Hohe Hürden für Unternehmer

Selbstständige Unternehmer waren in Kuba jahrelang eher ein notwendiges Übel. Doch jetzt will die Regierung eine halbe Million Staatsbedienstete entlassen und den Privatsektor zum Jobmotor ausbauen. Sie verspricht Kreditprogramme zur Gründung von Kleingewerben. Doch woher sie das Geld dafür nehmen will, ist auch kubanischen Ökonomen nicht ganz klar. Die Wirtschaftsreform scheint nicht optimal vorbereitet zu sein.
Gabriel Calaforra ist nicht gut auf die Regierung zu sprechen. „Sehen Sie sich meine Balkonbrüstung und die Fenster an - vollkommen verrottet. Aber laut Gesetz darf ich nichts reparieren", klagt der ehemalige Diplomat mit dem schlohweißen Haarschopf. „Weder gibt es Baumaterial auf dem legalen Markt, noch kann ich einen Handwerker offiziell anstellen. Zumindest nicht, wenn er nicht belegen kann, woher das Material kommt", fügt er hinzu. Ob Klempner, Maurer oder Gastronom - in Kuba standen selbstständige Unternehmer bislang immer mit einem Bein im Gefängnis. Holz, Rohre, Baustahl, Sand und Steine sind legal nur mit einer Sondergenehmigung erhältlich, und die ist nur sehr schwer zu bekommen. Eine Baustoffhandlung sucht man genauso vergeblich wie einen Eisenwarenladen oder einen Holzgroßhändler. „Das ist schlicht nicht vorgesehen im kubanischen Wirtschaftsmodell, wo der Staat den Daumen auf allen Ressourcen hält", erklärt Calaforra mit einem ironischen Lächeln.
 
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Wenn es nach der kubanischen Regierung geht, sollten seine Klagen nun bald der Vergangenheit angehören. Bislang waren Selbständige in Kuba eher die Ausnahme als die Regel: Rund fünf Millionen der 11,2 Millionen Einwohner sind erwerbstätig und mehr als 90 Prozent davon stehen auf der Lohnliste des Staates - standen, muss es seit dem 14. September heißen. An diesem Tag gab die Regierung von Raúl Castro bekannt, dass 500.000 Staatsbedienstete bis zum 1. April 2011 ihre Kündigung erhalten sollen. Künftig soll der Privatsektor zur Jobmaschine auf der Insel werden.

Ihren Worten hat die Regierung in Havanna bereits Taten folgen lassen. So sind die meisten der Angestellten des in Auflösung befindlichen Zuckerministeriums schon entlassen und eine ganze Reihe von Nachtwächtern und Empfangsdamen in anderen Ministerien und Betrieben haben ihre Kündigung erhalten. Für viele Kubaner ist das ein Schock, denn die Sicherheit des Arbeitsplatzes galt als eine der Errungenschaften der Revolution. Bis heute lernen die Kinder in der Schule, dass sie einen Anspruch auf eine Anstellung bei Vater Staat haben. Doch die Regierung kann es sich schlicht nicht mehr leisten, tausende Lohntüten zu füllen, ohne dass die Empfänger dafür Leistung bringen.

2008 belief sich das Haushaltsdefizit auf 6,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, in der Handelsbilanz klaffte eine Lücke von 1,7 Milliarden US-Dollar und 2009 fror Kuba erstmals die Devisenkonten von Investoren ein - die Insel war faktisch Pleite. Die konnte zwar abgewendet werden, aber nach wie vor lebt das Land von der Hand in den Mund. Die warnenden Worte von Staatschef Raúl Castro, dass auch Kuba nicht mehr ausgeben als einnehmen könne, belegen das. Die Sparpolitik der Regierung verfolgt nun das Ziel, die Ausgaben weiter zu reduzieren, um das Währungssystem wieder ins Lot zu bringen.

Omar Everleny Pérez und sein Kollege Pavel Vidal Alejandro vom Studienzentrum der kubanischen Wirtschaft (CEEC) plädieren seit Jahren dafür, dass sich der Staat aus dem Dienstleistungs- und Kleingewerbesektor zurückzieht. „Es hat keinen Sinn, dass der Staat den Bedarf von Schustern und Frisören plant, sie versorgt und bezahlt, obwohl sie dazu viel besser selbst in der Lage wären", moniert Everleny, der zu den Ratgebern der Regierung in Havanna gehört. Die Reformen der vergangenen Wochen zeigen, dass die Politiker den Wissenschaftlern zugehört haben. 178 Berufe wurden für die „Arbeit auf eigene Rechnung", wie die Selbstständigkeit in Kuba genannt wird, freigegeben.

