Frau Füllkrug-Weitzel, was reizt Sie daran, Entwicklungsministerin zu werden?
Entscheidende Weichenstellungen für nachhaltige Entwicklung liegen vor uns. Deutschland kann und muss darin eine wichtige Rolle spielen: auf dem G-8-Gipfel, beim globalen Klimaabkommen oder der Entwicklungsagenda für die Zeit nach 2015. Deutschland könnte einiges bewegen, wenn es eine glaubwürdige, ambitionierte Position einbringt. Das finde ich hochspannend und eine Aufgabe, bei der Mitmachen sich lohnt.
Aber der Entwicklungsminister beziehungsweise die Entwicklungsministerin haben doch am Kabinettstisch traditionell nicht viel zu sagen...
Das Entwicklungsministerium steht nie im Zentrum der Politik. Aber es gibt viele Schnittmengen mit Themen wie Umwelt, Sicherheit, Handel, Außenwirtschaft oder Landwirtschaft. Es ist eine wichtige Aufgabe, den Kabinettskollegen dieses Bewusstsein zu vermitteln. Ich halte das nicht für aussichtslos, immerhin kommt die Entwicklungspolitik zum ersten Mal überhaupt in einem Schattenkabinett vor. Es gibt ein Bewusstsein dafür, dass es ein relevantes Thema ist.
Sie haben wiederholt für neue Entwicklungsmodelle und für eine Abkehr von einer allein auf Wachstum basierenden Wirtschaft plädiert. Lässt sich das mit der SPD überhaupt machen?
Die SPD hat in der Enquete-Kommission des Bundestags gute Vorschläge dazu gemacht, wie wir in Zukunft wirtschaften, ohne unsere Lebensgrundlagen zu zerstören. Die Bremser sitzen eher in der gegenwärtigen Koalition. Das ist aber generell keine Aufgabe, die eine einzelne Partei oder gesellschaftliche Gruppe bewältigen könnte. Erforderlich dafür ist ein Umdenken in der gesamten Gesellschaft.
Was würden Sie als erstes im neuen Amt anpacken?
Das Thema Rüstungsexporte müssen wir nach der Wahl ganz schnell angehen angesichts der Nachfragen aus der Golfregion. Die Aufrüstungsstrategie der gegenwärtigen Bundesregierung schafft keinen Frieden, sondern das Gegenteil. Wir müssen ein parlamentarisches Gremium schaffen, das den Bundessicherheitsrat kontrolliert und wichtige Exporte transparent macht. Rüstungsgüter gehören weder in Krisenregionen noch in die Hand von Regierungen, die systematisch Menschenrechte verletzen. Zivile Konfliktbearbeitung muss wieder Vorrang bekommen.
Die frühere Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul hat sich in der Bundesregierung die Zähne ausgebissen, um zu einer anderen Exportpolitik zu kommen...
Ja, aber mittlerweile ist das – nicht zuletzt dank ihres Engagements – in der SPD kein Randthema mehr. Die SPD hat sich dazu im Regierungsprogramm eindeutig positioniert und konkrete Vorschläge gemacht.
Der amtierende Minister Dirk Niebel wollte die Entwicklungszusammenarbeit stärker mit der Privatwirtschaft verbinden und mehr Beteiligung aus der Gesellschaft erreichen. Was wären Ihre Schwerpunkte?
Gut, dass Dirk Niebel sich der alten Erkenntnis angeschlossen hat, dass Entwicklungspolitik in die Mitte der Gesellschaft gehört. Es geht aber nicht darum, mehr Privatpersonen zu eigenen Entwicklungsprojekten anzuregen. Entscheidend ist ein breites Bewusstsein dafür, dass Armutsbekämpfung und die Transformation hin zu einer nachhaltigen Entwicklung gelingen können, wenn jeder Einzelne seine Verantwortung wahrnimmt und entsprechend handelt. Dazu sind neue Allianzen zivilgesellschaftlicher Organisationen und Kräfte nötig, die an diesem Wandel arbeiten wollen, einschließlich engagierter Unternehmen. Diesbezüglich gab es vom Ministerium wenig Impulse. In der vergangenen Legislaturperiode ist die Entwicklungspolitik eher abgewertet worden: Bisherige Ansätze wurden verächtlich gemacht, zugleich wurden dem nur wenige eigene positive Bilder entgegengesetzt. Der Bevölkerung wurde nicht vermittelt, worin ihr Beitrag bestehen könnte.
Wie stark ausgeprägt ist Ihrer Ansicht nach die Bereitschaft in der Bevölkerung, sich mit Entwicklungspolitik zu befassen?
