteln.
Sie unterstützen deshalb die neu gegründete mexikanische Allianz gegen Fracking in Mexiko-Stadt. „Das Kleingedruckte unter der Energiereform ist das Fracking“, schrieb Ruben Martin in einem Leitartikel vom September 2013 in der Zeitung „El Economista“ und greift damit eine Stimmung auf, die sich unter den Linken in Mexiko sehr schnell verbreitet.
Claudia Campero, eine Koordinatorin der Allianz, räumt ein, dass ihre Gruppe noch einen langen Weg vor sich hat, bevor sie politische Entscheidungen beeinflussen kann. „Die meisten Leute haben noch nie von Fracking gehört und haben keine Vorstellung von den damit verbundenen Umweltrisiken“, erklärt Campero. „Wir arbeiten auf vielen Ebenen, um zu vermitteln, warum das verboten werden sollte, warum Mexiko sich lieber auf erneuerbare Energien statt auf mehr Öl konzentrieren sollte, aber es wird dauern.“
Der Widerstand gegen die Öffnung des Ölmarktes in Mexiko stützt sich bis heute hauptsächlich auf tiefsitzende ideologische Vorstellungen. Linke Politiker beschweren sich lautstark, dass „Verräter“ das nationale Vermögen an Ausländer weggeben, dass ein „Ausverkauf“ stattfinde. Der Beginn des Frackings könnte eine ganze Reihe lokaler Konflikte auslösen, die die Opposition erst richtig in Fahrt bringen würden.
Vorkommen im Schiefergestein auszubeuten, erfordert normalerweise zahlreiche Bohrlöcher dicht nebeneinander – insgesamt Dutzende oder sogar Hunderte pro Quadratkilometer. Das kann zu schwerwiegenden Eingriffen in die Lebensweise der Anwohner führen – etwa in den Dörfern der Otomí. Regierungsbeamte geben zu, dass sie Angst vor ähnlichem Widerstand haben wie beim Aufstand der Zapatisten 1994 im südlichen Bundesstaat Chiapas. In so einem Fall wird „Fracking“ wohl fester Bestandteil des politischen Wortschatzes in Mexiko werden und ziemlich sicher ein Schimpfwort.###Seite3###
Über diesen Befürchtungen ist in der Öffentlichkeit aber bisher kaum beachtet worden, wie sehr die Liberalisierung des mexikanischen Ölmarktes die Energie- und Geopolitik Nordamerikas umkrempeln könnte. Mexiko ist sowohl Importeur als auch Exporteur von Erdölprodukten: Es liefert mehr als eine Million Barrel Rohöl pro Tag in die Golfregion der USA und reimportiert etwa die Hälfte dieser Menge in Form von raffinierten Produkten. Der Produktionsrückgang in Mexiko hat viel mehr als allgemein bekannt dazu beigetragen, dass die US-amerikanische Energieindustrie gezwungen war, Keystone XL als alternative Lieferquelle ins Visier zu nehmen.
Die USA importieren vor allem Schweröl aus Mexiko, das dem aus Kanadas Teersanden extrahierten Rohöl ähnelt. Seit 2004 ist die Einfuhr aus Mexiko von 1,7 Millionen Barrel pro Tag auf 900.000 Barrel gefallen. Mexiko reimportiert mehr als die Hälfte dieser Menge in Form verschiedener raffinierter Kraftstoffe und petrochemischer Produkte. Das ist ein Beispiel für die Rolle der Industrie an der Golfküste der USA: Sie ist ein weltweit führender Lieferant von raffinierten Erdölprodukten und Gütern der Ölchemie, wobei Kanada und Mexiko beide sowohl Lieferanten als auch Abnehmer sind.
Die meisten Raffinerien an der Golfküste sind für die Verarbeitung von Schweröl ausgelegt und können deshalb den Verlust des mexikanischen Rohöls nicht einfach durch die Leichtöle ausgleichen, wie sie heute reichlich in North Dakota und Texas gefördert werden. Die Verknappung des Angebots wurde verstärkt durch den – wenngleich weniger drastischen – Rückgang der Schweröllieferungen aus Venezuela, wo die linke Regierung ihren Exportschwerpunkt schrittweise von den USA Richtung China verschiebt.
Analysten beschreiben das Ergebnis als einen „Hunger nach Schweröl“. Die Raffinerien am Golf laufen unterhalb ihrer Kapazitäten und bemühen sich weltweit auf den Spotmärkten um Ersatz. Die 800.000 Barrel täglich, um die die mexikanischen Exporte gefallen sind, entsprechen passenderweise ungefähr den 830.000 Barrel, die die Keystone-XL-Pipeline täglich aus Kanada gen Süden transportieren soll. All das ist zumindest aus Sicht der USA die zentrale Logik hinter Keystone XL: Es heißt „adiós México, hello Canada“. Das Öl aus der Keystone XL-Pipeline bedeutet für das Weltklima eventuell „Game Over“, wie Umweltschützer nicht müde werden zu wiederholen.
Aber es würde den unbändigen Durst der petrochemischen Industrie stillen. Würden aber ausländische Unternehmen Mexikos Ölproduktion wieder ankurbeln, dann ließe sich das kanadische Schweröl durch neue Lieferungen von südlich der Grenze ersetzen. Dann hieße es „goodbye Canada, hola México“.
Auf dem gesamten Kontinent ist der wirtschaftliche Druck riesig, zusätzliche Erdölvorräte aufzutun. Gemeinwesen werden aufgekauft oder an den Rand gedrängt im fieberhaften Run auf die Förderung von Öl und Gas. Für viele ist es so, als wenn man im Lotto gewinnt und dann völlig verkatert und mit schmerzendem Kopf in einem Motel in Las Vegas aufwacht. Was immer man von den Reformen des Energiesektors in Mexiko und der Keystone-XL-Pipeline hält: Sie sind gegeneinander austauschbare Teile einer wachsenden regionalen Infrastruktur, die den unersättlichen Energiehunger der ölabhängigen nordamerikanischen Gesellschaft stillen soll.
Die Liberalisierung in Mexiko muss nicht bedeuten, dass Keystone XL jetzt tot ist. Aber es zeigt sich deutlich die enge Verflechtung beider Vorhaben: Entwickle das eine Projekt und blockiere das andere oder umgekehrt. Fracking auf Kosten der Otomí, Tiefseebohrungen im Golf. Spiele die Umweltgefahren herunter, fördere Erdgas, sauge das schwarze Gold auf. Im großen geopolitischen Spiel um Energie ist Mexiko wieder ein wichtiger Spieler.
Aus dem Englischen von Barbara Kochhan.
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