Attacke auf Regierungskritiker

Israel bezeichnet sich gern als einzige funktionierende Demokratie in der Region. Bislang durchaus zu Recht. Beobachter fragen sich aber seit einiger Zeit: Wie lange noch? Regierungskritische Stimmen finden zunehmend schwer Gehör. Und ein Gesetzentwurf der Partei von Außenminister Avigdor Lieberman zielt darauf ab, sie endgültig zum Verstummen zu bringen.

In den vergangenen Jahren ist Israel politisch kontinuierlich nach rechts gerückt. Die Regierung von Benjamin Netanjahu von der Likud-Partei zeichnet sich durch eine wenig kompromissbereite Haltung gegenüber den Palästinensern aus. Die radikalen jüdischen Siedler, die Anspruch auf das ganze Land zwischen Mittelmeer und Jordan erheben, sind zwar nur eine Minderheit. Doch sie haben über Netanjahus Koalitionspartner, die Partei Yisrael Beitenu und deren Chef, Außenminister Avigdor Lieberman, großen Einfluss auf die Politik.
 

Autor

Tillmann Elliesen

ist Redakteur bei "welt-sichten".

Seit Liebermans Partei in der Regierung ist, verhärten sich auch die innenpolitischen Fronten in Israel. Unverhohlen macht der russischstämmige Politiker Stimmung gegen die arabischen Bürger des Landes. Seine Vorstöße vergiften zunehmend das politische Klima. Sie stoßen zwar auch auf Widerspruch, doch der ist oft kaum vernehmbar. Linke Positionen, etwa für ein Zugehen auf die Palästinenser und einen Stopp des Siedlungsbaus im Westjordanland, finden wenig Widerhall.
Auf Kritik von außen hat Israel – weit in die Gesellschaft hinein – schon immer empfindlich reagiert. Das hat mit der Bedrohung seiner Existenz zu tun, mit der sich der Staat bis in die 1970er Jahre konfrontiert sah. Und es hat damit zu tun, dass Vorwürfe etwa von UN-Gremien mitunter kaum verhohlener Antisemitismus sind. Bei keinem anderen Staat der Welt ist der Grat zwischen berechtigter Kritik an seiner Politik und der Infragestellung seiner Legitimität so schmal wie bei Israel.

Bedenklich ist allerdings, dass die politische Rechte nun verstärkt die Kritiker im eigenen Land ins Visier nimmt. Laut einem Gesetzentwurf von Liebermans Partei sollen regierungskritische Organisationen künftig vor einem Parlamentsausschuss offen legen, ob und von wem sie Geld aus dem Ausland erhalten. Untersucht werden sollen alle Organisationen, die dem Ansehen der israelischen Armee schaden. Hintergrund ist die Kooperation israelischer Menschenrechtsgruppen mit den Autoren des so genannten Goldstone-Berichts: Darin hatte ein Untersuchungsteam der Vereinten Nationen nach dem Gaza-Krieg 2008/2009 Verstöße der israelischen Armee und der Hamas gegen humanitäres Völkerrecht dokumentiert.

Lieberman spekuliert auf das hohe Ansehen der Armee

Das Vorhaben zielt klar darauf ab, kritische Stimmen in Israel zu diskreditieren – und möglichst zum Schweigen zu bringen. Uri Avnery, der langjährige Friedensaktivist und Gründer der Organisation Gush Shalom, bezeichnet es als „besonders verwerflich“, dass die Befürworter vorgeben, sie handelten im Namen der israelischen Soldaten. Tatsächlich spekuliert Lieberman auf das hohe Ansehen der Armee. Ein Gesetz gegen die Delegitimierung der Siedlungspolitik zum Beispiel, die Friedens- und Menschenrechtsorganisationen ebenso anprangern, hätte weniger Aussicht auf Erfolg, weil die Siedler in Politik und Gesellschaft viel weniger Rückhalt haben.

Aber noch ist Lieberman nicht am Ziel, und es gibt Grund zur Hoffnung, dass Israels Demokratie stark genug ist, seine Attacke gegen die Meinungsfreiheit und gegen das Prinzip abzuwehren, dass die Regierung in unabhängigen Gruppen ein Gegengewicht findet. Sein Gesetz hat zwar die erste Hürde in der Knesset, dem israelischen Parlament, genommen. Die Abgeordneten müssen aber noch einmal über eine fertig ausformulierte Fassung abstimmen. Und wie die aussieht und ob sie die Mehrheit bekommt, ist offen. Der Lieberman-Entwurf ist auch in der Knesset heftig kritisiert worden – selbst von Likud-Abgeordneten. Laut der in Tel Aviv erscheinenden Tageszeitung „Haaretz“ hat sich Ministerpräsident Netanjahu dafür ausgesprochen, von allen nichtstaatlichen Organisationen Transparenz zu fordern, nicht nur von politisch links stehenden. Und Staatspräsident Shimon Peres sagte, die von Lieberman geforderte Untersuchung linker Gruppen sei unnötig und schade der israelischen Demokratie.

 

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erschienen in Ausgabe 2 / 2011: Behinderung: Das Recht auf Teilhabe
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