Die Bevölkerung spürt, dass es mit der sozialen Exklusion bei uns und weltweit so nicht weitergehen kann; sie ist offen für andere Werte als Konsumismus. Wir müssen über neue Konzepte nachdenken, die Leute für die großen Zukunftsaufgaben zu gewinnen, zu denen auch die Armutsbekämpfung gehört. Das setzt aber voraus, dass die Zivilgesellschaft ernsthaft beteiligt wird. Zuletzt ist sie meiner Ansicht nach eher an den Rand gedrängt worden. In der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit zum Beispiel sehe ich beim Entwicklungsministerium die Tendenz, die Verantwortung an sich zu reißen, vermutlich auch um die ideologische Lufthoheit zu gewinnen.
Welche Schwerpunkte hätten Sie in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit?
Zum einen müssen wir bis 2015 die Millenniumsziele so weit wie möglich erreichen. Zum anderen müssen wir für die Zeit danach einen universalen Referenzrahmen für menschenrechtsbasierte, nachhaltige und geschlechtergerechte Entwicklung schaffen. Dafür muss es neue Koalitionen und neue Formen von multilateraler und bilateraler Zusammenarbeit geben, zum Beispiel mit den Schwellenländern. Sie sind wichtig für die Bearbeitung globaler Aufgaben und müssen entsprechend ernst und in die Verantwortung genommen werden. Die Welt teilt sich nicht mehr in Geber aus dem Norden und Nehmer im Süden.
Was hat Entwicklungsminister Niebel gut gemacht in den vergangenen vier Jahren?
Das Menschenrechtskonzept fand ich gut, das breit mit der Zivilgesellschaft diskutiert wurde. Es wurde aber noch nicht umgesetzt. Es reicht nicht, alle Entwicklungsprojekte auf ihre Menschenrechtswirkung abzuklopfen. Man muss auch die Kohärenzfrage zu anderen Politikbereichen stellen, gerade unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten.
Wie bewerten Sie die Fusion der technischen Zusammenarbeit zur Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ)?
Hilfe besser zu koordinieren, ist wichtig. Man darf sich aber nicht auf die technische Seite der Fusion beschränken. Nötig ist ein Konzept, das die Stärken der Zusammenarbeit ausschöpft und zugleich die Vielfalt der fusionierten Instrumente mit ihren je spezifischen Chancen für eine gemeinsame Strategie nutzt. Das kann ich nicht erkennen.
Besonders heftig wird die Zukunft des Entwicklungsdienstes in der GIZ diskutiert. Braucht man einen solchen Dienst heute noch?
In der GIZ selbst scheint man nicht der Auffassung zu sein: Die Zahl der Entwicklungshelfer ist von 1100 vor der Fusion auf aktuell 600 gesunken. Aus meiner Sicht kommt es darauf an, welche Funktion der Entwicklungsdienst haben soll. Wenn Entwicklungshelfer sich so wie im alten DED als Brückenbauer und Botschafter in zwei Richtungen, als Kulturvermittler verstehen, dann sehe ich weiterhin einen großen Bedarf. Wenn sie hingegen nur als eine Art integriertes Servicepersonal Projekte der Regionalreferate umsetzen sollen, dann stellt sich in der Tat Ihre Frage.
Die SPD verspricht in ihrem Wahlprogramm, sie würde den Etat des Entwicklungsministeriums jährlich um eine Milliarde Euro erhöhen, bis 0,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts erreicht sind. Was schätzen Sie, wie lange es dauern würde, bis Sie als Ministerin diese Zusage wieder zurücknehmen müssten?
Ich hoffe, ich müsste sie ziemlich schnell zurücknehmen, weil ich verkünden könnte, es wird noch mehr.
Fürchten Sie sich vor dem Moment, in dem Sie Ihrer Nachfolgerin bei „Brot für die Welt“ als Ministerin das erste Mal sagen müssen, diese oder jene Forderung sei zwar berechtigt, aber leider nicht politisch umsetzbar?
Ich hoffe, dass er oder sie ebenso wie ich versteht, dass wir verschiedene Rollen, Handlungsmöglichkeiten und -zwänge haben und dennoch am selben Strick ziehen können. Man muss nicht dafür geliebt werden, dass man als Ministerin nicht mehr genauso redet und handelt, wie man es als NGO-Vertreterin konnte.
Falls die Wahl für die SPD verloren geht: Wie geht es dann bei Ihnen weiter?
Dann bin ich wieder Präsidentin von „Brot für die Welt“ und freue mich darauf, die Entwicklungspolitik der Bundesregierung kritisch zu begleiten, so wie ich das in der Vergangenheit immer getan habe.
Das Gespräch führte Tillmann Elliesen
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