Im Frieden hilft der General

Tausende junge Kämpferinnen und Kämpfer müssen nach einem Bürgerkrieg wieder einen Platz in der Gesellschaft finden. In Westafrika haben die Programme dafür wenig geholfen. Denn die Bindungen zwischen Soldaten und Kommandanten zu kappen, ist ein fragwürdiges Rezept.

Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung – ein Paket aus solchen Programmen bieten die Vereinten Nationen (UN) und die Staatengemeinschaft für Länder an, die bewaffnete Konflikte hinter sich haben. Bekannt ist es als DDR (Disarmament, Demobilization and Reintegration). Dazu gehört, ehemalige Soldaten in die Gesellschaft einzugliedern. Einer der entscheidenden Aspekte von DDR-Programmen ist, die Verbindungen zwischen den Rebellenführern und ihren Soldaten zu kappen, um diesen die Rückkehr ins normale Leben zu erleichtern und ihre erneute Mobilisierung zu erschweren. Wo Kriege zu Ende sind – und, da sie oft kein klares Ende haben, in den Grauzonen zwischen Krieg und Frieden – werden weltweit Millionen Dollar für solche Programme ausgegeben.

Autor

Mats Utas

ist Kulturanthropologe und leitet den Forschungsbereich Konflikt, Sicherheit und demokratische Transformation am Nordischen Afrika-Institut in Uppsala (Schweden). Er forscht vor allem zu Westafrika und Somalia.

Dabei ist jedoch ein zentrales Problem, dass man international selten genügend darüber weiß, wie sich die Dinge vor Ort abspielen. Und wenn es in den betreffenden Ländern überhaupt eine Regierung gibt, ist sie oft weder fähig noch willens, solche Projekte durchzusetzen. In Liberia und Sierra Leone ist die Wiedereingliederung der Kämpfer trotz aller von vielen Seiten unternommenen Anstrengungen bestenfalls Stückwerk geblieben und teilweise überhaupt nicht vorangekommen. Oft sind eigene, spontane Bemühungen der Ex-Kombattanten um ihre Integration in die Gesellschaft erfolgreicher als die formale DDR.

Bürgerkriege waren in Liberia und Sierra Leone in den frühen 1990er Jahren ausgebrochen. Rebellenorganisationen mit dünnen politischen Programmen bekämpften sich gegenseitig und natürlich die Regierungstruppen, die sich von denen der Rebellen nicht grundsätzlich unterschieden. Anfangs schlossen viele junge Leute sich Rebellen an, weil sie eine revolutionäre Veränderung erstrebten und die korrupte Oberschicht entmachten wollten. Doch bald merkten sie, dass die Führungsgruppen der Rebellen enge Verbindungen zur wirtschaftlichen und politischen Elite hatten und oft ganz ähnliche Ziele verfolgten wie die Machthaber. Beide Kriege dauerten etwa zehn Jahre.  Als sie endeten, musste eine große Zahl junger Männer (und  auch ziemliche viele junge Frauen), die oft nichts anderes kannten als den Krieg, demobilisiert und in die Gesellschaft integriert werden.

Oft geschieht das Wichtigste informell und unter der Hand

Oberflächlich betrachtet und nach der Darstellung der Regierungen von Liberia und Sierra Leone sieht es so aus, als sei es dank der Demobilisierungsprogramme gelungen, die inoffiziellen militärischen Netzwerke aufzulösen. Meine Forschungen zeigen aber, dass dies nicht der Realität entspricht. Es ist im Gegenteil offensichtlich, dass Politikern sowohl der Regierung als auch der Opposition viel daran liegt, die Bindungen zu Gruppen von früheren Kämpfern aufrechtzuerhalten und sogar auszubauen.

Auf den ersten Blick mag dies unlogisch erscheinen: Warum sollten Politiker im Frieden ein Interesse an Bewaffneten und an Netzwerken aus dem Krieg haben? Aber dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens haben sich diese Politiker während der Bürgerkriege nicht damit begnügt, dem Krieg zuzusehen und auf den Frieden zu warten, sondern viele unterhielten Verbindungen zu Rebellengruppen und nahmen zeitweise direkt Einfluss auf die Kämpfe. Zweitens vollzieht sich das Regieren in Liberia und Sierra Leone nicht allein im Rahmen der offiziellen staatlichen Strukturen, sondern vieles – oft das Wichtigste – geschieht informell und unter der Hand. Dafür müssen politische Führer Patronage-Netzwerke unterhalten; es ist entscheidend, dass sie eine Klientel pflegen, Menschen organisieren und sie unter Kontrolle haben. Dafür sind aus dem Krieg stammende Netzwerke sehr nützlich. Vor allem die Parteipolitik und das Gerangel um Macht folgen diesem Muster. Und so konnte man sowohl in Liberia als auch in Sierra Leone deutlich beobachten, dass ehemalige Rebellenführer während der Wahlen eine wichtige Rolle spielten.  

