Die Zukunft der Entwicklungshilfe wird in einer alten Fabrik in Berlin-Kreuzberg gemacht. Schlesische Straße, ein wuchtiger Klinkerbau an der Spree: Wo früher Schellackplatten gepresst wurden, haben sich heute Firmen mit Namen wie Eyegasm oder Ressourcenmangel niedergelassen, die versuchen, das Internet mit neuen Ideen zu füllen und damit Geld zu verdienen. Im fünften Stock unterm Dach residiert die Spendenplattform Betterplace. Auch sie will im Internet Geld sammeln – aber für gute Zwecke, in Deutschland und in aller Welt.
Ihr Mitgründer Moritz Eckert ist für Öffentlichkeitsarbeit zuständig: Mitte dreißig, Dreitagebart, Hipsterbrille. Die 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an ihren Monitoren im großräumigen Loftbüro dürften im Schnitt ähnlich alt sein. Im Büro aufgebaut ist ein großes Zelt, wie es die Hilfsorganisation ShelterBox in Katastrophengebieten als Notunterkunft verteilt. Im Eingangsbereich steht ein Tischkicker, die offene Küche dient als eine Art Büromarktplatz. Entwicklungshilfe als Startup-Unternehmen.
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Betterplace selbst leistet keine Hilfe, sondern bietet Hilfsorganisationen und Initiativen die technische Infrastruktur, Spenden zu akquirieren. Seit 2007 ist die Website online. Zu finden sind dort die Vier-Mann-Initiative, die ein paar hundert Euro für Komposttoiletten für ein Dorf in Mexiko sammelt, aber auch die Branchenriesen World Vision oder Care, die für ihre Hilfsprogramme in Somalia oder für die Unterstützung von Flüchtlingen aus Syrien werben. Gut 5000 Projekte in über 140 Ländern stehen derzeit zur Wahl. Das ist die Zukunft der Entwicklungshilfe? Zumindest sehen das die früheren Weltbank-Ökonomen Homi Kharas und Andrew Rogerson so. Denn diese Form des Spendensammelns, bei der der Spender wie aus einem Katalog sein Lieblingsprojekt aussuchen kann, nimmt zu. Die US-Spendenplattform Globalgiving, die ähnlich wie Betterplace funktioniert, hat nach eigenen Angaben seit 2002 mehr als 85 Millionen US-Dollar für 8000 Projekte weltweit eingeworben. Das ist nicht viel, wenn man es mit den rund 50 Millionen Euro vergleicht, die „Brot für die Welt“ jährlich sammelt. Aber die Online-Entwicklungshilfe wächst. Die Mikrokreditorganisation Kiva, die seit sieben Jahren so arbeitet, hat 2011 nach eigenen Angaben 125.000 Darlehen im Wert von insgesamt 90 Millionen Dollar an Empfänger in Entwicklungsländern weitergeleitet. Das entspricht bereits einem Drittel der Kreditsumme, die die Mikrokreditgenossenschaft Oikocredit im selben Jahr ausgezahlt hat – und Oikocredit ist seit immerhin 40 Jahren auf dem Markt.
In einem gemeinsamen Ausblick auf die Entwicklungshilfe im Jahr 2025 prognostizieren Kharas und Rogerson, dass andere nichtstaatliche Hilfsorganisationen in Zukunft ebenfalls stärker versuchen werden, auf diesem Weg Spenden zu sammeln. In Deutschland allerdings zeigen sich „traditionelle“ Hilfswerke auch skeptisch gegenüber dieser Art von Direkthilfe über das Internet. Die Einwände betreffen sowohl das Netz als vermeintlich lukrative Geldquelle als auch das entwicklungspolitische Verständnis der Startup-Helfer. Gegen zivilgesellschaftliches Engagement, wie es sich bei Betterplace niederschlage, sei prinzipiell nichts einzuwenden, heißt es einerseits. Aber jedem sein Entwicklungsprojekt? „Das ist ja wie mit der Spendenbüchse herumzulaufen“, sagt Birgit Kern, die bei „Brot für die Welt“ verantwortlich für Fundraising ist. Martin Lohmann, Leiter der Spendenabteilung bei Misereor, sagt, es sei nicht ganz leicht, die Qualität der Projekte auf der Betterplace-Webseite einzuschätzen.