Ausdrücklich ist auch die Gründung von kleinen Genossenschaften erwünscht. Die könnten das Angebot auch außerhalb des Dienstleistungssektors merklich beleben, denn Kooperativen zur Herstellung von Möbeln, Matratzen oder Kleidung sind genauso denkbar wie solche in der Landwirtschaft. Zusammen mit der Kündigung erhalten die früheren Staatsangestellten deshalb eine Beratung für die Selbstständigkeit. Dafür zuständig sind derzeit Kader der Kommunistischen Partei (PCC) und der Komitees zur Verteidigung der Revolution (CDR) - eine makabre Konstellation, denn beide Organisationen gelten in Kuba nicht gerade als Förderer der Privatwirtschaft.

„Die war in Kuba bisher eher unerwünscht", gibt Omar Everleny Pérez freimütig zu. Umso wichtiger ist es ihm, dass die Regierung auch verbal die Kehrtwende vollzogen hat. In der „Granma", der Zeitung der Kommunistischen Partei, hieß es am 24. September, der (selbständige) Arbeiter solle sich gebraucht fühlen und nicht an den Rand gedrängt wie in den 1990er Jahren. Damals war ein kleiner privater Sektor innerhalb der sozialistischen Planwirtschaft entstanden, weil die Regierung im September 1993 nicht weiter wusste und 157 Berufe für die „Arbeit auf eigene Rechnung" freigab. Mit beeindruckender Wirkung: Innerhalb weniger Monate entstand im Dienstleistungs- und Gastronomiesektor Kubas ein vollkommen neues Angebot.

Dazu zählten die so genannten „Paladares", die kleinen privaten Restaurants, die wie Pilze aus dem Boden schossen. Allein in Havanna soll es Mitte der 1990er Jahre mehr als tausend solcher Gaststätten gegeben haben. Einige wie der „Hurón Azul", ein Künstlertreff, in dem auch Kubas Kulturminister Abel Prieto verkehrte, und „La Guarida", wo der US-amerikanische Schauspieler Jack Nicholson und die spanische Königin dinierten, machten sogar international Schlagzeilen. In den Restaurants aller Preisklassen, die den Betrieben der Regierung den Rang abliefen, wurde allerdings in einer Grauzone gekocht, serviert und kassiert.

„In Kuba gibt es keine Großmärkte, auf denen Gastronomen frische Nahrungsmittel einkaufen können und die Sicherheit haben, die Produkte auch morgen noch zu bekommen", erklärt Enrique Núñez. Gemeinsam mit seiner Frau hat er von 1996 an das „La Guarida" im Herzen von Havanna betrieben. Im Frühjahr 2009 musste er den Betrieb aufgeben. Zur gleichen Zeit wurde das „Hurón Azul" geschlossen, weil der Wirt nicht nur verbotene Produkte wie Shrimps, Langusten und Rindfleisch im Kühlschrank hatte, sondern weil er auch noch über mehr als die zwölf Sitzplätze, die in einem Privatrestaurant erlaubt sind, verfügte. Der Wirt saß dafür vor kurzem noch im Gefängnis, sein Restaurant hat im Sommer unter neuer Leitung wiedereröffnet.

Enrique Núñez will ebenfalls noch in diesem Jahr einen neuen Anlauf nehmen. Zu dieser Entscheidung haben auch die neuen Regelungen beigetragen, die im September verabschiedet wurden. Demnach haben Restaurantbetreiber fortan das Recht, ihre Köche auch mit Langusten, Shrimps und Rindfleisch zaubern zu lassen, zwanzig statt vormals zwölf Gäste zu bewirten und Personal anzustellen, das nicht zur Familie gehört. Mehr Flexibilität und mehr Freiräume für die Selbstständigen soll es geben, und dazu gehört, dass die Kleinunternehmer ihre Produkte und Dienstleistungen nun auch an den Staat verkaufen können. Wegweisend ist zudem die Ankündigung, dass die neuen Unternehmer fortan Kredite bei den Banken beantragen und vom Staat Lokale und Werkstätten mieten können.

