Der Voluntourismus ist unübersehbar in der Schweiz angekommen. Reisebüros wie Kuoni, Globetrotter oder STA haben eigene Kataloge dafür herausgegeben. Veranstalter von Sprachreisen wie Linguista bieten ebenfalls Freiwilligeneinsätze in Südafrika, Indien oder Australien an – oft verbunden mit Sprachkursen. Die Coop-Zeitung, die zusammen mit dem Hilfswerk Helvetas und dem Reisebüro Globotrek zweieinhalbwöchige Reisen zum Baumwollpflücken in Kirgistan organisiert, hat wegen des großen Erfolges das Angebot auf weitere Ziele ausgedehnt.
So ist es nun auch möglich, für ein paar Tage bei der Biokaffee-Ernte in Nepal mitzuhelfen oder Bergbauern in Peru zur Hand zu gehen. Offizielle Zahlen zur Entwicklung des Voluntourismus gibt es nicht. Doch wie eine Umfrage unter verschiedenen Reiseanbietern zeigt, verzeichnen sie seit rund drei Jahren ein jährliches Umsatzwachstum im zweistelligen Bereich. Auch Tourismusexpertin Barbara Taufer stellt eine „positive Entwicklung“ fest. Noch sei der Voluntourismus aber eine Nische, sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Tourismuswirtschaft der Hochschule Luzern.
Autorin
Anja Burri
ist Redakteurin bei der Schweizerischen Depeschenagentur sda und ständige Korrespondentin von "welt-sichten".Der Arbeitskreis Tourismus & Entwicklung (Akte) spürt das wachsende Interesse am Voluntourismus ebenfalls, wie Geschäftsführerin Christine Plüss sagt. „Wir erhalten sehr viele Anfragen über unsere Internetplattform fairunterwegs.org.“ Die Angebote seien zu unterschiedlich, um sie pauschal zu bewerten, sagt die Leiterin der Fachstelle, die den Tourismus aus entwicklungspolitischer Sicht hinterfragt. „Eine Reise ist aber nicht per se gut, nur weil jemand irgendwo freiwillig arbeiten geht.“ Es sei weder ökologisch noch sozial nachhaltig, für eine Einsatzzeit von ein paar Tagen nach Indien und zurück zu fliegen.
Die Auswahl geeigneter Projekte und deren Kontrolle seien sehr aufwendig, fügt Plüss hinzu. Ein Reisebüro müsse sich diese Kompetenzen – etwa das Erkennen von Korruption – zuerst aneignen. Schwierig sei auch die Auswahl der Freiwilligen, die bereit sind, mehrere Tausend Franken für einen solchen Arbeitseinsatz zu bezahlen. Zudem könne nicht jeder mit der Armut in den Ländern des Südens umgehen oder schwere körperliche Arbeit leisten.
Absolut tabu sind für den Arbeitskreis Voluntourismus-Angebote in Waisenhäusern. Eine neue Dokumentation des Fernsehsenders Al-Jazeera zeigt, warum: Laut der Reportage werden in Kambodscha Kinder ihren Eltern weggenommen, um den Volunteers genügend volle Waisenhäuser bieten zu können. Von dem lukrativen Geschäft profitieren die „Waisenkinder“ am allerwenigsten. Wenn sie ein bestimmtes Alter erreicht haben, müssen sie das Heim wieder verlassen und landen häufig auf der Straße. Von dem schnellen Wechsel der Bezugspersonen sind zudem viele traumatisiert. Die Fachstelle Akte, die von mehr als 100 Entwicklungsorganisationen, kleinen Reisebüros und Einzelmitgliedern getragen wird, will in diesem Jahr die Öffentlichkeit für diese Missstände sensibilisieren.
Viele Anbieter von Volunteer-Reisen arbeiten bereits mit Hilfswerken oder spezialisierten Veranstaltern zusammen, wie sie betonen. Für das Hilfswerk Helvetas lohnt sich das Engagement: Bei den Reisen zur Baumwollernte in Kirgistan erhält es von seinen Partnern, der Coop-Zeitung und dem Reisebüro Globotrek, pro Buchung 300 Franken (250 Euro) für die dortigen Hilfsprojekte, wie Helvetas-Sprecher Matthias Herfeldt sagt.
Zum Vergleich: Ein Voluntourist bezahlt für die zweieinhalbwöchige Reise inklusive Arbeitseinsatz rund 3500 Franken (2900 Euro). Die Coop-Zeitung und Globotrek organisieren und vermarkten die Reisen. Helvetas garantiert die Qualitätsstandards: Das Hilfswerk wähle die Projekte aus, bereite die Freiwilligen-Touristen intensiv vor und organisiere nach den Reisen ein Treffen, sagt Herfeldt. Weil die Voluntouristen nur wenige Stunden pro Tag arbeiteten, träten sie nicht in Konkurrenz zu den lokalen Arbeitskräften. Grundsätzlich stehe bei dieser Art von Reisen nicht die Arbeit, sondern der Austausch im Vordergrund.
Barbara Taufer von der Hochschule Luzern nennt noch eine weitere Motivation: „Die Leute wollen etwas Besonderes erleben und dabei noch das eigene Kompetenz-Rucksäckli füllen.“ Bei einem Freiwilligeneinsatz könnten Sprach- und Sozialkompetenzen erworben werden oder man lerne den Umgang mit fremden Kulturen. Das komme auch bei den Arbeitgebern zu Hause gut an.
Mehr zum Thema: www.akte.ch
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