Der Spender soll sich mit „seinem“ Projekt identifizieren
In der Fabrik in der Schlesischen Straße hingegen gibt man sich selbstbewusst. „betterplace.org ist die wahrscheinlich transparenteste Spendenplattform der Welt“, heißt es auf der Homepage. Und Moritz Eckert sagt: „In der Entwicklungszusammenarbeit gehen die Innovationen nicht mehr von den klassischen Hilfsorganisationen aus.“ Als Eckert und eine Handvoll Mitstreiter die Plattform vor sechs Jahren gründeten, wurden sie von Investoren unterstützt, darunter einem früheren Ebay-Geschäftsführer und dem Finanzdienstleister Daimler Financial Services. Solche Förderer hat Betterplace bis heute, getragen wird die Webseite aber vor allem vom Unternehmenszweig Betterplace Solutions, für den rund die Hälfte der 35 Mitarbeiter tätig sind: Betterplace Solutions berät Firmen wie Microsoft, Vodafone oder Otto, wie sie ihrer sozialen Verantwortung gerecht werden können. Die Gewinne aus diesem Geschäft fließen in den Betrieb der Spendenplattform.
Rund zehn Millionen Euro wurden seit Beginn über Betterplace gespendet, zwei Drittel der Projekte sind im Ausland, vor allem in Afrika und in Asien. Die Projektgröße reicht bis etwa 10.000 Euro – „es soll für den Spender greifbar und nachvollziehbar bleiben“, sagt Eckert. Das ist die Philosophie von Betterplace: Der Spender soll sich mit „seinem“ Projekt identifizieren; er soll sich über die Webseite mit den Trägern des Vorhabens in Verbindung setzen und sich über den Verlauf informieren können. „Wir glauben an den Sinn von Grassroots-Initiativen“, sagt Eckert, betont aber zugleich, dass er Betterplace nicht als Alternative zu traditionellen Hilfswerken sehe.
Dennoch schwingt bei der Internet-Entwicklungshilfe immer auch Kritik an etablierten Spendenorganisationen mit: Dort entschieden ausgewählte Fachleute von oben und für den Spender nicht durchschaubar, wohin das Geld fließt, lautet der Vorwurf. Aus diesem Gefühl heraus hat auch Anna Vikky vor einigen Jahren ihre eigene Hilfsorganisation gegründet: 2aid.org. „Die etablierte Entwicklungshilfe ist ein Geschäft geworden. Die Leute sitzen in ihren Büros und haben oft den Kontakt verloren“, sagt Vikky, 26, die in Heidelberg Zahnmedizin studiert. Als Vikky, deren Eltern in den 1980er Jahren vor dem Bürgerkrieg in Sri Lanka nach Deutschland flohen, sich entwicklungspolitisch engagieren wollte, hatte sie den Eindruck, dass sie sich bei den etablierten Organisationen „nicht so gut einbringen konnte“.
Zehn junge Frauen und Männer betreiben 2aid.org ehrenamtlich. Zum Start 2009 gab es eine Abstimmung im Internet, für welche Aufgabe man um Spenden werben solle. Die Wahl fiel auf Wasserversorgung; seither hat 2aid.org rund 130.000 Euro gesammelt, mit denen in einer Provinz in Uganda an bislang 44 Orten Brunnen gebohrt wurden. Auf der Webseite von 2aid.org können sich Spender über den Verlauf der Projekte informieren.
„Das Internet ermöglicht ganz neue zivilgesellschaftliche Initiativen“, sagt Anna Vikky. Das Netz verbinde Leute, die andernfalls nie zusammenfinden würden. Vikky findet, dass die alten Hilfswerke die neuen Medien zu wenig nutzen. Der Branchenkenner Oliver Esberger von der Agentur i-gelb gibt ihr Recht. i-gelb entwickelt Internet-Auftritte für Non-Profit-Organisationen, Unternehmen und Verbände und ist auf Online-Fundraising spezialisiert. Der Nutzen des Internet für Öffentlichkeitsarbeit und Spendenakquise werde von den meisten deutschen Hilfswerken „unterschätzt“, sagt Esberger.
„Es reicht nicht, nur um Spenden zu bitten“
Das Volumen der Online-Direktspenden, bei denen die Online-Bezahlfunktion einer Organisation genutzt wird, ist nach wie vor klein. Nur ein bis zwei Prozent der gesamten Spenden in Deutschland fließen über diesen Kanal an die Organisationen, sagt Thomas Kreuzer von der Fundraising-Akademie in Frankfurt. Nicht berücksichtigt sind dabei Spenden, die über Online-Banking getätigt werden. Ausnahmen seien Spenden im Rahmen von Kinderpatenschaften, die eher jüngere und damit mehr internetaffine Unterstützer hätten, sowie Spenden für Nothilfe nach Naturkatastrophen.
