Macht der Klimawandel Pause? Wer den jüngsten Bericht aus dem Weltklimarat (IPCC), in dem Wissenschaftler aus aller Welt den Forschungsstand festhalten, so deutet, der irrt leider. Zwar ist die Durchschnittstemperatur der Erdoberfläche in den vergangenen 15 Jahren langsamer gestiegen, als Klimamodelle erwarten ließen. Als Ursache kommen natürliche Schwankungen der Sonnenstrahlung und der Meeresströmungen im Pazifik in Frage, aber auch Unzulänglichkeiten der Modelle. Doch der langfristige Trend, betont der IPCC, zeige weiter eine starke Erwärmung. Andere Symptome der Klimaänderung wie die Erwärmung und Versauerung der Ozeane halten ungebremst an. Den Anstieg des Meeresspiegels veranschlagt der IPCC nun höher als im vorigen Bericht und ebenso die Gewissheit, dass die Erwärmung im Wesentlichen vom Menschen verursacht wird: Die Chance eines Irrtums liegt hier unter fünf Prozent.
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Die Wissenschaftler nennen nun auch Höchstwerte für die vertretbare Gesamtmenge der künftigen Emissionen. Nicht zufällig war das in den Verhandlungen mit den Regierungen über die offizielle Zusammenfassung des Berichts besonders strittig. Denn es bedeutet: Wenn man noch eine reale Chance haben will, die Erderwärmung unter zwei Grad zu halten, müssen global die Emissionen, die weiter steigen, klar begrenzt werden und sehr bald sinken. Theoretisch sollten nun die Staaten, die sich ja zum Zwei-Grad-Ziel bekannt haben, die notwendigen Einschränkungen untereinander aufteilen. Doch dieser Top-Down-Ansatz ist mit den Mechanismen der internationalen Politik kaum vereinbar. Und das nicht nur wegen der mächtigen Lobbys für fossile Energien. Zu so tiefgreifenden ökonomischen Eingriffen lässt sich kein bedeutender Staat von außen zwingen. Der Versuch, global verbindliche Ziele zu vereinbaren, ist zuletzt in Kopenhagen 2009 gescheitert – vor allem an den beiden größten Emittenten China und USA. Stattdessen sollen die Staaten sich nun selbst Emissionsziele setzen und sie den Vereinten Nationen (UN) melden. Viele haben das getan – auch Entwicklungsländer. Doch dieser Bottom-Up-Ansatz hat ebenfalls zu wenig Wirkung: Selbst wenn alle bisherigen Zusagen streng eingehalten werden, ist bis 2100 eine Erderwärmung um mehr als drei Grad sehr wahrscheinlich.
Der Wankelmut der Europäischen Union ist bedrückend
Verhandlungen wie jetzt auf dem Klimagipfel in Warschau werden bis 2015 keine universellen und verpflichtenden Minderungsziele bringen. Der Kongress in den USA würde dem nie zustimmen – auch wenn Präsident Obama und einige US-Bundesstaaten mehr gegen Treibhausgase tun wollen. Im besten Fall kommt jetzt der Klimaschutz voran, wenn einzelne Staaten praktisch zeigen, dass er möglich und mit Wohlstand vereinbar ist. Auch deshalb ist so wichtig, dass die Energiewende in Deutschland gelingt, die etwa in Indien aufmerksam beobachtet wird. Zugleich sollten Vorreiter aus Nord und Süd Koalitionen bilden. Dann können globale Verhandlungen vieleicht Druck auf die Staaten aufbauen, ihre Ziele freiwillig zu erhöhen, und einen Mechanismus schaffen, die Einhaltung zu überwachen und die Lasten zu teilen. Auch wenn das weniger bringt als für das Zwei-Grad-Ziel nötig, ist es die beste Chance.
Ansätze dafür gibt es. China etwa hat ehrgeizige Ziele für Energieeffizienz und erneuerbare Energien verkündet. Das wird wegen des hohen Wirtschaftswachstums den Anstieg seiner Emissionen zunächst nur verlangsamen. Doch neuerdings experimentiert das Land mit Emissionshandel, und die Staatsführung ist schon wegen der enormen Luftverschmutzung interessiert, die Emissionen bald zu senken.
Umso bedrückender ist der Wankelmut der Europäischen Union (EU). Sie hat das Ziel „20 Prozent weniger Emissionen bis 2020“ schon erreicht, kann sich aber nicht durchringen, es anzuheben. Hier bremst das Kohleland Polen. Aber auch Deutschland spielt eine zunehmend destruktive Rolle. Die angebliche Klimakanzlerin Angela Merkel hat gerade erneut strengere Abgasstandards für Autos abgeblockt. Ihre Partei hat Mitte des Jahres im Europaparlament gegen einen Versuch gestimmt, den Absturz der Preise für Emissionsrechte zu stoppen. Man muss sogar fürchten, dass eine große Koalition in Berlin den Ausbau der erneuerbaren Energien zugunsten der Kohle abbremst – nicht zuletzt auf Druck der SPD aus Nordrhein-Westfalen. Zudem nötigt Berlin südlichen EU-Mitgliedern statt „grüner“ Investitionen ein Sparprogramm auf, während Deutschland seinen Startvorteil bei Öko-Technologien festigt. Das untergräbt das Vertrauen, dass Gewinne und Kosten in Europa fair verteilt werden, und damit jede europäische Klimastrategie. Eine Pause beim Klimaschutz dürfen wir uns aber nicht leisten.
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