Die Wirtschaftswissenschaftler Pavel Vidal Alejandro und Omar Everleny Pérez sehen in den Reformen große Fortschritte, kritisieren aber zugleich, dass sie zu kurz greifen. Die Liste der Berufe reiche nicht annähernd aus, um die halbe Million Staatsbedienstete, die bis zum 1. April 2011 entlassen werden sollen, im Privatsektor unterzubringen. Die freigegebenen Berufe seien zu spezifisch, sie hätten keinen Bezug zur wirklichen Beschäftigungsstruktur und zum Bildungsniveau der Kubaner, erklären die Wissenschaftler in einem ausführlichen Aufsatz für die Kirchenzeitung „Espacio Laical". Ferner gebe es bislang weder Anzeichen für die Einrichtung von Märkten noch für die Vergabe von Krediten. Das ist wenig überraschend, denn die kubanische Regierung lebt derzeit von der Hand in den Mund und hat keinerlei finanzielle Reserven.

Peter Schirrmann, Chef des Hamburger Handelshauses Delatrade, sieht darin einen Ansatzpunkt für die internationale Entwicklungshilfe. „Es wäre sinnvoll, wenn die Europäische Union die einsetzenden Reformen unterstützen würde", meint der Unternehmer, der seit mehr als drei Jahrzehnten Geschäfte mit Kuba macht und ein eigenes Büro in Havanna unterhält. Dieser Vorschlag wird im Studienzentrum der kubanischen Wirtschaft (CEEC) begrüßt, denn bisher fehlt den Reformen die rechtliche Verbindlichkeit. Sie können schnell wieder rückgängig gemacht werden - wie schon einmal: Als die kubanische Wirtschaft zu Beginn des neuen Jahrtausends wieder langsam auf die Beine kam, knauserten die zuständigen Stellen in Havanna plötzlich bei der Vergabe und der Verlängerung von Lizenzen für die Freiberuflichkeit.

Viele Kubaner erinnern sich daran noch gut. Ihr Vertrauen in die Reformen ist gedämpft. Das wissen auch die wirtschaftlichen Berater der Regierung und plädieren für mehr Rechtssicherheit, wodurch mehr Vertrauen bei den potenziellen Selbstständigen geschaffen werden könne. Doch Ende Oktober sorgte die Regierung mit Einkommensteuersätzen von 25 bis 50 Prozent und Sozialabgaben von weiteren 25 Prozent der Einnahmen für einen markanten Dämpfer unter Kubas künftigen Selbstständigen. „Hier gibt es doch gar keine Steuertradition", kritisiert Gabriel Calaforra. „Die Leute haben keine Erfahrung mit einer Kalkulation und sollen nun Knall auf Fall ihr Auskommen in der Selbstständigkeit finden. Wie soll das gehen?"

Echte ökonomische Freiheiten, die sich viele Kubaner seit der Machtübernahme von Raúl Castro im Juli 2006 erhofft haben, wurden laut Calaforra bisher nicht gewährt. Mit dieser Einschätzung steht er nicht allein da. Auch Kubas kritische Ökonomen sprechen klar und deutlich von erheblichen Widerständen gegen den Abbau der Zentralisierung in der politischen Führung. Wie dieser Abbau zustande gebracht werden soll, ist nicht recht auszumachen. Zwar hat sich der „maximo líder" Fidel Castro bisher aus dem politischen und ökonomischen Alltagsgeschäft herausgehalten, aber viele der in Schlüsselpositionen der Regierung sitzenden alten Comandantes der Revolution gelten nicht gerade als Fürsprecher für den partiellen Rückzug des Staates aus der Wirtschaft. Dies aber ist laut Omar Everleny Pérez die Voraussetzung für einen ökonomischen Aufschwung.

Der ist 2010 ungleich schwerer zu erreichen als in der Mitte der 1990er Jahre. Damals sorgte die Freigabe des US-Dollars in Kuba von heute auf morgen für einen beachtlichen Kaufkraftschub. Woher die Nachfrage nach den Gütern und Dienstleistungen der neuen Selbständigen heute kommen soll, ist auch den Experten unklar. Klar ist aber, dass es ohne Reformen nur den Absturz gibt, wie Raúl Castro Anfang November gemahnt hat. Ein Appell für mehr Pragmatismus, der allerdings auch belegt, dass die Vorzeichen für strukturelle Wirtschaftsreformen nicht die Besten sind.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2010: Staatsaufbau - Alles nur Fassade?
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