Für die Spendenakquise sei das Internet „kein Qualitätssprung“, sagt Kreuzer – auch wenn das seit 15 Jahren immer wieder behauptet werde. Birgit Kern von „Brot für die Welt“ bestätigt das: „Seit 20 Jahren wird der klassische Spendenbrief totgesagt. Aber er ist immer noch unser effizientestes Fundraising-Instrument.“ Dennoch: Die Fachleute sind sich einig, dass eine gute Internetpräsenz einschließlich Möglichkeit zum Spenden heute unerlässlich sind – nicht zuletzt um an jüngere Spender heranzukommen: Bei Betterplace ist der Spender im Schnitt 37 Jahre alt, der durchschnittliche Offline-Spender in Deutschland dürfte 15 bis 20 Jahre älter sein. Dazu kommt: Laut Untersuchungen sind Online-Spenden im Schnitt größer als herkömmliche Spenden.
Oliver Esberger empfiehlt Hilfswerken „mehr Mut“ im Umgang mit neuen Medien und beim Zugehen auf jüngere Spender. „Es reicht nicht, eine schöne Projektbeschreibung ins Netz zu stellen und um Spenden zu bitten.“ Man müsse mehr Informationen bieten, zum Beispiel zu Projektfortschritten. Doch genau damit tun sich Werke wie „Brot für die Welt“ schon deshalb schwer, weil man bei ihnen außer bei der Nothilfe in der Regel nicht für einzelne Projekte spenden kann, sondern bestenfalls für bestimmte Bereiche wie Bildung oder Gesundheit. Zweckgebundene Spenden sind bei den meisten Hilfsorganisationen nicht vorgesehen.
Birgit Kern plädiert für „mehr Flexibilität“ im Umgang mit Spendern: „Der Spender muss als Partner begriffen werden, nicht nur als Geldgeber. Man kann mit ihm ja darüber reden, wo sein Geld am besten aufgehoben ist.“ Die Kommunikationsmöglichkeiten, die das Internet bietet, und die zunehmende Kritik an der Entwicklungshilfe verstärken bei Spendern das Bedürfnis nach mehr Transparenz. Esberger ist überzeugt: „Die Organisationen, die diesem Bedürfnis gerecht werden, werden langfristig Vorteile davon haben.“
Keine professionelle Evaluation
Eine andere Frage ist, ob das auch die Qualität der Hilfe steigert. „Wir behaupten nicht, dass jedes Projekt auf Betterplace gut ist“, sagt Moritz Eckert von Betterplace, „aber wir bieten den Spendern volle Transparenz.“ Reicht also, dass ein Projekt gut gemeint ist? „Wir wollen nicht diejenigen sein, die die Qualitätskriterien aufstellen. Wir wollen den Spendern die Entscheidung überlassen.“ Helfen soll dabei das sogenannte Web of Trust: Auf der Webseite kann jeder jedes Projekt bewerten, auf welcher Grundlage auch immer. Als Beispiel nennt Betterplace Rucksackreisende, die sich ein Vorhaben vor Ort angeschaut haben. „So bringt betterplace.org über das DZI-Spendensiegel und den Gemeinnützigkeitsstatus des Finanzamtes hinaus einen lange vernachlässigten Vertrauensfaktor in den sozialen Sektor – den Menschen“, heißt es in der Selbstdarstellung von Betterplace. Burkhard Wilke, der Leiter des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen (DZI), das Spendenorganisationen bewertet, nannte diese Art von Qualitätskontrolle allerdings schon vor einigen Jahren „abenteuerlich“.
Bei 2aid.org soll die Qualität über die enge Zusammenarbeit mit einer lokalen Hilfsorganisation gewährleistet werden; sie wählt die Standorte für die Brunnen aus und überwacht die Projekte. Zudem beschränkt sich 2aid.org bewusst auf eine Region in Uganda, in der der lokale Partner fest verankert ist und sich gut auskennt. Einmal im Jahr reist Anna Vikky mit 2aid.org Mitarbeitern nach Uganda, um laufende Baustellen in Augenschein zu nehmen. Aber auch hier findet keine professionelle Evaluation statt.
Bei der Frankfurter Hilfsorganisation Medico International sieht man diesen Verzicht auf Professionalität gar nicht als Hauptproblem der jungen Startup-Helfer. Die Solidaritätsbewegung der 1960er und 1970er Jahre, der Medico entstammt, sei auch nicht immer professionell gewesen, sagt Gudrun Kortas, zuständig für Öffentlichkeitsarbeit und Spenderbetreuung. Aber sie sei immer politisch gewesen: Es sei darum gegangen, Strukturen zu verändern und Zusammenhänge zu den Verhältnissen hier herzustellen – ein Anspruch, den Medico International bis heute habe. Bei Betterplace hingegen gehe es um reine Charity: „Es wird das Leid genommen, der Bedarf – und dann wird gerettet. Ohne den Paternalismus im eigenen Handeln zu hinterfragen.“
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