Drittens stützen sich unter anderem Geschäftsleute, Plantagenbesitzer und Großbauern auf informelle Netzwerke, um Arbeitskräfte zu rekrutieren und zu beaufsichtigen. Viele haben erkannt, dass es sich bewährt, für solche Aufgaben ehemalige Kommandeure der Rebellen- oder Regierungstruppen einzusetzen. Denn die wissen, wie man Menschen organisiert und sich dabei ihre Loyalität und ihren Respekt erhält.

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Respekt hat auch mit Angst zu tun. Und so ist der vierte wichtige Grund, weshalb Politiker und andere Mitglieder der Eliten gerne mit geeigneten Kommandanten zusammenarbeiten, dass sie auf diese Weise die von solchen Gruppen ausgehende Gefahr eindämmen möchten – und sie möchten die Leute, vor denen andere sich fürchten, auf ihrer Seite wissen. Denn Gewalt anzudrohen gehört ebenso zum politischen Alltag wie gelegentliche Gewaltausbrüche. Dabei muss man bedenken, dass die Polizei und das Rechtswesen in beiden Ländern immer noch zahnlos sind; ihre Amtsträger mischen lieber in der Politik mit, statt für die Sicherheit der Bevölkerung zu sorgen.

Die Netzwerke zu zerschlagen wäre politisch naiv

Unter diesen Umständen sind viele frühere Kommandanten zu Vermittlern von Dienstleistungen geworden. Sie stellen den einen Auftraggebern Schutz zur Verfügung und den anderen Arbeitskräfte. Wer zum Beispiel auf seiner Gummiplantage 50 Arbeiter braucht oder für eine Demonstration 150 Teilnehmer aufbieten will, bekommt sie im Handumdrehen von diesen Maklern. Im Allgemeinen weiß man in diesen vernetzten Gesellschaften, zu welcher politischen Seilschaft oder welcher Wirtschaftsgröße die jeweiligen Ex-Kommandanten gehören. Doch nicht selten wechseln auch die Loyalitäten. So halten frühere Kommandanten überall nach den vorteilhaftesten Aufträgen Ausschau.

Zum Teil beruhen diese Seilschaften und Netzwerke auf gemeinsamer ethnischer oder regionaler Herkunft oder auf Verwandtschaftsbeziehungen – aber nur zum Teil. Vor allem in den Städten verwischen sich diese traditionellen Bindungen. Doch in jedem Fall ist für Politiker und Geschäftsleute der Anreiz groß, sich an ehemalige Kommandanten zu wenden und deren Netzwerke zu nutzen, wenn sie etwas zügig erledigt haben wollen. 

Frühere Führer und Kämpfer der Rebellengruppen sind noch immer auf eine Art miteinander verbunden, die den Hierarchien und Kommandostrukturen der Kampftruppen ähnelt. Daher könnte man sagen, dass Liberia und Sierra Leone noch immer militarisiert sind. Doch das wäre der falsche Schluss. Zwar besteht durchaus ein Risiko, dass diese Netzwerke für einen neuen Krieg eingesetzt werden könnten. Sie haben bereits dazu gedient, Söldnern für Côte d’Ivoire zu mobilisieren, aber auch Personal für internationale private Sicherheitsdienste, die im Irak operieren. Die Netzwerke könnten ebenso in einem neuen Krieg in Liberia oder Sierra Leone benutzt werden.

Der springende Punkt ist jedoch: Der Fortbestand dieser Netzwerke über das Ende des Krieges hinaus hat gezeigt, dass sie auch dazu dienen können, Stabilität und Frieden zu fördern. Diese Netzwerke sind an sich weder militärisch noch zivil, weder moralisch noch unmoralisch, sondern neutral. Was sie bewirken, hängt davon ab, wofür sie mobilisiert werden. Im Großen und Ganzen tun sie das, was die politische Elite will. Es ist politisch naiv, wenn man sie zu zerschlagen versucht. Die Erfahrung in Liberia und Sierra Leone zeigt, dass DDR nur dazu geführt hat, sie in den Untergrund zu treiben. Die Strukturen existieren weiterhin, sind aber jetzt nur noch für Eingeweihte erkennbar.  Die Netzwerke der Kommandanten und ihrer Kämpfer sind für viele Ex-Kombattanten sogar das wichtigste Mittel des Überlebens. Je mehr diese Verbindungen zerrissen werden, desto eher sehen sie sich gezwungen, gewaltsam für ihren Unterhalt zu sorgen. Tatsächlich ist in den schwächeren dieser Netzwerke die Gefahr größer, dass Kämpfer erneut rekrutiert werden.

