Schweizer Investitionsabkommen mit anderen Staaten schützen einseitig die Interessen der Investoren und schränken den politischen Handlungsspielraum der Gastländer ein, kritisiert Alliance Sud, die Arbeitsgemeinschaft von sechs Schweizer Hilfswerken. Anlass für die Kritik ist ein neues Abkommen mit Tunesien, das das Schweizer Parlament im März gebilligt hat.
Insgesamt hat die Schweiz 130 Abkommen zum Schutz ihrer Auslandinvestitionen abgeschlossen, mehrheitlich mit Entwicklungsländern. Diese Abkommen seien ein Vermächtnis der postkolonialen Ära, sagt Peter Niggli, der Geschäftsleiter von Alliance Sud. Mehr und mehr Staaten bemühten sich deshalb, sie zu revidieren. Die Schweiz allerdings lasse sich diesbezüglich Zeit. Zwar habe sich das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) intern Gedanken dazu gemacht, sagt Niggli, doch sei es nicht akzeptabel, dass dem Parlament mit dem Tunesienabkommen noch ein Vertrag nach altem Muster vorgelegt werde.
Das neue Abkommen mit Tunesien soll einen Vertrag aus dem Jahr 1961 ersetzen. Alliance Sud kritisiert die Neufassung aber als „ebenso veraltet und revisionsbedürftig“. Damit Schweizer Investitionen der Entwicklung Tunesiens nachhaltig nützen, sei es notwendig, einzelne Bestimmungen neu zu formulieren, fordert Alliance Sud. Zum Beispiel den sogenannten Enteignungsartikel: Es müsse gewährleistet sein, dass öffentliche Umwelt- und Gesundheitsmaßnahmen nicht zu Klagen von Firmen wegen staatlicher Enteignung führen.
Trotz der Kritik hat das Parlament das Abkommen mit Tunesien gebilligt
Grund für diese Forderung sind Entschädigungsklagen von Investoren, die sich von politischen Entscheidungen benachteiligt sehen. Der Tabakkonzern Philip Morris mit Hauptsitz in der Schweiz beispielsweise hat gegen mehrere Länder Klage eingereicht, weil deren Regierungen das Tabakübereinkommen der Weltgesundheitsorganisation umsetzen mit dem Ziel, die Bevölkerung vor den Gefahren des Tabakkonsums zu schützen. Trotz dieser Kritik hat das Parlament das Abkommen mit Tunesien gebilligt, so dass der Bundesrat es nun ratifizieren kann. Wie die Reaktionen in Tunesien ausfallen, ist angesichts der dortigen politischen Umwälzungen schwer zu sagen. Die tunesische Regierung habe möglicherweise sogar vergessen, dass im Oktober 2012 eine Vereinbarung unterzeichnet wurde, sagt Isolda Agazzi, die bei Alliance Sud für Handelspolitik zuständig ist.
Abdeljelil Bedoui, Gründungsmitglied des tunesischen Forums für wirtschaftliche und soziale Rechte, teilt die Einschätzung Agazzis. Das Abkommen sei von einer gestürzten Regierung ausgehandelt und von einer Übergangsergierung unterzeichnet worden. Er hätte es begrüßt, wenn die Schweiz die Ankunft einer stabilen Regierung in Tunesien abgewartet hätte, sagt der Wirtschaftsprofessor. (kam)
erschienen in Ausgabe 4 / 2013: Wasser
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