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Natürlich sind längst nicht alle Ex-Kombattanten heute noch in Kontakt mit ihren früheren Kommandanten. Doch bei erstaunlich vielen ist dies der Fall. Das liegt zum Teil daran, dass viele Kämpfer  aus sozialen Randgruppen stammten und im Bürgerkrieg eine Chance sahen, etwas aus sich zu machen und an Geld, eine Ausbildung und nützliche Beziehungen zu kommen. Auch wenn sie sich den Krieg nicht gewünscht haben, sahen ihn dann doch viele als eine Gelegenheit, der Armutsfalle zu entkommen.

„War man einmal General, bleibt man immer General“ 

Als die Kriege zu Ende gingen, sahen sich viele von neuem an den Rand gedrängt, weil das Reintegrationsprogramm weder für alternative Einkommensmöglichkeiten sorgte noch für die Integration in die Gesellschaft. Ohne Arbeit, Unterkunft und Zukunftsaussichten landeten viele frühere Kämpfer in kleineren und größeren Städten. Sich auf der Straße durchzuschlagen ist hart; deshalb brauchen viele Ex-Kombattanten Patrone – „starke Männer“, die ihr Überleben und ihre Sicherheit gewährleisten.

Im Allgemeinen trauen frühere Rebellenkämpfer niemandem, der zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Elite gehört – viele ihrer Gespräche drehen sich darum, wie sie von solchen Leuten verraten und im Stich gelassen wurden. Die ehemaligen Kommandanten nutzen das gegenseitige Misstrauen zwischen der Elite und der Unterschicht und fungieren als eine Art gesellschaftliche Schnittstelle zwischen den beiden Milieus. Dabei sind sie allerdings nicht die einzigen; auch andre Arten Vermittler treten als Botschafter zwischen den Schichten auf. Zudem gehören zu den Gefolgsleuten der Ex-Kommandanten auch immer mehr Leute, die nicht im Bürgerkrieg gekämpft haben.

Wenn man in Ländern wie Liberia und Sierra Leone nach einem Bürgerkrieg für Stabilität sorgen will, sollte man nicht versuchen, die Netzwerke der Ex-Kommandanten und ihrer Kämpfer aufzubrechen. Stattdessen kann man sie benutzen, um Stabilität zu schaffen und gleichzeitig ehemalige Kombattanten zu unterstützen, die unter schwierigen Bedingungen um ihr Überleben kämpfen. Es ist wichtig, an sie heranzukommen und sie in die Gesellschaft zu integrieren. „Reintegrieren“ wäre der falsche Ausdruck, denn viele, die ich getroffen habe, betonen, dass sie vor dem Krieg nirgends dazugehörten und sich völlig ausgegrenzt fühlten. Eine zentrale Aufgabe nach dem Krieg ist, ihnen einen Platz in der Gesellschaft zu verschaffen. Sehr wahrscheinlich gelingt dies am ehesten mit Hilfe gerade jener Strukturen, deren Zerstörung die DDR-Programme sich vorgenommen haben: Frühere Kommandanten können Mittler der Integration sein und ehemaligen Kämpfern Lebenschancen bieten.  

Vor kurzem habe ich in Liberia einen ehemaligen General der Nationalen Patriotischen Front für Liberia (NPFL) interviewt, der seine Gruppe von Ex-Kombattanten recht gut unter Kontrolle hat. Als ich ihn fragte, wie er seine heutige Position im Vergleich zu früher beurteilt, schaute er mich nachdenklich an und sagte: „War man einmal General, bleibt man immer General.“ Offensichtlich meinte er damit nicht, dass er den bewaffneten Kampf gegen die Regierung wieder aufnehmen will. Vielmehr wollte er sagen, dass die Leute, die jetzt für ihn arbeiten, ihm ebenso gehorchen wie früher im Krieg – er ist immer noch der Chef. 

Aus dem Englischen von Anna Latz

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erschienen in Ausgabe 10 / 2013: Landrechte: Auf unsicherem Boden
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